Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.Sechsundzwanzigstes Kapitel: Intrigen. abgelehnte Forderung der Herausgabe bestimmter, zweifellosamtlicher Bestandtheile der Botschaftsacten durchzusetzen. Mir kam es nur darauf an, als Vorgesetzter die amtliche Autorität zu wahren; ein Straferkenntniß gegen Arnim habe ich weder er¬ strebt noch erwartet, im Gegentheile würde ich, nachdem ein solches erfolgt war, seine Begnadigung wirksam befürwortet haben, wenn dieselbe in der durch das Contumacial-Erkennt¬ niß geschaffenen Lage juristisch zulässig gewesen wäre. Mich trieb keine persönliche Rachsucht, sondern, wenn man eine tadelnde Bezeichnung finden will, eher bürokratische Rechthaberei eines in seiner Autorität mißachteten Vorgesetzten. War schon das Erkennt¬ niß in dem ersten Proceß auf neun Monat Gefängniß ein meiner Ansicht nach übertrieben strenges, so war die Verurtheilung in dem zweiten Processe zu fünf Jahren Zuchthaus doch nur, wie der Ver¬ urtheilte selbst richtig bemerkt hat, dadurch möglich geworden, daß der regelmäßige Strafrichter nicht in der Lage ist, die Sünden der Diplomatie in internationalen Verhandlungen mit vollem Verständ¬ nisse zu beurtheilen. Dieses Erkenntniß würde ich nur dann für adäquat gehalten haben, wenn der Verdacht erwiesen gewesen wäre, daß der Verurtheilte seine Verbindungen mit dem Baron Hirsch benutzt hätte, um die Verzögerung der Ausführung seiner Instruc¬ tionen Börsenspeculationen dienstbar zu machen. Ein Beweis dafür ist in dem Gerichtsverfahren weder geführt, noch versucht worden. Die Annahme, daß er lediglich aus geschäftlichen Gründen die Ausführung einer präcisen Weisung unterlassen habe, blieb immerhin zu seinen Gunsten möglich, obschon ich mir den Ge¬ dankengang, dem er dabei gefolgt sein müßte, nicht klar machen kann. Der erwähnte Verdacht ist aber meinerseits nicht aus¬ gesprochen worden, obschon er dem Auswärtigen Amte und der Hofgesellschaft durch Pariser Correspondenzen und Reisende mit¬ getheilt worden war und in diesen Kreisen colportirt wurde. Es war ein Verlust für den diplomatischen Dienst bei uns, daß die ungewöhnliche Begabung Arnims für diesen Dienst nicht Sechsundzwanzigſtes Kapitel: Intrigen. abgelehnte Forderung der Herausgabe beſtimmter, zweifellosamtlicher Beſtandtheile der Botſchaftsacten durchzuſetzen. Mir kam es nur darauf an, als Vorgeſetzter die amtliche Autorität zu wahren; ein Straferkenntniß gegen Arnim habe ich weder er¬ ſtrebt noch erwartet, im Gegentheile würde ich, nachdem ein ſolches erfolgt war, ſeine Begnadigung wirkſam befürwortet haben, wenn dieſelbe in der durch das Contumacial-Erkennt¬ niß geſchaffenen Lage juriſtiſch zuläſſig geweſen wäre. Mich trieb keine perſönliche Rachſucht, ſondern, wenn man eine tadelnde Bezeichnung finden will, eher bürokratiſche Rechthaberei eines in ſeiner Autorität mißachteten Vorgeſetzten. War ſchon das Erkennt¬ niß in dem erſten Proceß auf neun Monat Gefängniß ein meiner Anſicht nach übertrieben ſtrenges, ſo war die Verurtheilung in dem zweiten Proceſſe zu fünf Jahren Zuchthaus doch nur, wie der Ver¬ urtheilte ſelbſt richtig bemerkt hat, dadurch möglich geworden, daß der