Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite
Sechsundzwanzigstes Kapitel.
Intrigen.
I.

Graf Harry Arnim vertrug wenig Wein und sagte mir ein¬
mal nach einem Frühstücksglase: "In jedem Vordermanne in der
Carriere sehe ich einen persönlichen Feind und behandle ihn dem¬
entsprechend. Nur darf er es nicht merken, so lange er mein Vor¬
gesetzter ist." Es war dies in der Zeit, als er nach dem Tode
seiner ersten Frau aus Rom zurückgekommen, durch eine italienische
Amme seines Sohnes in roth und gold Aufsehn auf den Pro¬
menaden erregte und in politischen Gesprächen gern Macchiavell
und die Werke italienischer Jesuiten und Biographen citirte. Er
posirte damals in der Rolle eines Ehrgeizigen, der keine Scrupel
kannte, spielte hinreißend Klavier und war vermöge seiner Schön¬
heit und Gewandheit gefährlich für die Damen, denen er den
Hof machte. Diese Gewandheit auszubilden, hatte er frühzeitig
begonnen, indem er als Schüler des Neustettiner Gymnasiums
von den Damen einer wandernden Schauspielertruppe sich in die
Lehre nehmen ließ und das mangelnde Orchester am Clavier
ersetzte.

Unter den Persönlichkeiten, die neben ausländischen Ein¬
flüssen, neben der "Reichsglocke" und ihren Mitarbeitern in aristo¬

Sechsundzwanzigſtes Kapitel.
Intrigen.
I.

Graf Harry Arnim vertrug wenig Wein und ſagte mir ein¬
mal nach einem Frühſtücksglaſe: „In jedem Vordermanne in der
Carrière ſehe ich einen perſönlichen Feind und behandle ihn dem¬
entſprechend. Nur darf er es nicht merken, ſo lange er mein Vor¬
geſetzter iſt.“ Es war dies in der Zeit, als er nach dem Tode
ſeiner erſten Frau aus Rom zurückgekommen, durch eine italieniſche
Amme ſeines Sohnes in roth und gold Aufſehn auf den Pro¬
menaden erregte und in politiſchen Geſprächen gern Macchiavell
und die Werke italieniſcher Jeſuiten und Biographen citirte. Er
poſirte damals in der Rolle eines Ehrgeizigen, der keine Scrupel
kannte, ſpielte hinreißend Klavier und war vermöge ſeiner Schön¬
heit und Gewandheit gefährlich für die Damen, denen er den
Hof machte. Dieſe Gewandheit auszubilden, hatte er frühzeitig
begonnen, indem er als Schüler des Neuſtettiner Gymnaſiums
von den Damen einer wandernden Schauſpielertruppe ſich in die
Lehre nehmen ließ und das mangelnde Orcheſter am Clavier
erſetzte.

Unter den Perſönlichkeiten, die neben ausländiſchen Ein¬
flüſſen, neben der „Reichsglocke“ und ihren Mitarbeitern in ariſto¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0186" n="[162]"/>
      <div n="1">
        <head>Sechsundzwanzig&#x017F;tes Kapitel.<lb/><hi rendition="#b">Intrigen.</hi><lb/></head>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#aq">I.</hi><lb/>
          </head>
          <p><hi rendition="#in">G</hi>raf Harry Arnim vertrug wenig Wein und &#x017F;agte mir ein¬<lb/>
mal nach einem Früh&#x017F;tücksgla&#x017F;e: &#x201E;In jedem Vordermanne in der<lb/>
Carri<hi rendition="#aq">è</hi>re &#x017F;ehe ich einen per&#x017F;önlichen Feind und behandle ihn dem¬<lb/>
ent&#x017F;prechend. Nur darf er es nicht merken, &#x017F;o lange er mein Vor¬<lb/>
ge&#x017F;etzter i&#x017F;t.&#x201C; Es war dies in der Zeit, als er nach dem Tode<lb/>
&#x017F;einer er&#x017F;ten Frau aus Rom zurückgekommen, durch eine italieni&#x017F;che<lb/>
Amme &#x017F;eines Sohnes in roth und gold Auf&#x017F;ehn auf den Pro¬<lb/>
menaden erregte und in politi&#x017F;chen Ge&#x017F;prächen gern Macchiavell<lb/>
und die Werke italieni&#x017F;cher Je&#x017F;uiten und Biographen citirte. Er<lb/>
po&#x017F;irte damals in der Rolle eines Ehrgeizigen, der keine Scrupel<lb/>
kannte, &#x017F;pielte hinreißend Klavier und war vermöge &#x017F;einer Schön¬<lb/>
heit und Gewandheit gefährlich für die Damen, denen er den<lb/>
Hof machte. Die&#x017F;e Gewandheit auszubilden, hatte er frühzeitig<lb/>
begonnen, indem er als Schüler des Neu&#x017F;tettiner Gymna&#x017F;iums<lb/>
von den Damen einer wandernden Schau&#x017F;pielertruppe &#x017F;ich in die<lb/>
Lehre nehmen ließ und das mangelnde Orche&#x017F;ter am Clavier<lb/>
er&#x017F;etzte.</p><lb/>
          <p>Unter den Per&#x017F;önlichkeiten, die neben ausländi&#x017F;chen Ein¬<lb/>
flü&#x017F;&#x017F;en, neben der &#x201E;Reichsglocke&#x201C; und ihren Mitarbeitern in ari&#x017F;to¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[162]/0186] Sechsundzwanzigſtes Kapitel. Intrigen. I. Graf Harry Arnim vertrug wenig Wein und ſagte mir ein¬ mal nach einem Frühſtücksglaſe: „In jedem Vordermanne in der Carrière ſehe ich einen perſönlichen Feind und behandle ihn dem¬ entſprechend. Nur darf er es nicht merken, ſo lange er mein Vor¬ geſetzter iſt.“ Es war dies in der Zeit, als er nach dem Tode ſeiner erſten Frau aus Rom zurückgekommen, durch eine italieniſche Amme ſeines Sohnes in roth und gold Aufſehn auf den Pro¬ menaden erregte und in politiſchen Geſprächen gern Macchiavell und die Werke italieniſcher Jeſuiten und Biographen citirte. Er poſirte damals in der Rolle eines Ehrgeizigen, der keine Scrupel kannte, ſpielte hinreißend Klavier und war vermöge ſeiner Schön¬ heit und Gewandheit gefährlich für die Damen, denen er den Hof machte. Dieſe Gewandheit auszubilden, hatte er frühzeitig begonnen, indem er als Schüler des Neuſtettiner Gymnaſiums von den Damen einer wandernden Schauſpielertruppe ſich in die Lehre nehmen ließ und das mangelnde Orcheſter am Clavier erſetzte. Unter den Perſönlichkeiten, die neben ausländiſchen Ein¬ flüſſen, neben der „Reichsglocke“ und ihren Mitarbeitern in ariſto¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/186
Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. [162]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/186>, abgerufen am 23.11.2024.