Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.Briefwechsel mit Ludwig von Baiern. Unter diesen Umständen fehlt dem römischen Stuhl die Möglich¬keit, uns für die Concessionen, die er von uns verlangt, ein Aequi¬ valent zu bieten, namentlich da er über den Einfluß der Jesuiten auf deutsche Verhältnisse gegenwärtig nicht verfügt. Die Macht¬ losigkeit des Papstes ohne diesen Beistand hat sich besonders bei den Nachwahlen erkennen lassen, wo die katholischen Stimmen, gegen den Willen des Papstes, für socialistische Candidaten ab¬ gegeben wurden, und der Dr. Moufang in Mainz öffentlich Ver¬ pflichtungen in dieser Beziehung einging. Die hiesigen Verhand¬ lungen mit dem Nuntius können das Stadium der gegenseitigen Recognoscirung nicht überschreiten; sie haben mir die Ueberzeugung gewährt, daß ein Abschluß noch nicht möglich ist; ich glaube aber vermeiden zu sollen, daß sie gänzlich abreißen, und dasselbe scheint der Nuntius zu wünschen. In Rom hält man uns offenbar für hülfsbedürftiger, als wir sind, und überschätzt den Beistand, den man uns, bei dem besten Willen, im Parlamente zu leisten ver¬ mag. Die Wahlen zum Reichstage haben den Schwerpunkt des letztern weiter nach rechts geschoben, als man annahm. Das Ueber¬ gewicht der Liberalen ist vermindert, und zwar in höherm Maße, als die Ziffern es erscheinen lassen. Ich war bei Beantragung der Auflösung nicht im Zweifel, daß die Wähler regirungsfreundlicher sind als die Abgeordneten, und die Folge davon ist gewesen, daß viele Abgeordnete, welche ungeachtet ihrer oppositionellen Haltung wiedergewählt wurden, dies nur durch Zusagen zu Gunsten der Regirung erreichen konnten. Wenn sie diese Zusagen nicht halten, und eine neue Auflösung folgen sollte, so werden sie nicht mehr Glauben bei den Wählern finden und nicht wieder gewählt werden. Die Folge der gelockerten Beziehungen zu den liberalen und centrali¬ stischen Abgeordneten wird, meines ehrfurchtsvollen Dafürhaltens, ein festeres Zusammenhalten der verbündeten Regirungen unter einander sein. Das Anwachsen der socialdemokratischen Gefahr, die jährliche Vermehrung der bedrohlichen Räuberbande, mit der wir gemeinsam unsre größern Städte bewohnen, die Versagung Briefwechſel mit Ludwig von Baiern. Unter dieſen Umſtänden fehlt dem römiſchen Stuhl die Möglich¬keit, uns für die Conceſſionen, die er von uns verlangt, ein Aequi¬ valent zu bieten, namentlich da er über den Einfluß der Jeſuiten auf deutſche Verhältniſſe gegenwärtig nicht verfügt. Die Macht¬ loſigkeit des Papſtes ohne dieſen Beiſtand hat ſich beſonders bei den Nachwahlen erkennen laſſen, wo die katholiſchen Stimmen, gegen den Willen des Papſtes, für ſocialiſtiſche Candidaten ab¬ gegeben wurden, und der Dr. Moufang in Mainz öffentlich Ver¬ pflichtungen in dieſer Beziehung einging. Die hieſigen Verhand¬ lungen mit dem Nuntius können das Stadium der gegenſeitigen Recognoſcirung nicht überſchreiten; ſie haben mir die Ueberzeugung gewährt, daß ein Abſchluß noch nicht möglich iſt; ich glaube aber vermeiden zu ſollen, daß ſie gänzlich abreißen, und daſſelbe ſcheint der Nuntius zu wünſchen. In Rom hält man uns offenbar für hülfsbedürftiger, als wir ſind, und überſchätzt den Beiſtand, den man uns, bei dem beſten Willen, im Parlamente zu leiſten ver¬ mag. Die Wahlen zum Reichstage haben den Schwerpunkt des letztern weiter nach rechts geſchoben, als man annahm. Das Ueber¬ gewicht der Liberalen iſt vermindert, und zwar in höherm Maße, als die Ziffern es erſcheinen laſſen. Ich war bei Beantragung der Auflöſung nicht im Zweifel, daß die Wähler regirungsfreundlicher ſind als die Abgeordneten, und die Folge davon iſt geweſen, daß viele Abgeordnete, welche