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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Graf Harry Arnim.
kratischen und Hofkreisen und in den Ministerien meiner Collegen,
neben dem verstimmten Junkerthume und dessen Aera-Artikeln
in der Kreuzzeitung, daran arbeiteten, mir das Vertrauen des
Kaisers zu entziehn, spielte Graf Harry Arnim eine hervorragende
Rolle.

Am 23. August 1871 wurde er auf meinen Antrag zum Ge¬
sandten, demnächst zum Botschafter in Paris ernannt, wo ich seine
hohe Begabung trotz seiner Fehler im Interesse des Dienstes nütz¬
lich zu verwerthen hoffte; er sah in seiner Stellung dort aber nur
eine Stufe, von der aus er mit mehr Erfolg daran arbeiten konnte,
mich zu beseitigen und mein Nachfolger zu werden. Er machte in
Privatbriefen an den Kaiser geltend, daß das preußische Königs¬
haus gegenwärtig das älteste in Europa sei, das sich in ununter¬
brochner Regirung erhalten habe, und daß dem Kaiser, als dem
doyen der Monarchen, durch diese Gnade Gottes eine Verpflichtung
erwachse, die Legitimität und Continuität andrer alter Dynastien zu
überwachen und zu schützen. Die Berührung dieser Saite im Ge¬
müthe des Kaisers war psychologisch richtig berechnet, und wenn
Arnim allein ihn zu berathen gehabt hätte, so wäre es ihm viel¬
leicht gelungen, das klare und nüchterne Urtheil dieses Herrn durch
ein künstlich gesteigertes Gefühl von angestammter Fürstenpflicht zu
trüben. Aber er wußte nicht, daß Se. Majestät mir in seiner
graden und ehrlichen Weise die Briefe mittheilte und dadurch Ge¬
legenheit gab, der politischen Einsicht, man könnte sagen, dem ge¬
sunden Verstande des Herrn die Schäden und Gefahren der Rath¬
schläge darzulegen, denen wir auf dem von Arnim empfohlenen
Wege der Herstellung der Legitimität in Frankreich entgegengehn
würden.

Meine schriftlichen Auslassungen in diesem Sinne erlaubte der
Kaiser später Arnimschen Schmähschriften gegenüber zu veröffent¬
lichen. In einer derselben ist Bezug darauf genommen, daß dem
Könige bekannt sei, daß Arnims Aufrichtigkeit in maßgebenden
Kreisen angezweifelt werde, und daß man ihn am englischen Hofe

Graf Harry Arnim.
kratiſchen und Hofkreiſen und in den Miniſterien meiner Collegen,
neben dem verſtimmten Junkerthume und deſſen Aera-Artikeln
in der Kreuzzeitung, daran arbeiteten, mir das Vertrauen des
Kaiſers zu entziehn, ſpielte Graf Harry Arnim eine hervorragende
Rolle.

Am 23. Auguſt 1871 wurde er auf meinen Antrag zum Ge¬
ſandten, demnächſt zum Botſchafter in Paris ernannt, wo ich ſeine
hohe Begabung trotz ſeiner Fehler im Intereſſe des Dienſtes nütz¬
lich zu verwerthen hoffte; er ſah in ſeiner Stellung dort aber nur
eine Stufe, von der aus er mit mehr Erfolg daran arbeiten konnte,
mich zu beſeitigen und mein Nachfolger zu werden. Er machte in
Privatbriefen an den Kaiſer geltend, daß das preußiſche Königs¬
haus gegenwärtig das älteſte in Europa ſei, das ſich in ununter¬
brochner Regirung erhalten habe, und daß dem Kaiſer, als dem
doyen der Monarchen, durch dieſe Gnade Gottes eine Verpflichtung
erwachſe, die Legitimität und Continuität andrer alter Dynaſtien zu
überwachen und zu ſchützen. Die Berührung dieſer Saite im Ge¬
müthe des Kaiſers war pſychologiſch richtig berechnet, und wenn
Arnim allein ihn zu berathen gehabt hätte, ſo wäre es ihm viel¬
leicht gelungen, das klare und nüchterne Urtheil dieſes Herrn durch
ein künſtlich geſteigertes Gefühl von angeſtammter Fürſtenpflicht zu
trüben. Aber er wußte nicht, daß Se. Majeſtät mir in ſeiner
graden und ehrlichen Weiſe die Briefe mittheilte und dadurch Ge¬
legenheit gab, der politiſchen Einſicht, man könnte ſagen, dem ge¬
ſunden Verſtande des Herrn die Schäden und Gefahren der Rath¬
ſchläge darzulegen, denen wir auf dem von Arnim empfohlenen
Wege der Herſtellung der Legitimität in Frankreich entgegengehn
würden.

