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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Zweites Kapitel: Das Jahr 1848.
als Viele von Ihnen, daß keine menschliche Macht im Stande ist,
sie wieder zu erwecken, nachdem die Krone selbst die Erde auf ihren
Sarg geworfen hat. Aber wenn ich dies, durch die Gewalt der
Umstände gezwungen, acceptire, so kann ich doch nicht aus meiner
Wirksamkeit auf dem Vereinigten Landtage mit der Lüge scheiden,
daß ich für das danken und mich freuen soll über das, was ich
mindestens für einen irrthümlichen Weg halten muß. Wenn es
wirklich gelingt, auf dem neuen Wege, der jetzt eingeschlagen ist,
ein einiges deutsches Vaterland, einen glücklichen oder auch
nur gesetzmäßig geordneten Zustand zu erlangen, dann wird der
Augenblick gekommen sein, wo ich dem Urheber der neuen Ordnung
der Dinge meinen Dank aussprechen kann, jetzt aber ist es mir
nicht möglich."

Ich wollte mehr sagen, war aber durch innere Bewegung in
die Unmöglichkeit versetzt, weiter zu sprechen, und verfiel in einen
Weinkrampf, der mich zwang, die Tribüne zu verlassen.

Wenige Tage zuvor hatte mir ein Angriff einer Magdeburger
Zeitung Anlaß gegeben, an die Redaction das nachstehende Schreiben
zu richten, in welchem ich eine der Errungenschaften, das stürmisch
geforderte und durch die Aufhebung der Censur gewährte "Recht
der freien Meinungsäußerung", auch für mich in Anspruch nahm,
nicht ahnend, daß mir dasselbe 42 Jahre später 1)würde bestritten
werden.

"Eure Wohlgeboren
haben in die heutige Nummer Ihrer Zeitung einen ,Aus der Alt¬
mark' datirten Artikel aufgenommen, der einzelne Persönlichkeiten
verdächtigt, indirect auch mich, und ich stelle daher Ihrem Gerech¬
tigkeitsgefühl anheim, ob Sie nachstehende Erwiderung aufnehmen
wollen. Ich bin zwar nicht der in jenem Artikel bezeichnete Herr,
welcher von Potsdam nach Stendal gekommen sein soll, aber ich

1) Durch den Erlaß Caprivi's vom 23. Mai 1890.

Zweites Kapitel: Das Jahr 1848.
als Viele von Ihnen, daß keine menſchliche Macht im Stande iſt,
ſie wieder zu erwecken, nachdem die Krone ſelbſt die Erde auf ihren
Sarg geworfen hat. Aber wenn ich dies, durch die Gewalt der
Umſtände gezwungen, acceptire, ſo kann ich doch nicht aus meiner
Wirkſamkeit auf dem Vereinigten Landtage mit der Lüge ſcheiden,
daß ich für das danken und mich freuen ſoll über das, was ich
mindeſtens für einen irrthümlichen Weg halten muß. Wenn es
wirklich gelingt, auf dem neuen Wege, der jetzt eingeſchlagen iſt,
ein einiges deutſches Vaterland, einen glücklichen oder auch
nur geſetzmäßig geordneten Zuſtand zu erlangen, dann wird der
Augenblick gekommen ſein, wo ich dem Urheber der neuen Ordnung
der Dinge meinen Dank ausſprechen kann, jetzt aber iſt es mir
nicht möglich.“

Ich wollte mehr ſagen, war aber durch innere Bewegung in
die Unmöglichkeit verſetzt, weiter zu ſprechen, und verfiel in einen
Weinkrampf, der mich zwang, die Tribüne zu verlaſſen.

Wenige Tage zuvor hatte mir ein Angriff einer Magdeburger
Zeitung Anlaß gegeben, an die Redaction das nachſtehende Schreiben
zu richten, in welchem ich eine der Errungenſchaften, das ſtürmiſch
geforderte und durch die Aufhebung der Cenſur gewährte „Recht
der freien Meinungsäußerung“, auch für mich in Anſpruch nahm,
nicht ahnend, daß mir daſſelbe 42 Jahre ſpäter 1)würde beſtritten
werden.

„Eure Wohlgeboren
haben in die heutige Nummer Ihrer Zeitung einen ,Aus der Alt¬
mark‘ datirten Artikel aufgenommen, der einzelne Perſönlichkeiten
verdächtigt, indirect auch mich, und ich ſtelle daher Ihrem Gerech¬
tigkeitsgefühl anheim, ob Sie nachſtehende Erwiderung aufnehmen
wollen. Ich bin zwar nicht der in jenem Artikel bezeichnete Herr,
welcher von Potsdam nach Stendal gekommen ſein ſoll, aber ich

1) Durch den Erlaß Caprivi's vom 23. Mai 1890.
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[32/0059] Zweites Kapitel: Das Jahr 1848. als Viele von Ihnen, daß keine menſchliche Macht im Stande iſt, ſie wieder zu erwecken, nachdem die Krone ſelbſt die Erde auf ihren Sarg geworfen hat. Aber wenn ich dies, durch die Gewalt der Umſtände gezwungen, acceptire, ſo kann ich doch nicht aus meiner Wirkſamkeit auf dem Vereinigten Landtage mit der Lüge ſcheiden, daß ich für das danken und mich freuen ſoll über das, was ich mindeſtens für einen irrthümlichen Weg halten muß. Wenn es wirklich gelingt, auf dem neuen Wege, der jetzt eingeſchlagen iſt, ein einiges deutſches Vaterland, einen glücklichen oder auch nur geſetzmäßig geordneten Zuſtand zu erlangen, dann wird der Augenblick gekommen ſein, wo ich dem Urheber der neuen Ordnung der Dinge meinen Dank ausſprechen kann, jetzt aber iſt es mir nicht möglich.“ Ich wollte mehr ſagen, war aber durch innere Bewegung in die Unmöglichkeit verſetzt, weiter zu ſprechen, und verfiel in einen Weinkrampf, der mich zwang, die Tribüne zu verlaſſen. Wenige Tage zuvor hatte mir ein Angriff einer Magdeburger Zeitung Anlaß gegeben, an die Redaction das nachſtehende Schreiben zu richten, in welchem ich eine der Errungenſchaften, das ſtürmiſch geforderte und durch die Aufhebung der Cenſur gewährte „Recht der freien Meinungsäußerung“, auch für mich in Anſpruch nahm, nicht ahnend, daß mir daſſelbe 42 Jahre ſpäter 1)würde beſtritten werden. „Eure Wohlgeboren haben in die heutige Nummer Ihrer Zeitung einen ,Aus der Alt¬ mark‘ datirten Artikel aufgenommen, der einzelne Perſönlichkeiten verdächtigt, indirect auch mich, und ich ſtelle daher Ihrem Gerech¬ tigkeitsgefühl anheim, ob Sie nachſtehende Erwiderung aufnehmen wollen. Ich bin zwar nicht der in jenem Artikel bezeichnete Herr, welcher von Potsdam nach Stendal gekommen ſein ſoll, aber ich 1) Durch den Erlaß Caprivi's vom 23. Mai 1890.

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/59>, abgerufen am 27.11.2024.