Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.Achtzehntes Kapitel: König Ludwig II. von Baiern. der Unterstützung gegen diese Gefahr von Seiten der Mehrheitdes Reichstags, drängt schließlich den deutschen Fürsten, ihren Re¬ girungen und allen Anhängern der staatlichen Ordnung eine Solidarität der Nothwehr auf, welcher die Demagogie der Redner und der Presse nicht gewachsen sein wird, so lange die Regirungen einig und entschlossen bleiben, wie sie es gegenwärtig sind. Der Zweck des Deutschen Reiches ist der Rechtsschutz; die parlamentarische Thätigkeit ist bei Stiftung des bestehenden Bundes der Fürsten und Städte als ein Mittel zur Erreichung des Bundeszweckes, aber nicht als Selbstzweck aufgefaßt worden. Ich hoffe, daß das Ver¬ halten des Reichstags die verbündeten Regirungen der Noth¬ wendigkeit überheben wird, die Consequenzen dieser Rechtslage jemals praktisch zu ziehn. Aber ich bin nicht gewiß, daß die Mehrheit des jetzt gewählten Reichstags schon der richtige Aus¬ druck der zweifellos loyal und monarchisch gesinnten Mehrheit der deutschen Wähler sein werde. Sollte es nicht der Fall sein, so tritt die Frage einer neuen Auflösung in die Tagesordnung. Ich glaube aber nicht, daß ein richtiger Moment der Entscheidung darüber schon in diesem Herbst eintreten könne. Bei einem neuen Appell an die Wähler wird die wirthschaftliche und finanzielle Reformfrage ein Bundesgenosse für die verbündeten Regirungen sein, sobald sie im Volke richtig verstanden sein wird; dazu aber ist ihre Discussion im Reichstage nöthig, die nicht vor der Winter¬ session stattfinden kann. Das Bedürfniß höherer Einnahmen durch indirecte Steuern ist in allen Bundesstaaten fühlbar, und von deren Ministern in Heidelberg einstimmig anerkannt worden. Der Wider¬ spruch der parlamentarischen Theoretiker dagegen hat in der pro¬ ductiven Mehrheit der Bevölkerung auf die Dauer keinen Anklang. Eure Majestät bitte ich unterthänigst, diese kurze Skizze der Achtzehntes Kapitel: König Ludwig II. von Baiern. der Unterſtützung gegen dieſe Gefahr von Seiten der Mehrheitdes Reichstags, drängt ſchließlich den deutſchen Fürſten, ihren Re¬ girungen und allen Anhängern der ſtaatlichen Ordnung eine Solidarität der Nothwehr auf, welcher die Demagogie der Redner und der Preſſe nicht gewachſen ſein wird, ſo lange die Regirungen einig und entſchloſſen bleiben, wie ſie es gegenwärtig ſind. Der Zweck des Deutſchen Reiches iſt der Rechtsſchutz; die parlamentariſche Thätigkeit iſt bei Stiftung des beſtehenden Bundes der Fürſten und Städte als ein Mittel zur Erreichung des Bundeszweckes, aber nicht als Selbſtzweck aufgefaßt worden. Ich hoffe, daß das Ver¬ halten des Reichstags die verbündeten Regirungen der Noth¬ wendigkeit überheben wird, die Conſequenzen dieſer Rechtslage jemals praktiſch zu ziehn. Aber ich bin nicht gewiß, daß die Mehrheit des jetzt gewählten Reichstags ſchon der richtige Aus¬ druck der zweifellos loyal und monarchiſch geſinnten Mehrheit der deutſchen Wähler ſein werde. Sollte es nicht der Fall ſein, ſo tritt die Frage einer neuen Auflöſung in die Tagesordnung. Ich glaube aber nicht, daß ein richtiger Moment der Entſcheidung darüber ſchon in dieſem Herbſt eintreten könne. Bei einem neuen Appell an die Wähler wird die wirthſchaftliche und finanzielle Reformfrage ein Bundesgenoſſe für die verbündeten Regirungen ſein, ſobald ſie im Volke richtig verſtanden ſein wird; dazu aber iſt ihre Diſcuſſion im Reichstage nöthig, die nicht vor der Winter¬ ſeſſion ſtattfinden kann. Das Bedürfniß höherer Einnahmen durch indirecte Steuern iſt in allen Bundesſtaaten fühlbar, und von deren Miniſtern in Heidelberg einſtimmig anerkannt worden. Der Wider¬ ſpruch der parlamentariſchen Theoretiker dagegen hat in der pro¬ ductiven Mehrheit der Bevölkerung auf die Dauer keinen Anklang. Eure Majeſtät bitte ich unterthänigſt, dieſe kurze Skizze der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0393" n="366"/><fw place="top" type="header">Achtzehntes Kapitel: König Ludwig <hi rendition="#aq">II</hi>. von Baiern.