regelmäßige Strafrichter nicht in der Lage iſt, die Sünden der Diplomatie in internationalen Verhandlungen mit vollem Verſtänd¬ niſſe zu beurtheilen. Dieſes Erkenntniß würde ich nur dann für adäquat gehalten haben, wenn der Verdacht erwieſen geweſen wäre, daß der Verurtheilte ſeine Verbindungen mit dem Baron Hirſch benutzt hätte, um die Verzögerung der Ausführung ſeiner Inſtruc¬ tionen Börſenſpeculationen dienſtbar zu machen. Ein Beweis dafür iſt in dem Gerichtsverfahren weder geführt, noch verſucht worden. Die Annahme, daß er lediglich aus geſchäftlichen Gründen die Ausführung einer präciſen Weiſung unterlaſſen habe, blieb immerhin zu ſeinen Gunſten möglich, obſchon ich mir den Ge¬ dankengang, dem er dabei gefolgt ſein müßte, nicht klar machen kann. Der erwähnte Verdacht iſt aber meinerſeits nicht aus¬ geſprochen worden, obſchon er dem Auswärtigen Amte und der Hofgeſellſchaft durch Pariſer Correſpondenzen und Reiſende mit¬ getheilt worden war und in dieſen Kreiſen colportirt wurde. 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Sechsundzwanzigſtes Kapitel: Intrigen.
abgelehnte Forderung der Herausgabe beſtimmter, zweifellos
amtlicher Beſtandtheile der Botſchaftsacten durchzuſetzen. Mir kam
es nur darauf an, als Vorgeſetzter die amtliche Autorität zu
wahren; ein Straferkenntniß gegen Arnim habe ich weder er¬
ſtrebt noch erwartet, im Gegentheile würde ich, nachdem ein
ſolches erfolgt war, ſeine Begnadigung wirkſam befürwortet
haben, wenn dieſelbe in der durch das Contumacial-Erkennt¬
niß geſchaffenen Lage juriſtiſch zuläſſig geweſen wäre. Mich trieb
keine perſönliche Rachſucht, ſondern, wenn man eine tadelnde
Bezeichnung finden will, eher bürokratiſche Rechthaberei eines in
ſeiner Autorität mißachteten Vorgeſetzten. War ſchon das Erkennt¬
niß in dem erſten Proceß auf neun Monat Gefängniß ein meiner
Anſicht nach übertrieben ſtrenges, ſo war die Verurtheilung in dem
zweiten Proceſſe zu fünf Jahren Zuchthaus doch nur, wie der Ver¬
urtheilte ſelbſt richtig bemerkt hat, dadurch möglich geworden, daß
der regelmäßige Strafrichter nicht in der Lage iſt, die Sünden der
Diplomatie in internationalen Verhandlungen mit vollem Verſtänd¬
niſſe zu beurtheilen. Dieſes Erkenntniß würde ich nur dann für
adäquat gehalten haben, wenn der Verdacht erwieſen geweſen wäre,
daß der Verurtheilte ſeine Verbindungen mit dem Baron Hirſch
benutzt hätte, um die Verzögerung der Ausführung ſeiner Inſtruc¬
tionen Börſenſpeculationen dienſtbar zu machen. Ein Beweis
dafür iſt in dem Gerichtsverfahren weder geführt, noch verſucht
worden. Die Annahme, daß er lediglich aus geſchäftlichen Gründen
die Ausführung einer präciſen Weiſung unterlaſſen habe, blieb
immerhin zu ſeinen Gunſten möglich, obſchon ich mir den Ge¬
dankengang, dem er dabei gefolgt ſein müßte, nicht klar machen
kann. Der erwähnte Verdacht iſt aber meinerſeits nicht aus¬
geſprochen worden, obſchon er dem Auswärtigen Amte und der
Hofgeſellſchaft durch Pariſer Correſpondenzen und Reiſende mit¬
getheilt worden war und in dieſen Kreiſen colportirt wurde.
Es war ein Verluſt für den diplomatiſchen Dienſt bei uns,
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