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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Eingriffs erwehren würde. Nachdem später die Sache die Wendung
genommen hatte, daß Frankreich im Sinne seines Eingriffs in die
spanische Unabhängigkeit uns mit Krieg bedrohte, habe ich einige
Tage lang erwartet, daß die spanische Kriegserklärung gegen Frank¬
reich der französischen gegen uns folgen werde. Ich war nicht
darauf gefaßt, daß eine selbstbewußte Nation wie die spanische Ge¬
wehr beim Fuß hinter den Pyrenäen ruhig zusehn werde, wie die
Deutschen sich auf Tod und Leben für Spaniens Unabhängigkeit
und freie Königswahl gegen Frankreich schlugen. Das spanische
Ehrgefühl, das sich in der Karolinen-Frage so empfindlich anstellte,
ließ uns 1870 einfach im Stich. Wahrscheinlich sind in beiden
Fällen die Sympathien und internationalen Verbindungen der
republikanischen Parteien entscheidend gewesen.

Von Seiten unsres Auswärtigen Amtes waren die ersten schon
unberechtigten Anfragen Frankreichs über die spanische Thron¬
candidatur am 4. Juli der Wahrheit entsprechend in der aus¬
weichenden Art beantwortet worden, daß das Ministerium nichts
von der Sache wisse. Es traf das insofern zu, als die Frage der
Annahme der Wahl durch den Prinzen Leopold von Sr. Majestät
lediglich als Familiensache behandelt worden war, die weder
Preußen noch den Norddeutschen Bund etwas anging, bei der es
sich nur um die persönliche Beziehung des Kriegsherrn zu einem
deutschen Offizier und des Hauptes nicht der Kgl. Preußischen
sondern der Hohenzollernschen Gesammtfamilie zu den Trägern
des Namens Hohenzollern handelte.

In Frankreich aber suchte man nach einem Kriegsfalle gegen
Preußen, der möglichst frei von national-deutscher Färbung wäre,
und glaubte einen solchen auf dynastischem Gebiete in dem Auftreten
eines spanischen Thronprätendenten des Namens Hohenzollern ge¬
funden zu haben. Dabei war die Ueberschätzung der militärischen
Ueberlegenheit Frankreichs und die Unterschätzung des nationalen
Sinnes in Deutschland wohl die Hauptursache, daß man die Halt¬
barkeit dieses Kriegsvorwandes nicht mit Ehrlichkeit und nicht mit

Zweiundzwanzigſtes Kapitel: Die Emſer Depeſche.
Eingriffs erwehren würde. Nachdem ſpäter die Sache die Wendung
genommen hatte, daß Frankreich im Sinne ſeines Eingriffs in die
ſpaniſche Unabhängigkeit uns mit Krieg bedrohte, habe ich einige
Tage lang erwartet, daß die ſpaniſche Kriegserklärung gegen Frank¬
reich der franzöſiſchen gegen uns folgen werde. Ich war nicht
darauf gefaßt, daß eine ſelbſtbewußte Nation wie die ſpaniſche Ge¬
wehr beim Fuß hinter den Pyrenäen ruhig zuſehn werde, wie die
Deutſchen ſich auf Tod und Leben für Spaniens Unabhängigkeit
und freie Königswahl gegen Frankreich ſchlugen. Das ſpaniſche
Ehrgefühl, das ſich in der Karolinen-Frage ſo empfindlich anſtellte,
ließ uns 1870 einfach im Stich. Wahrſcheinlich ſind in beiden
Fällen die Sympathien und internationalen Verbindungen der
republikaniſchen Parteien entſcheidend geweſen.

Von Seiten unſres Auswärtigen Amtes waren die erſten ſchon
unberechtigten Anfragen Frankreichs über die ſpaniſche Thron¬
candidatur am 4. Juli der Wahrheit entſprechend in der aus¬
weichenden Art beantwortet worden, daß das Miniſterium nichts
von der Sache wiſſe. Es traf das inſofern zu, als die Frage der
Annahme der Wahl durch den Prinzen Leopold von Sr. Majeſtät
lediglich als Familienſache behandelt worden war, die weder
Preußen noch den Norddeutſchen Bund etwas anging, bei der es
ſich nur um die perſönliche Beziehung des Kriegsherrn zu einem
deutſchen Offizier und des Hauptes nicht der Kgl. Preußiſchen
ſondern der Hohenzollernſchen Geſammtfamilie zu den Trägern
des Namens Hohenzollern handelte.

In Frankreich aber ſuchte man nach einem Kriegsfalle gegen
Preußen, der möglichſt frei von national-deutſcher Färbung wäre,
und glaubte einen ſolchen auf dynaſtiſchem Gebiete in dem Auftreten
eines ſpaniſchen Thronprätendenten des Namens Hohenzollern ge¬
funden zu haben. Dabei war die Ueberſchätzung der militäriſchen
Ueberlegenheit Frankreichs und die Unterſchätzung des nationalen
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[82/0106] Zweiundzwanzigſtes Kapitel: Die Emſer Depeſche. Eingriffs erwehren würde. Nachdem ſpäter die Sache die Wendung genommen hatte, daß Frankreich im Sinne ſeines Eingriffs in die ſpaniſche Unabhängigkeit uns mit Krieg bedrohte, habe ich einige Tage lang erwartet, daß die ſpaniſche Kriegserklärung gegen Frank¬ reich der franzöſiſchen gegen uns folgen werde. Ich war nicht darauf gefaßt, daß eine ſelbſtbewußte Nation wie die ſpaniſche Ge¬ wehr beim Fuß hinter den Pyrenäen ruhig zuſehn werde, wie die Deutſchen ſich auf Tod und Leben für Spaniens Unabhängigkeit und freie Königswahl gegen Frankreich ſchlugen. Das ſpaniſche Ehrgefühl, das ſich in der Karolinen-Frage ſo empfindlich anſtellte, ließ uns 1870 einfach im Stich. Wahrſcheinlich ſind in beiden Fällen die Sympathien und internationalen Verbindungen der republikaniſchen Parteien entſcheidend geweſen. Von Seiten unſres Auswärtigen Amtes waren die erſten ſchon unberechtigten Anfragen Frankreichs über die ſpaniſche Thron¬ candidatur am 4. Juli der Wahrheit entſprechend in der aus¬ weichenden Art beantwortet worden, daß das Miniſterium nichts von der Sache wiſſe. Es traf das inſofern zu, als die Frage der Annahme der Wahl durch den Prinzen Leopold von Sr. Majeſtät lediglich als Familienſache behandelt worden war, die weder Preußen noch den Norddeutſchen Bund etwas anging, bei der es ſich nur um die perſönliche Beziehung des Kriegsherrn zu einem deutſchen Offizier und des Hauptes nicht der Kgl. Preußiſchen ſondern der Hohenzollernſchen Geſammtfamilie zu den Trägern des Namens Hohenzollern handelte. In Frankreich aber ſuchte man nach einem Kriegsfalle gegen Preußen, der möglichſt frei von national-deutſcher Färbung wäre, und glaubte einen ſolchen auf dynaſtiſchem Gebiete in dem Auftreten eines ſpaniſchen Thronprätendenten des Namens Hohenzollern ge¬ funden zu haben. Dabei war die Ueberſchätzung der militäriſchen Ueberlegenheit Frankreichs und die Unterſchätzung des nationalen Sinnes in Deutſchland wohl die Haupturſache, daß man die Halt¬ barkeit dieſes Kriegsvorwandes nicht mit Ehrlichkeit und nicht mit

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/106>, abgerufen am 23.11.2024.