<lb/></fw>der Unterſtützung gegen dieſe Gefahr von Seiten der Mehrheit<lb/> des Reichstags, drängt ſchließlich den deutſchen Fürſten, ihren Re¬<lb/> girungen und allen Anhängern der ſtaatlichen Ordnung eine<lb/> Solidarität der Nothwehr auf, welcher die Demagogie der Redner<lb/> und der Preſſe nicht gewachſen ſein wird, ſo lange die Regirungen<lb/> einig und entſchloſſen bleiben, wie ſie es gegenwärtig ſind. Der<lb/> Zweck des Deutſchen Reiches iſt der Rechtsſchutz; die parlamentariſche<lb/> Thätigkeit iſt bei Stiftung des beſtehenden Bundes der Fürſten<lb/> und Städte als ein Mittel zur Erreichung des Bundeszweckes, aber<lb/> nicht als Selbſtzweck aufgefaßt worden. Ich hoffe, daß das Ver¬<lb/> halten des Reichstags die verbündeten Regirungen der Noth¬<lb/> wendigkeit überheben wird, die Conſequenzen dieſer Rechtslage<lb/> jemals praktiſch zu ziehn. Aber ich bin nicht gewiß, daß die<lb/> Mehrheit des jetzt gewählten Reichstags ſchon der richtige Aus¬<lb/> druck der zweifellos loyal und monarchiſch geſinnten Mehrheit der<lb/> deutſchen Wähler ſein werde. Sollte es nicht der Fall ſein, ſo<lb/> tritt die Frage einer neuen Auflöſung in die Tagesordnung. Ich<lb/> glaube aber nicht, daß ein richtiger Moment der Entſcheidung<lb/> darüber ſchon in dieſem Herbſt eintreten könne. Bei einem neuen<lb/> Appell an die Wähler wird die wirthſchaftliche und finanzielle<lb/> Reformfrage ein Bundesgenoſſe für die verbündeten Regirungen<lb/> ſein, ſobald ſie im Volke richtig verſtanden ſein wird; dazu aber<lb/> iſt ihre Diſcuſſion im Reichstage nöthig, die nicht vor der Winter¬<lb/> ſeſſion ſtattfinden kann. Das Bedürfniß höherer Einnahmen durch<lb/> indirecte Steuern iſt in allen Bundesſtaaten fühlbar, und von deren<lb/> Miniſtern in Heidelberg einſtimmig anerkannt worden. Der Wider¬<lb/> ſpruch der parlamentariſchen Theoretiker dagegen hat in der pro¬<lb/> ductiven Mehrheit der Bevölkerung auf die Dauer keinen Anklang.</p><lb/> <p>Eure Majeſtät bitte ich unterthänigſt, dieſe kurze Skizze der<lb/> Situation mit huldreicher Nachſicht aufnehmen und mir Allerhöchſt¬<lb/> dero Gnade ferner erhalten zu wollen. ...<lb/><hi rendition="#right">v. Bismarck.</hi></p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [366/0393]
Achtzehntes Kapitel: König Ludwig II. von Baiern.
der Unterſtützung gegen dieſe Gefahr von Seiten der Mehrheit
des Reichstags, drängt ſchließlich den deutſchen Fürſten, ihren Re¬
girungen und allen Anhängern der ſtaatlichen Ordnung eine
Solidarität der Nothwehr auf, welcher die Demagogie der Redner
und der Preſſe nicht gewachſen ſein wird, ſo lange die Regirungen
einig und entſchloſſen bleiben, wie ſie es gegenwärtig ſind. Der
Zweck des Deutſchen Reiches iſt der Rechtsſchutz; die parlamentariſche
Thätigkeit iſt bei Stiftung des beſtehenden Bundes der Fürſten
und Städte als ein Mittel zur Erreichung des Bundeszweckes, aber
nicht als Selbſtzweck aufgefaßt worden. Ich hoffe, daß das Ver¬
halten des Reichstags die verbündeten Regirungen der Noth¬
wendigkeit überheben wird, die Conſequenzen dieſer Rechtslage
jemals praktiſch zu ziehn. Aber ich bin nicht gewiß, daß die
Mehrheit des jetzt gewählten Reichstags ſchon der richtige Aus¬
druck der zweifellos loyal und monarchiſch geſinnten Mehrheit der
deutſchen Wähler ſein werde. Sollte es nicht der Fall ſein, ſo
tritt die Frage einer neuen Auflöſung in die Tagesordnung. Ich
glaube aber nicht, daß ein richtiger Moment der Entſcheidung
darüber ſchon in dieſem Herbſt eintreten könne. Bei einem neuen
Appell an die Wähler wird die wirthſchaftliche und finanzielle
Reformfrage ein Bundesgenoſſe für die verbündeten Regirungen
ſein, ſobald ſie im Volke richtig verſtanden ſein wird; dazu aber
iſt ihre Diſcuſſion im Reichstage nöthig, die nicht vor der Winter¬
ſeſſion ſtattfinden kann. Das Bedürfniß höherer Einnahmen durch
indirecte Steuern iſt in allen Bundesſtaaten fühlbar, und von deren
Miniſtern in Heidelberg einſtimmig anerkannt worden. Der Wider¬
ſpruch der parlamentariſchen Theoretiker dagegen hat in der pro¬
ductiven Mehrheit der Bevölkerung auf die Dauer keinen Anklang.
Eure Majeſtät bitte ich unterthänigſt, dieſe kurze Skizze der
Situation mit huldreicher Nachſicht aufnehmen und mir Allerhöchſt¬
dero Gnade ferner erhalten zu wollen. ...
v. Bismarck.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |