Auf die juristische Detailarbeit der Maigesetze würde ich nie verfallen sein; sie lag mir ressortmäßig fern, und weder in meiner Absicht, noch in meiner Befähigung lag es, Falk als Juristen zu con¬ trolliren oder zu corrigiren. Ich konnte als Ministerpräsident über¬ haupt nicht gleichzeitig den Dienst des Cultusministers thun, auch wenn ich vollkommen gesund gewesen wäre. Erst durch die Praxis überzeugte ich mich, daß die juristischen Einzelheiten psychologisch nicht richtig gegriffen waren. Der Mißgriff wurde mir klar an dem Bilde ehrlicher, aber ungeschickter preußischer Gendarmen, die mit Sporen und Schleppsäbel hinter gewandten und leichtfüßigen Priestern durch Hinterthüren und Schlafzimmer nachsetzten. Wer annimmt, daß solche in mir auftauchende kritische Erwägungen sofort in Gestalt einer Cabinetskrisis zwischen Falk und mir sich hätten verkörpern lassen, dem fehlt das richtige, nur durch Erfah¬ rung zu gewinnende Urtheil über die Lenkbarkeit der Staatsmaschine in sich und in ihrem Zusammenhange mit dem Monarchen und den Parlamentswahlen. Diese Maschine ist zu plötzlichen Evolu¬ tionen nicht im Stande, und Minister von der Begabung Falks wachsen bei uns nicht wild. Es war richtiger, einen Kampfgenossen von dieser Befähigung und Tapferkeit in dem Ministerium zu haben, als durch Eingriffe in die verfassungsmäßige Unabhängigkeit seines Ressorts die Verantwortlichkeit für die Verwaltung oder Neubesetzung des Cultusministeriums auf mich zu nehmen. Ich bin in dieser Auf¬ fassung verharrt, so lange ich Falk zum Bleiben zu bewegen vermochte. Erst nachdem er gegen meinen Wunsch durch weibliche Hofeinflüsse und ungnädige königliche Handschreiben derartig verstimmt worden war, daß er sich nicht halten ließ, bin ich an eine Revision seiner Hinterlassenschaft gegangen, der ich nicht näher treten wollte, so lange das nur durch Bruch mit ihm möglich war.
Vierundzwanzigſtes Kapitel: Culturkampf.
III.
Auf die juriſtiſche Detailarbeit der Maigeſetze würde ich nie verfallen ſein; ſie lag mir reſſortmäßig fern, und weder in meiner Abſicht, noch in meiner Befähigung lag es, Falk als Juriſten zu con¬ trolliren oder zu corrigiren. Ich konnte als Miniſterpräſident über¬ haupt nicht gleichzeitig den Dienſt des Cultusminiſters thun, auch wenn ich vollkommen geſund geweſen wäre. Erſt durch die Praxis überzeugte ich mich, daß die juriſtiſchen Einzelheiten pſychologiſch nicht richtig gegriffen waren. Der Mißgriff wurde mir klar an dem Bilde ehrlicher, aber ungeſchickter preußiſcher Gendarmen, die mit Sporen und Schleppſäbel hinter gewandten und leichtfüßigen Prieſtern durch Hinterthüren und Schlafzimmer nachſetzten. Wer annimmt, daß ſolche in mir auftauchende kritiſche Erwägungen ſofort in Geſtalt einer Cabinetskriſis zwiſchen Falk und mir ſich hätten verkörpern laſſen, dem fehlt das richtige, nur durch Erfah¬ rung zu gewinnende Urtheil über die Lenkbarkeit der Staatsmaſchine in ſich und in ihrem Zuſammenhange mit dem Monarchen und den Parlamentswahlen. Dieſe Maſchine iſt zu plötzlichen Evolu¬ tionen nicht im Stande, und Miniſter von der Begabung Falks wachſen bei uns nicht wild. Es war richtiger, einen Kampfgenoſſen von dieſer Befähigung und Tapferkeit in dem Miniſterium zu haben, als durch Eingriffe in die verfaſſungsmäßige Unabhängigkeit ſeines Reſſorts die Verantwortlichkeit für die Verwaltung oder Neubeſetzung des Cultusminiſteriums auf mich zu nehmen. Ich bin in dieſer Auf¬ faſſung verharrt, ſo lange ich Falk zum Bleiben zu bewegen vermochte. Erſt nachdem er gegen meinen Wunſch durch weibliche Hofeinflüſſe und ungnädige königliche Handſchreiben derartig verſtimmt worden war, daß er ſich nicht halten ließ, bin ich an eine Reviſion ſeiner Hinterlaſſenſchaft gegangen, der ich nicht näher treten wollte, ſo lange das nur durch Bruch mit ihm möglich war.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0154"n="130"/><fwplace="top"type="header">Vierundzwanzigſtes Kapitel: Culturkampf.<lb/></fw></div><divn="2"><head><hirendition="#aq">III.</hi><lb/></head><p>Auf die juriſtiſche Detailarbeit der Maigeſetze würde ich nie<lb/>
verfallen ſein; ſie lag mir reſſortmäßig fern, und weder in meiner<lb/>
Abſicht, noch in meiner Befähigung lag es, Falk als Juriſten zu con¬<lb/>
trolliren oder zu corrigiren. Ich konnte als Miniſterpräſident über¬<lb/>
haupt nicht gleichzeitig den Dienſt des Cultusminiſters thun, auch<lb/>
wenn ich vollkommen geſund geweſen wäre. Erſt durch die Praxis<lb/>
überzeugte ich mich, daß die juriſtiſchen Einzelheiten pſychologiſch<lb/>
nicht richtig gegriffen waren. Der Mißgriff wurde mir klar an<lb/>
dem Bilde ehrlicher, aber ungeſchickter preußiſcher Gendarmen, die<lb/>
mit Sporen und Schleppſäbel hinter gewandten und leichtfüßigen<lb/>
Prieſtern durch Hinterthüren und Schlafzimmer nachſetzten. Wer<lb/>
annimmt, daß ſolche in mir auftauchende kritiſche Erwägungen<lb/>ſofort in Geſtalt einer Cabinetskriſis zwiſchen Falk und mir ſich<lb/>
hätten verkörpern laſſen, dem fehlt das richtige, nur durch Erfah¬<lb/>
rung zu gewinnende Urtheil über die Lenkbarkeit der Staatsmaſchine<lb/>
in ſich und in ihrem Zuſammenhange mit dem Monarchen und<lb/>
den Parlamentswahlen. Dieſe Maſchine iſt zu plötzlichen Evolu¬<lb/>
tionen nicht im Stande, und Miniſter von der Begabung Falks<lb/>
wachſen bei uns nicht wild. Es war richtiger, einen Kampfgenoſſen<lb/>
von dieſer Befähigung und Tapferkeit in dem Miniſterium zu haben,<lb/>
als durch Eingriffe in die verfaſſungsmäßige Unabhängigkeit ſeines<lb/>
Reſſorts die Verantwortlichkeit für die Verwaltung oder Neubeſetzung<lb/>
des Cultusminiſteriums auf mich zu nehmen. Ich bin in dieſer Auf¬<lb/>
faſſung verharrt, ſo lange ich Falk zum Bleiben zu bewegen vermochte.<lb/>
Erſt nachdem er gegen meinen Wunſch durch weibliche Hofeinflüſſe<lb/>
und ungnädige königliche Handſchreiben derartig verſtimmt worden<lb/>
war, daß er ſich nicht halten ließ, bin ich an eine Reviſion ſeiner<lb/>
Hinterlaſſenſchaft gegangen, der ich nicht näher treten wollte, ſo<lb/>
lange das nur durch Bruch mit ihm möglich war.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[130/0154]
Vierundzwanzigſtes Kapitel: Culturkampf.
III.
Auf die juriſtiſche Detailarbeit der Maigeſetze würde ich nie
verfallen ſein; ſie lag mir reſſortmäßig fern, und weder in meiner
Abſicht, noch in meiner Befähigung lag es, Falk als Juriſten zu con¬
trolliren oder zu corrigiren. Ich konnte als Miniſterpräſident über¬
haupt nicht gleichzeitig den Dienſt des Cultusminiſters thun, auch
wenn ich vollkommen geſund geweſen wäre. Erſt durch die Praxis
überzeugte ich mich, daß die juriſtiſchen Einzelheiten pſychologiſch
nicht richtig gegriffen waren. Der Mißgriff wurde mir klar an
dem Bilde ehrlicher, aber ungeſchickter preußiſcher Gendarmen, die
mit Sporen und Schleppſäbel hinter gewandten und leichtfüßigen
Prieſtern durch Hinterthüren und Schlafzimmer nachſetzten. Wer
annimmt, daß ſolche in mir auftauchende kritiſche Erwägungen
ſofort in Geſtalt einer Cabinetskriſis zwiſchen Falk und mir ſich
hätten verkörpern laſſen, dem fehlt das richtige, nur durch Erfah¬
rung zu gewinnende Urtheil über die Lenkbarkeit der Staatsmaſchine
in ſich und in ihrem Zuſammenhange mit dem Monarchen und
den Parlamentswahlen. Dieſe Maſchine iſt zu plötzlichen Evolu¬
tionen nicht im Stande, und Miniſter von der Begabung Falks
wachſen bei uns nicht wild. Es war richtiger, einen Kampfgenoſſen
von dieſer Befähigung und Tapferkeit in dem Miniſterium zu haben,
als durch Eingriffe in die verfaſſungsmäßige Unabhängigkeit ſeines
Reſſorts die Verantwortlichkeit für die Verwaltung oder Neubeſetzung
des Cultusminiſteriums auf mich zu nehmen. Ich bin in dieſer Auf¬
faſſung verharrt, ſo lange ich Falk zum Bleiben zu bewegen vermochte.
Erſt nachdem er gegen meinen Wunſch durch weibliche Hofeinflüſſe
und ungnädige königliche Handſchreiben derartig verſtimmt worden
war, daß er ſich nicht halten ließ, bin ich an eine Reviſion ſeiner
Hinterlaſſenſchaft gegangen, der ich nicht näher treten wollte, ſo
lange das nur durch Bruch mit ihm möglich war.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/154>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.