Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.Dreiundzwanzigstes Kapitel: Versailles. die Festung Paris gegen ernste Belagerung gedeckt wurde, zurUnterlage seiner Initiative nahm. Gelang im Laufe der Monate und Angesichts der schwankenden Aussichten vor Paris in der Zeit, welche die Signatur trug: "Vor Paris nichts Neues", gelang es damals den feindlichen Elementen und den mißgünstigen, unehr¬ lichen Freunden, die uns an keinem Hofe fehlten, eine Verständi¬ gung zwischen den übrigen Mächten oder auch nur zwischen zweien von ihnen herbeizuführen, um eine Warnung, eine scheinbar von der Menschenliebe eingegebene Frage an uns zu richten, so konnte niemand wissen, wie schnell sich ein solcher erster Ansatz zu einer gemeinsamen, zunächst diplomatischen Haltung der Neutralen ent¬ wickeln würde. Nationalliberale Parlamentarier haben einander im August 1870 geschrieben, "daß jede fremde Friedensvermittlung unbedingt abzuweisen sei", haben mich aber nicht wissen lassen, wie dem vorzubeugen sei, wenn nicht durch schnelle Einnahme von Paris. Graf Beust hat selbst es sich angelegen sein lassen, nach¬ *) Aus drei Viertel-Jahrhunderten. Stuttgart 1887. Theil II S. 361, 395 ff. **) Es ist auffallend, daß Graf Wimpffen diese Instruction verlesen
hat; sie weist ihn nur an, sich in einem bezeichneten Falle im Sinne derselben auszusprechen. Dreiundzwanzigſtes Kapitel: Verſailles. die Feſtung Paris gegen ernſte Belagerung gedeckt wurde, zurUnterlage ſeiner Initiative nahm. Gelang im Laufe der Monate und Angeſichts der ſchwankenden Ausſichten vor Paris in der Zeit, welche die Signatur trug: „Vor Paris nichts Neues“, gelang es damals den feindlichen Elementen und den mißgünſtigen, unehr¬ lichen Freunden, die uns an keinem Hofe fehlten, eine Verſtändi¬ gung zwiſchen den übrigen Mächten oder auch nur zwiſchen zweien von ihnen herbeizuführen, um eine Warnung, eine ſcheinbar von der Menſchenliebe eingegebene Frage an uns zu richten, ſo konnte niemand wiſſen, wie ſchnell ſich ein ſolcher erſter Anſatz zu einer gemeinſamen, zunächſt diplomatiſchen Haltung der Neutralen ent¬ wickeln würde. Nationalliberale Parlamentarier haben einander im Auguſt 1870 geſchrieben, „daß jede fremde Friedensvermittlung unbedingt abzuweiſen ſei“, haben mich aber nicht wiſſen laſſen, wie dem vorzubeugen ſei, wenn nicht durch ſchnelle Einnahme von Paris. Graf Beuſt hat ſelbſt es ſich angelegen ſein laſſen, nach¬ *) Aus drei Viertel-Jahrhunderten. Stuttgart 1887. Theil II S. 361, 395 ff. **) Es iſt auffallend, daß Graf Wimpffen dieſe Inſtruction verleſen
hat; ſie weiſt ihn nur an, ſich in einem bezeichneten Falle im Sinne derſelben auszuſprechen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0124" n="100"/><fw place="top" type="header">Dreiundzwanzigſtes Kapitel: Verſailles.<lb/></fw>die Feſtung Paris gegen ernſte Belagerung gedeckt wurde, zur<lb/> Unterlage ſeiner Initiative nahm. Gelang im Laufe der Monate<lb/> und Angeſichts der ſchwankenden Ausſichten vor Paris in der Zeit,<lb/> welche die Signatur trug: „Vor Paris nichts Neues“, gelang es<lb/> damals den feindlichen Elementen und den mißgünſtigen, unehr¬<lb/> lichen Freunden, die uns an keinem Hofe fehlten, eine Verſtändi¬<lb/> gung zwiſchen den übrigen Mächten oder auch nur zwiſchen zweien<lb/> von ihnen herbeizuführen, um eine Warnung, eine ſcheinbar von<lb/> der Menſchenliebe eingegebene Frage an uns zu richten, ſo konnte<lb/> niemand wiſſen, wie ſchnell ſich ein ſolcher erſter Anſatz zu einer<lb/> gemeinſamen, zunächſt diplomatiſchen Haltung der Neutralen ent¬<lb/> wickeln würde. Nationalliberale Parlamentarier haben einander<lb/> im Auguſt 1870 geſchrieben, „daß jede fremde Friedensvermittlung<lb/> unbedingt abzuweiſen ſei“, haben mich aber nicht wiſſen laſſen,<lb/> wie dem vorzubeugen ſei, wenn nicht durch ſchnelle Einnahme von<lb/> Paris.