ungeachtet ihrer oppoſitionellen Haltung wiedergewählt wurden, dies nur durch Zuſagen zu Gunſten der Regirung erreichen konnten. Wenn ſie dieſe Zuſagen nicht halten, und eine neue Auflöſung folgen ſollte, ſo werden ſie nicht mehr Glauben bei den Wählern finden und nicht wieder gewählt werden. Die Folge der gelockerten Beziehungen zu den liberalen und centrali¬ ſtiſchen Abgeordneten wird, meines ehrfurchtsvollen Dafürhaltens, ein feſteres Zuſammenhalten der verbündeten Regirungen unter einander ſein. Das Anwachſen der ſocialdemokratiſchen Gefahr, die jährliche Vermehrung der bedrohlichen Räuberbande, mit der wir gemeinſam unſre größern Städte bewohnen, die Verſagung <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0392" n="365"/><fw place="top" type="header">Briefwechſel mit Ludwig von Baiern.<lb/></fw> Unter dieſen Umſtänden fehlt dem römiſchen Stuhl die Möglich¬<lb/> keit, uns für die Conceſſionen, die er von uns verlangt, ein Aequi¬<lb/> valent zu bieten, namentlich da er über den Einfluß der Jeſuiten<lb/> auf deutſche Verhältniſſe gegenwärtig nicht verfügt. Die Macht¬<lb/> loſigkeit des Papſtes ohne dieſen Beiſtand hat ſich beſonders bei<lb/> den Nachwahlen erkennen laſſen, wo die katholiſchen Stimmen,<lb/><hi rendition="#g">gegen</hi> den Willen des Papſtes, für ſocialiſtiſche Candidaten ab¬<lb/> gegeben wurden, und der <hi rendition="#aq">Dr.</hi> Moufang in Mainz öffentlich Ver¬<lb/> pflichtungen in dieſer Beziehung einging. 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Briefwechſel mit Ludwig von Baiern.
Unter dieſen Umſtänden fehlt dem römiſchen Stuhl die Möglich¬
keit, uns für die Conceſſionen, die er von uns verlangt, ein Aequi¬
valent zu bieten, namentlich da er über den Einfluß der Jeſuiten
auf deutſche Verhältniſſe gegenwärtig nicht verfügt. Die Macht¬
loſigkeit des Papſtes ohne dieſen Beiſtand hat ſich beſonders bei
den Nachwahlen erkennen laſſen, wo die katholiſchen Stimmen,
gegen den Willen des Papſtes, für ſocialiſtiſche Candidaten ab¬
gegeben wurden, und der Dr. Moufang in Mainz öffentlich Ver¬
pflichtungen in dieſer Beziehung einging. Die hieſigen Verhand¬
lungen mit dem Nuntius können das Stadium der gegenſeitigen
Recognoſcirung nicht überſchreiten; ſie haben mir die Ueberzeugung
gewährt, daß ein Abſchluß noch nicht möglich iſt; ich glaube aber
vermeiden zu ſollen, daß ſie gänzlich abreißen, und daſſelbe ſcheint
der Nuntius zu wünſchen. In Rom hält man uns offenbar für
hülfsbedürftiger, als wir ſind, und überſchätzt den Beiſtand, den
man uns, bei dem beſten Willen, im Parlamente zu leiſten ver¬
mag. Die Wahlen zum Reichstage haben den Schwerpunkt des
letztern weiter nach rechts geſchoben, als man annahm. Das Ueber¬
gewicht der Liberalen iſt vermindert, und zwar in höherm Maße,
als die Ziffern es erſcheinen laſſen. Ich war bei Beantragung der
Auflöſung nicht im Zweifel, daß die Wähler regirungsfreundlicher
ſind als die Abgeordneten, und die Folge davon iſt geweſen, daß
viele Abgeordnete, welche ungeachtet ihrer oppoſitionellen Haltung
wiedergewählt wurden, dies nur durch Zuſagen zu Gunſten der
Regirung erreichen konnten. Wenn ſie dieſe Zuſagen nicht halten,
und eine neue Auflöſung folgen ſollte, ſo werden ſie nicht mehr
Glauben bei den Wählern finden und nicht wieder gewählt werden.
Die Folge der gelockerten Beziehungen zu den liberalen und centrali¬
ſtiſchen Abgeordneten wird, meines ehrfurchtsvollen Dafürhaltens,
ein feſteres Zuſammenhalten der verbündeten Regirungen unter
einander ſein. Das Anwachſen der ſocialdemokratiſchen Gefahr,
die jährliche Vermehrung der bedrohlichen Räuberbande, mit der
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