Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.Zweiundzwanzigstes Kapitel: Die Emser Depesche. Eingriffs erwehren würde. Nachdem später die Sache die Wendunggenommen hatte, daß Frankreich im Sinne seines Eingriffs in die spanische Unabhängigkeit uns mit Krieg bedrohte, habe ich einige Tage lang erwartet, daß die spanische Kriegserklärung gegen Frank¬ reich der französischen gegen uns folgen werde. Ich war nicht darauf gefaßt, daß eine selbstbewußte Nation wie die spanische Ge¬ wehr beim Fuß hinter den Pyrenäen ruhig zusehn werde, wie die Deutschen sich auf Tod und Leben für Spaniens Unabhängigkeit und freie Königswahl gegen Frankreich schlugen. Das spanische Ehrgefühl, das sich in der Karolinen-Frage so empfindlich anstellte, ließ uns 1870 einfach im Stich. Wahrscheinlich sind in beiden Fällen die Sympathien und internationalen Verbindungen der republikanischen Parteien entscheidend gewesen. Von Seiten unsres Auswärtigen Amtes waren die ersten schon In Frankreich aber suchte man nach einem Kriegsfalle gegen Zweiundzwanzigſtes Kapitel: Die Emſer Depeſche. Eingriffs erwehren würde. Nachdem ſpäter die Sache die Wendunggenommen hatte, daß Frankreich im Sinne ſeines Eingriffs in die ſpaniſche Unabhängigkeit uns mit Krieg bedrohte, habe ich einige Tage lang erwartet, daß die ſpaniſche Kriegserklärung gegen Frank¬ reich der franzöſiſchen gegen uns folgen werde. Ich war nicht darauf gefaßt, daß eine ſelbſtbewußte Nation wie die ſpaniſche Ge¬ wehr beim Fuß hinter den Pyrenäen ruhig zuſehn werde, wie die Deutſchen ſich auf Tod und Leben für Spaniens Unabhängigkeit und freie Königswahl gegen Frankreich ſchlugen. Das ſpaniſche Ehrgefühl, das ſich in der Karolinen-Frage ſo empfindlich anſtellte, ließ uns 1870 einfach im Stich. Wahrſcheinlich ſind in beiden Fällen die Sympathien und internationalen Verbindungen der republikaniſchen Parteien entſcheidend geweſen. Von Seiten unſres Auswärtigen Amtes waren die erſten ſchon In Frankreich aber ſuchte man nach einem Kriegsfalle gegen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0106" n="82"/><fw place="top" type="header">Zweiundzwanzigſtes Kapitel: Die Emſer Depeſche.<lb/></fw>Eingriffs erwehren würde. Nachdem ſpäter die Sache die Wendung<lb/> genommen hatte, daß Frankreich im Sinne ſeines Eingriffs in die<lb/><hi rendition="#g">ſpaniſche</hi> Unabhängigkeit <hi rendition="#g">uns</hi> mit Krieg bedrohte, habe ich einige<lb/> Tage lang erwartet, daß die ſpaniſche Kriegserklärung gegen Frank¬<lb/> reich der franzöſiſchen gegen uns folgen werde. Ich war nicht<lb/> darauf gefaßt, daß eine ſelbſtbewußte Nation wie die ſpaniſche Ge¬<lb/> wehr beim Fuß hinter den Pyrenäen ruhig zuſehn werde, wie die<lb/> Deutſchen ſich auf Tod und Leben für Spaniens Unabhängigkeit<lb/> und freie Königswahl gegen Frankreich ſchlugen. Das ſpaniſche<lb/> Ehrgefühl, das ſich in der Karolinen-Frage ſo empfindlich anſtellte,<lb/> ließ uns 1870 einfach im Stich. Wahrſcheinlich ſind in beiden<lb/> Fällen die Sympathien und internationalen Verbindungen der<lb/> republikaniſchen Parteien entſcheidend geweſen.</p><lb/> <p>Von Seiten unſres Auswärtigen Amtes waren die erſten ſchon<lb/> unberechtigten Anfragen Frankreichs über die ſpaniſche Thron¬<lb/> candidatur am 4. Juli der Wahrheit entſprechend in der aus¬<lb/> weichenden Art beantwortet worden, daß das <hi rendition="#g">Miniſterium</hi> nichts<lb/> von der Sache wiſſe. Es traf das inſofern zu, als die Frage der<lb/> Annahme der Wahl durch den Prinzen Leopold von Sr. Majeſtät<lb/> lediglich als Familienſache behandelt worden war, die weder<lb/> Preußen noch den Norddeutſchen Bund etwas anging, bei der es<lb/> ſich nur um die perſönliche Beziehung des Kriegsherrn zu einem<lb/> deutſchen Offizier und des Hauptes nicht der Kgl. Preußiſchen<lb/> ſondern der Hohenzollernſchen Geſammtfamilie zu den Trägern<lb/> des Namens Hohenzollern handelte.</p><lb/> <p>In Frankreich aber ſuchte man nach einem Kriegsfalle gegen<lb/> Preußen, der möglichſt frei von national-deutſcher Färbung wäre,<lb/> und glaubte einen ſolchen auf dynaſtiſchem Gebiete in dem Auftreten<lb/> eines ſpaniſchen Thronprätendenten des Namens Hohenzollern ge¬<lb/> funden zu haben. Dabei war die Ueberſchätzung der militäriſchen<lb/> Ueberlegenheit Frankreichs und die Unterſchätzung des nationalen<lb/> Sinnes in Deutſchland wohl die Haupturſache, daß man die Halt¬<lb/> barkeit dieſes Kriegsvorwandes nicht mit Ehrlichkeit und nicht mit<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [82/0106]
Zweiundzwanzigſtes Kapitel: Die Emſer Depeſche.
Eingriffs erwehren würde. Nachdem ſpäter die Sache die Wendung
genommen hatte, daß Frankreich im Sinne ſeines Eingriffs in die
ſpaniſche Unabhängigkeit uns mit Krieg bedrohte, habe ich einige
Tage lang erwartet, daß die ſpaniſche Kriegserklärung gegen Frank¬
reich der franzöſiſchen gegen uns folgen werde. Ich war nicht
darauf gefaßt, daß eine ſelbſtbewußte Nation wie die ſpaniſche Ge¬
wehr beim Fuß hinter den Pyrenäen ruhig zuſehn werde, wie die
Deutſchen ſich auf Tod und Leben für Spaniens Unabhängigkeit
und freie Königswahl gegen Frankreich ſchlugen. Das ſpaniſche
Ehrgefühl, das ſich in der Karolinen-Frage ſo empfindlich anſtellte,
ließ uns 1870 einfach im Stich. Wahrſcheinlich ſind in beiden
Fällen die Sympathien und internationalen Verbindungen der
republikaniſchen Parteien entſcheidend geweſen.
Von Seiten unſres Auswärtigen Amtes waren die erſten ſchon
unberechtigten Anfragen Frankreichs über die ſpaniſche Thron¬
candidatur am 4. Juli der Wahrheit entſprechend in der aus¬
weichenden Art beantwortet worden, daß das Miniſterium nichts
von der Sache wiſſe. Es traf das inſofern zu, als die Frage der
Annahme der Wahl durch den Prinzen Leopold von Sr. Majeſtät
lediglich als Familienſache behandelt worden war, die weder
Preußen noch den Norddeutſchen Bund etwas anging, bei der es
ſich nur um die perſönliche Beziehung des Kriegsherrn zu einem
deutſchen Offizier und des Hauptes nicht der Kgl. Preußiſchen
ſondern der Hohenzollernſchen Geſammtfamilie zu den Trägern
des Namens Hohenzollern handelte.
In Frankreich aber ſuchte man nach einem Kriegsfalle gegen
Preußen, der möglichſt frei von national-deutſcher Färbung wäre,
und glaubte einen ſolchen auf dynaſtiſchem Gebiete in dem Auftreten
eines ſpaniſchen Thronprätendenten des Namens Hohenzollern ge¬
funden zu haben. Dabei war die Ueberſchätzung der militäriſchen
Ueberlegenheit Frankreichs und die Unterſchätzung des nationalen
Sinnes in Deutſchland wohl die Haupturſache, daß man die Halt¬
barkeit dieſes Kriegsvorwandes nicht mit Ehrlichkeit und nicht mit
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