</p><lb/> <p>Graf Beuſt hat ſelbſt es ſich angelegen ſein laſſen, nach¬<lb/> zuweiſen, wie „redlich, wenn auch erfolglos“ er ſich bemüht habe,<lb/> eine „collective Mediation der Neutralen“ zu Stande zu bringen<note place="foot" n="*)">Aus drei Viertel-Jahrhunderten. Stuttgart 1887. Theil <hi rendition="#aq">II</hi> S. 361,<lb/> 395 ff.</note>.<lb/> Er erinnert daran, daß er ſchon unter dem 28. September nach<lb/> London und unter dem 12. October nach Petersburg an die öſt¬<lb/> reichiſchen Botſchafter die Weiſung gegeben hat, die Auffaſſung zu<lb/> vertreten, ein collectiver Schritt allein werde Ausſicht auf Erfolg<lb/> haben; daß er zwei Monate ſpäter dem Fürſten Gortſchakow ſagen<lb/> ließ: <hi rendition="#aq">„Le moment d'intervenir est peut-être venu.“</hi> Er repro¬<lb/> ducirt eine am 13. October, in der für uns kritiſchen Zeit 14 Tage<lb/> vor der Capitulation von Metz, von ihm an den Grafen Wimpffen<lb/> in Berlin gerichtete und von dieſem dort verleſene Depeſche<note place="foot" n="**)">Es iſt auffallend, daß Graf Wimpffen dieſe Inſtruction verleſen<lb/> hat; ſie weiſt ihn nur an, ſich in einem bezeichneten Falle im Sinne derſelben<lb/> auszuſprechen.</note>.<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [100/0124]
Dreiundzwanzigſtes Kapitel: Verſailles.
die Feſtung Paris gegen ernſte Belagerung gedeckt wurde, zur
Unterlage ſeiner Initiative nahm. Gelang im Laufe der Monate
und Angeſichts der ſchwankenden Ausſichten vor Paris in der Zeit,
welche die Signatur trug: „Vor Paris nichts Neues“, gelang es
damals den feindlichen Elementen und den mißgünſtigen, unehr¬
lichen Freunden, die uns an keinem Hofe fehlten, eine Verſtändi¬
gung zwiſchen den übrigen Mächten oder auch nur zwiſchen zweien
von ihnen herbeizuführen, um eine Warnung, eine ſcheinbar von
der Menſchenliebe eingegebene Frage an uns zu richten, ſo konnte
niemand wiſſen, wie ſchnell ſich ein ſolcher erſter Anſatz zu einer
gemeinſamen, zunächſt diplomatiſchen Haltung der Neutralen ent¬
wickeln würde. Nationalliberale Parlamentarier haben einander
im Auguſt 1870 geſchrieben, „daß jede fremde Friedensvermittlung
unbedingt abzuweiſen ſei“, haben mich aber nicht wiſſen laſſen,
wie dem vorzubeugen ſei, wenn nicht durch ſchnelle Einnahme von
Paris.
Graf Beuſt hat ſelbſt es ſich angelegen ſein laſſen, nach¬
zuweiſen, wie „redlich, wenn auch erfolglos“ er ſich bemüht habe,
eine „collective Mediation der Neutralen“ zu Stande zu bringen *).
Er erinnert daran, daß er ſchon unter dem 28. September nach
London und unter dem 12. October nach Petersburg an die öſt¬
reichiſchen Botſchafter die Weiſung gegeben hat, die Auffaſſung zu
vertreten, ein collectiver Schritt allein werde Ausſicht auf Erfolg
haben; daß er zwei Monate ſpäter dem Fürſten Gortſchakow ſagen
ließ: „Le moment d'intervenir est peut-être venu.“ Er repro¬
ducirt eine am 13. October, in der für uns kritiſchen Zeit 14 Tage
vor der Capitulation von Metz, von ihm an den Grafen Wimpffen
in Berlin gerichtete und von dieſem dort verleſene Depeſche **).
*) Aus drei Viertel-Jahrhunderten. Stuttgart 1887. Theil II S. 361,
395 ff.
**) Es iſt auffallend, daß Graf Wimpffen dieſe Inſtruction verleſen
hat; ſie weiſt ihn nur an, ſich in einem bezeichneten Falle im Sinne derſelben
auszuſprechen.
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