Aufgabe der deutschen Diplomatie. Haltung Italiens.
Es ließ sich nicht mit Bestimmtheit sagen, zu welchen Ent¬ schließungen man in Wien und Florenz gelangt sein würde, wenn bei Wörth, Spichern, Mars la Tour der Erfolg auf Seite der Franzosen oder für uns weniger eclatant gewesen wäre. Ich habe zur Zeit der genannten Schlachten Besuche von republikanischen Italienern gehabt, die überzeugt waren, daß der König Victor Emanuel mit der Absicht umginge, dem Kaiser Napoleon beizu¬ stehn, und diese Tendenz zu bekämpfen geneigt waren, weil sie von der Ausführung der dem Könige zugeschriebenen Absichten eine Verstärkung der ihrem Nationalgefühl empfindlichen Abhängigkeit Italiens von Frankreich befürchteten. Schon in den Jahren 1868 und 1869 waren mir ähnliche antifranzösische Anregungen von italienischer und nicht blos republikanischer Seite vorgekommen, in denen die Unzufriedenheit mit der französischen Suprematie über Italien scharf hervortrat. Ich habe damals wie später auf dem Marsche nach Frankreich in Homburg (Pfalz) den italienischen Herrn geantwortet: wir hätten bisher keine Beweise davon, daß der König von Italien seine Freundschaft für Napoleon bis zum Angriffe auf Preußen bethätigen werde; es sei gegen mein politisches Ge¬ wissen, eine Initiative zum Bruch zu ergreifen, welche Italien Vorwand und Rechtfertigung feindlicher Haltung gegeben hätte. Wenn Victor Emanuel die Initiative zu dem Bruche ergriffe, so würde die republikanische Tendenz derjenigen Italiener, welche eine solche Politik mißbilligten, mich nicht abhalten, dem Könige, meinem Herrn, zur Unterstützung der Unzufriedenen in Italien durch Geld und Waffen, welche sie zu haben wünschten, zu rathen.
Ich fand den Krieg, wie er lag, zu ernst und zu gefährlich, um in einem Kampfe, in dem nicht nur unsre nationale Zu¬ kunft, sondern auch unsre staatliche Existenz auf dem Spiele stand, mich zur Ablehnung irgend eines Beistandes bei bedenklichen Wen¬ dungen der Dinge für berechtigt zu halten. Ebenso wie ich 1866 nach und infolge der Einmischung durch Napoleons Telegramm vom 4. Juli vor dem Beistande einer ungarischen Insurrection nicht
Aufgabe der deutſchen Diplomatie. Haltung Italiens.
Es ließ ſich nicht mit Beſtimmtheit ſagen, zu welchen Ent¬ ſchließungen man in Wien und Florenz gelangt ſein würde, wenn bei Wörth, Spichern, Mars la Tour der Erfolg auf Seite der Franzoſen oder für uns weniger eclatant geweſen wäre. Ich habe zur Zeit der genannten Schlachten Beſuche von republikaniſchen Italienern gehabt, die überzeugt waren, daß der König Victor Emanuel mit der Abſicht umginge, dem Kaiſer Napoleon beizu¬ ſtehn, und dieſe Tendenz zu bekämpfen geneigt waren, weil ſie von der Ausführung der dem Könige zugeſchriebenen Abſichten eine Verſtärkung der ihrem Nationalgefühl empfindlichen Abhängigkeit Italiens von Frankreich befürchteten. Schon in den Jahren 1868 und 1869 waren mir ähnliche antifranzöſiſche Anregungen von italieniſcher und nicht blos republikaniſcher Seite vorgekommen, in denen die Unzufriedenheit mit der franzöſiſchen Suprematie über Italien ſcharf hervortrat. Ich habe damals wie ſpäter auf dem Marſche nach Frankreich in Homburg (Pfalz) den italieniſchen Herrn geantwortet: wir hätten bisher keine Beweiſe davon, daß der König von Italien ſeine Freundſchaft für Napoleon bis zum Angriffe auf Preußen bethätigen werde; es ſei gegen mein politiſches Ge¬ wiſſen, eine Initiative zum Bruch zu ergreifen, welche Italien Vorwand und Rechtfertigung feindlicher Haltung gegeben hätte. Wenn Victor Emanuel die Initiative zu dem Bruche ergriffe, ſo würde die republikaniſche Tendenz derjenigen Italiener, welche eine ſolche Politik mißbilligten, mich nicht abhalten, dem Könige, meinem Herrn, zur Unterſtützung der Unzufriedenen in Italien durch Geld und Waffen, welche ſie zu haben wünſchten, zu rathen.
