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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Gespräch mit Prittwitz. Fürst Lichnowski. Adreßdebatte.
erwiderte der König: "Nein," -- "Sie sind aber schon auf dem Ab¬
marsch," sagte der Adjutant und führte den König an ein Fenster.
Der Schloßplatz war schwarz von Civilisten, hinter denen noch die
letzten Bajonette der abziehenden Soldaten zu sehn waren. "Das
habe ich nicht befohlen, das kann nicht sein," rief der König aus
und hatte den Ausdruck der Bestürzung und Entrüstung.

Ueber den Fürsten Lichnowski wurde mir erzählt, daß er ab¬
wechselnd oben im Schlosse einschüchternde Nachrichten über Schwäche
der Truppen, Mangel an Lebensmitteln und Munition verbreitet
und unten auf dem Platze den Aufständischen deutsch und polnisch
zugeredet habe auszuhalten, oben habe man den Muth verloren.

II.

In der kurzen Session des Zweiten Vereinigten Landtags sagte
ich am 2. April1):

"Ich bin einer der wenigen, welche gegen die Adresse stimmen
werden, und ich habe um das Wort nur deshalb gebeten, um diese
Abstimmung zu motiviren und Ihnen zu erklären, daß ich die
Adresse, insoweit sie ein Programm der Zukunft ist, ohne Weitres
acceptire, aber aus dem alleinigen Grunde, weil ich mir nicht
anders helfen kann. -- Nicht freiwillig, sondern durch den Drang
der Umstände getrieben, thue ich es; denn ich habe meine Ansicht
seit den sechs Monaten nicht gewechselt; ich glaube, daß dies
Ministerium das einzige ist, welches uns aus der gegenwärtigen
Lage einem geordneten und gesetzmäßigen Zustande zuführen kann,
und aus diesem Grunde werde ich demselben meine geringe Unter¬
stützung überall widmen, wo es mir möglich ist. Was mich aber
veranlaßt, gegen die Adresse zu stimmen, sind die Aeußerungen von
Freude und Dank für das, was in den letzten Tagen geschehn ist.
Die Vergangenheit ist begraben, und ich bedaure es schmerzlicher

1) Politische Reden Bd. I S. 45 f.

Geſpräch mit Prittwitz. Fürſt Lichnowſki. Adreßdebatte.
erwiderte der König: „Nein,“ — „Sie ſind aber ſchon auf dem Ab¬
marſch,“ ſagte der Adjutant und führte den König an ein Fenſter.
Der Schloßplatz war ſchwarz von Civiliſten, hinter denen noch die
letzten Bajonette der abziehenden Soldaten zu ſehn waren. „Das
habe ich nicht befohlen, das kann nicht ſein,“ rief der König aus
und hatte den Ausdruck der Beſtürzung und Entrüſtung.

Ueber den Fürſten Lichnowſki wurde mir erzählt, daß er ab¬
wechſelnd oben im Schloſſe einſchüchternde Nachrichten über Schwäche
der Truppen, Mangel an Lebensmitteln und Munition verbreitet
und unten auf dem Platze den Aufſtändiſchen deutſch und polniſch
zugeredet habe auszuhalten, oben habe man den Muth verloren.

II.

In der kurzen Seſſion des Zweiten Vereinigten Landtags ſagte
ich am 2. April1):

„Ich bin einer der wenigen, welche gegen die Adreſſe ſtimmen
werden, und ich habe um das Wort nur deshalb gebeten, um dieſe
Abſtimmung zu motiviren und Ihnen zu erklären, daß ich die
Adreſſe, inſoweit ſie ein Programm der Zukunft iſt, ohne Weitres
acceptire, aber aus dem alleinigen Grunde, weil ich mir nicht
anders helfen kann. — Nicht freiwillig, ſondern durch den Drang
der Umſtände getrieben, thue ich es; denn ich habe meine Anſicht
ſeit den ſechs Monaten nicht gewechſelt; ich glaube, daß dies
Miniſterium das einzige iſt, welches uns aus der gegenwärtigen
Lage einem geordneten und geſetzmäßigen Zuſtande zuführen kann,
und aus dieſem Grunde werde ich demſelben meine geringe Unter¬
ſtützung überall widmen, wo es mir möglich iſt. Was mich aber
veranlaßt, gegen die Adreſſe zu ſtimmen, ſind die Aeußerungen von
Freude und Dank für das, was in den letzten Tagen geſchehn iſt.
Die Vergangenheit iſt begraben, und ich bedaure es ſchmerzlicher

1) Politiſche Reden Bd. I S. 45 f.
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[31/0058] Geſpräch mit Prittwitz. Fürſt Lichnowſki. Adreßdebatte. erwiderte der König: „Nein,“ — „Sie ſind aber ſchon auf dem Ab¬ marſch,“ ſagte der Adjutant und führte den König an ein Fenſter. Der Schloßplatz war ſchwarz von Civiliſten, hinter denen noch die letzten Bajonette der abziehenden Soldaten zu ſehn waren. „Das habe ich nicht befohlen, das kann nicht ſein,“ rief der König aus und hatte den Ausdruck der Beſtürzung und Entrüſtung. Ueber den Fürſten Lichnowſki wurde mir erzählt, daß er ab¬ wechſelnd oben im Schloſſe einſchüchternde Nachrichten über Schwäche der Truppen, Mangel an Lebensmitteln und Munition verbreitet und unten auf dem Platze den Aufſtändiſchen deutſch und polniſch zugeredet habe auszuhalten, oben habe man den Muth verloren. II. In der kurzen Seſſion des Zweiten Vereinigten Landtags ſagte ich am 2. April 1): „Ich bin einer der wenigen, welche gegen die Adreſſe ſtimmen werden, und ich habe um das Wort nur deshalb gebeten, um dieſe Abſtimmung zu motiviren und Ihnen zu erklären, daß ich die Adreſſe, inſoweit ſie ein Programm der Zukunft iſt, ohne Weitres acceptire, aber aus dem alleinigen Grunde, weil ich mir nicht anders helfen kann. — Nicht freiwillig, ſondern durch den Drang der Umſtände getrieben, thue ich es; denn ich habe meine Anſicht ſeit den ſechs Monaten nicht gewechſelt; ich glaube, daß dies Miniſterium das einzige iſt, welches uns aus der gegenwärtigen Lage einem geordneten und geſetzmäßigen Zuſtande zuführen kann, und aus dieſem Grunde werde ich demſelben meine geringe Unter¬ ſtützung überall widmen, wo es mir möglich iſt. Was mich aber veranlaßt, gegen die Adreſſe zu ſtimmen, ſind die Aeußerungen von Freude und Dank für das, was in den letzten Tagen geſchehn iſt. Die Vergangenheit iſt begraben, und ich bedaure es ſchmerzlicher 1) Politiſche Reden Bd. I S. 45 f.

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/58>, abgerufen am 27.11.2024.