Meine ſchriftlichen Auslaſſungen in dieſem Sinne erlaubte der
Kaiſer ſpäter Arnimſchen Schmähſchriften gegenüber zu veröffent¬
lichen. In einer derſelben iſt Bezug darauf genommen, daß dem
Könige bekannt ſei, daß Arnims Aufrichtigkeit in maßgebenden
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[163/0187] Graf Harry Arnim. kratiſchen und Hofkreiſen und in den Miniſterien meiner Collegen, neben dem verſtimmten Junkerthume und deſſen Aera-Artikeln in der Kreuzzeitung, daran arbeiteten, mir das Vertrauen des Kaiſers zu entziehn, ſpielte Graf Harry Arnim eine hervorragende Rolle. Am 23. Auguſt 1871 wurde er auf meinen Antrag zum Ge¬ ſandten, demnächſt zum Botſchafter in Paris ernannt, wo ich ſeine hohe Begabung trotz ſeiner Fehler im Intereſſe des Dienſtes nütz¬ lich zu verwerthen hoffte; er ſah in ſeiner Stellung dort aber nur eine Stufe, von der aus er mit mehr Erfolg daran arbeiten konnte, mich zu beſeitigen und mein Nachfolger zu werden. Er machte in Privatbriefen an den Kaiſer geltend, daß das preußiſche Königs¬ haus gegenwärtig das älteſte in Europa ſei, das ſich in ununter¬ brochner Regirung erhalten habe, und daß dem Kaiſer, als dem doyen der Monarchen, durch dieſe Gnade Gottes eine Verpflichtung erwachſe, die Legitimität und Continuität andrer alter Dynaſtien zu überwachen und zu ſchützen. Die Berührung dieſer Saite im Ge¬ müthe des Kaiſers war pſychologiſch richtig berechnet, und wenn Arnim allein ihn zu berathen gehabt hätte, ſo wäre es ihm viel¬ leicht gelungen, das klare und nüchterne Urtheil dieſes Herrn durch ein künſtlich geſteigertes Gefühl von angeſtammter Fürſtenpflicht zu trüben. Aber er wußte nicht, daß Se. Majeſtät mir in ſeiner graden und ehrlichen Weiſe die Briefe mittheilte und dadurch Ge¬ legenheit gab, der politiſchen Einſicht, man könnte ſagen, dem ge¬ ſunden Verſtande des Herrn die Schäden und Gefahren der Rath¬ ſchläge darzulegen, denen wir auf dem von Arnim empfohlenen Wege der Herſtellung der Legitimität in Frankreich entgegengehn würden. Meine ſchriftlichen Auslaſſungen in dieſem Sinne erlaubte der Kaiſer ſpäter Arnimſchen Schmähſchriften gegenüber zu veröffent¬ lichen. In einer derſelben iſt Bezug darauf genommen, daß dem Könige bekannt ſei, daß Arnims Aufrichtigkeit in maßgebenden Kreiſen angezweifelt werde, und daß man ihn am engliſchen Hofe

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/187>, abgerufen am 23.11.2024.