Ich fand den Krieg, wie er lag, zu ernſt und zu gefährlich, um in einem Kampfe, in dem nicht nur unſre nationale Zu¬ kunft, ſondern auch unſre ſtaatliche Exiſtenz auf dem Spiele ſtand, mich zur Ablehnung irgend eines Beiſtandes bei bedenklichen Wen¬ dungen der Dinge für berechtigt zu halten. Ebenſo wie ich 1866 nach und infolge der Einmiſchung durch Napoleons Telegramm vom 4. Juli vor dem Beiſtande einer ungariſchen Inſurrection nicht
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Aufgabe der deutſchen Diplomatie. Haltung Italiens.
Es ließ ſich nicht mit Beſtimmtheit ſagen, zu welchen Ent¬
ſchließungen man in Wien und Florenz gelangt ſein würde, wenn
bei Wörth, Spichern, Mars la Tour der Erfolg auf Seite der
Franzoſen oder für uns weniger eclatant geweſen wäre. Ich habe
zur Zeit der genannten Schlachten Beſuche von republikaniſchen
Italienern gehabt, die überzeugt waren, daß der König Victor
Emanuel mit der Abſicht umginge, dem Kaiſer Napoleon beizu¬
ſtehn, und dieſe Tendenz zu bekämpfen geneigt waren, weil ſie
von der Ausführung der dem Könige zugeſchriebenen Abſichten eine
Verſtärkung der ihrem Nationalgefühl empfindlichen Abhängigkeit
Italiens von Frankreich befürchteten. Schon in den Jahren 1868
und 1869 waren mir ähnliche antifranzöſiſche Anregungen von
italieniſcher und nicht blos republikaniſcher Seite vorgekommen, in
denen die Unzufriedenheit mit der franzöſiſchen Suprematie über
Italien ſcharf hervortrat. Ich habe damals wie ſpäter auf dem
Marſche nach Frankreich in Homburg (Pfalz) den italieniſchen Herrn
geantwortet: wir hätten bisher keine Beweiſe davon, daß der König
von Italien ſeine Freundſchaft für Napoleon bis zum Angriffe
auf Preußen bethätigen werde; es ſei gegen mein politiſches Ge¬
wiſſen, eine Initiative zum Bruch zu ergreifen, welche Italien
Vorwand und Rechtfertigung feindlicher Haltung gegeben hätte.
Wenn Victor Emanuel die Initiative zu dem Bruche ergriffe, ſo
würde die republikaniſche Tendenz derjenigen Italiener, welche eine
ſolche Politik mißbilligten, mich nicht abhalten, dem Könige, meinem
Herrn, zur Unterſtützung der Unzufriedenen in Italien durch Geld
und Waffen, welche ſie zu haben wünſchten, zu rathen.
Ich fand den Krieg, wie er lag, zu ernſt und zu gefährlich,
um in einem Kampfe, in dem nicht nur unſre nationale Zu¬
kunft, ſondern auch unſre ſtaatliche Exiſtenz auf dem Spiele ſtand,
mich zur Ablehnung irgend eines Beiſtandes bei bedenklichen Wen¬
dungen der Dinge für berechtigt zu halten. Ebenſo wie ich 1866
nach und infolge der Einmiſchung durch Napoleons Telegramm vom
4. Juli vor dem Beiſtande einer ungariſchen Inſurrection nicht
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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/127>, abgerufen am 23.11.2024.
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