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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Arnim und Gontaut-Biron. Katholische Hofströmungen.
Familie und Correspondenz. Alles Ausländische mit Ausnahme des
Russischen hatte für die Kaiserin dieselbe Anziehungskraft, wie
für so viele deutschen Kleinstädter. Bei den alten langsamen Ver¬
kehrsmitteln war früher an den deutschen Höfen ein Ausländer, be¬
sonders ein Engländer oder Franzose fast immer ein interessanter
Besuch, nach dessen Stellung in der Heimath nicht ängstlich gefragt
wurde; um ihn hoffähig zu machen, genügte es, daß er "weit her"
und eben kein Landsmann war.

Auf demselben Boden erwuchs in ausschließlich evangelischen
Kreisen das Interesse, welches die fremdartige Erscheinung eines
Katholiken und, am Hofe, eines Würdenträgers der katholischen
Kirche, damals einflößte. Es war zur Zeit Friedrich Wilhelms III.
eine interessante Unterbrechung der Einförmigkeit, wenn Jemand
katholisch war. Ein katholischer Mitschüler wurde ohne jedes con¬
fessionelle Uebelwollen mit einer Art von Verwunderung wie eine
exotische Erscheinung und nicht ohne Befriedigung darüber betrachtet,
daß ihm von der Bartholomäusnacht, von Scheiterhaufen und dem
dreißigjährigen Kriege nichts anzumerken war. Im Hause des
Professors von Savigny, dessen Frau katholisch war, wurde den
Kindern, wenn sie 14 Jahre alt waren, die Wahl der Confession
freigestellt; sie folgten der evangelischen Confession des Vaters
mit Ausnahme meines Altersgenossen, des nachmaligen Bundestags¬
gesandten und Mitbegründers des Centrums. In der Zeit, als
wir Beide Primaner oder Studenten waren, sprach er ohne pole¬
mische Färbung über die Motive der getroffenen Wahl und führte
dabei die imponirende Würde des katholischen Gottesdienstes, dann
aber auch den Grund an, katholisch sei doch im Ganzen vor¬
nehmer, "protestantisch ist ja jeder dumme Junge".

Diese Verhältnisse und Stimmungen haben sich geändert in
dem halben Jahrhundert, in dem die politische und wirthschaft¬
liche Entwicklung alle Varietäten der Bevölkerung nicht blos Europas
mit einander in nähere Berührung gebracht hat. Heut zu Tage
kann man durch die Kundgebung, katholisch zu sein, in keinem Ver¬

Arnim und Gontaut-Biron. Katholiſche Hofſtrömungen.
Familie und Correſpondenz. Alles Ausländiſche mit Ausnahme des
Ruſſiſchen hatte für die Kaiſerin dieſelbe Anziehungskraft, wie
für ſo viele deutſchen Kleinſtädter. Bei den alten langſamen Ver¬
kehrsmitteln war früher an den deutſchen Höfen ein Ausländer, be¬
ſonders ein Engländer oder Franzoſe faſt immer ein intereſſanter
Beſuch, nach deſſen Stellung in der Heimath nicht ängſtlich gefragt
wurde; um ihn hoffähig zu machen, genügte es, daß er „weit her“
und eben kein Landsmann war.

Auf demſelben Boden erwuchs in ausſchließlich evangeliſchen
Kreiſen das Intereſſe, welches die fremdartige Erſcheinung eines
Katholiken und, am Hofe, eines Würdenträgers der katholiſchen
Kirche, damals einflößte. Es war zur Zeit Friedrich Wilhelms III.
eine intereſſante Unterbrechung der Einförmigkeit, wenn Jemand
katholiſch war. Ein katholiſcher Mitſchüler wurde ohne jedes con¬
feſſionelle Uebelwollen mit einer Art von Verwunderung wie eine
exotiſche Erſcheinung und nicht ohne Befriedigung darüber betrachtet,
daß ihm von der Bartholomäusnacht, von Scheiterhaufen und dem
dreißigjährigen Kriege nichts anzumerken war. Im Hauſe des
Profeſſors von Savigny, deſſen Frau katholiſch war, wurde den
Kindern, wenn ſie 14 Jahre alt waren, die Wahl der Confeſſion
freigeſtellt; ſie folgten der evangeliſchen Confeſſion des Vaters
mit Ausnahme meines Altersgenoſſen, des nachmaligen Bundestags¬
geſandten und Mitbegründers des Centrums. In der Zeit, als
wir Beide Primaner oder Studenten waren, ſprach er ohne pole¬
miſche Färbung über die Motive der getroffenen Wahl und führte
dabei die imponirende Würde des katholiſchen Gottesdienſtes, dann
aber auch den Grund an, katholiſch ſei doch im Ganzen vor¬
nehmer, „proteſtantiſch iſt ja jeder dumme Junge“.

Dieſe Verhältniſſe und Stimmungen haben ſich geändert in
dem halben Jahrhundert, in dem die politiſche und wirthſchaft¬
liche Entwicklung alle Varietäten der Bevölkerung nicht blos Europas
mit einander in nähere Berührung gebracht hat. Heut zu Tage
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[171/0195] Arnim und Gontaut-Biron. Katholiſche Hofſtrömungen. Familie und Correſpondenz. Alles Ausländiſche mit Ausnahme des Ruſſiſchen hatte für die Kaiſerin dieſelbe Anziehungskraft, wie für ſo viele deutſchen Kleinſtädter. Bei den alten langſamen Ver¬ kehrsmitteln war früher an den deutſchen Höfen ein Ausländer, be¬ ſonders ein Engländer oder Franzoſe faſt immer ein intereſſanter Beſuch, nach deſſen Stellung in der Heimath nicht ängſtlich gefragt wurde; um ihn hoffähig zu machen, genügte es, daß er „weit her“ und eben kein Landsmann war. Auf demſelben Boden erwuchs in ausſchließlich evangeliſchen Kreiſen das Intereſſe, welches die fremdartige Erſcheinung eines Katholiken und, am Hofe, eines Würdenträgers der katholiſchen Kirche, damals einflößte. Es war zur Zeit Friedrich Wilhelms III. eine intereſſante Unterbrechung der Einförmigkeit, wenn Jemand katholiſch war. Ein katholiſcher Mitſchüler wurde ohne jedes con¬ feſſionelle Uebelwollen mit einer Art von Verwunderung wie eine exotiſche Erſcheinung und nicht ohne Befriedigung darüber betrachtet, daß ihm von der Bartholomäusnacht, von Scheiterhaufen und dem dreißigjährigen Kriege nichts anzumerken war. Im Hauſe des Profeſſors von Savigny, deſſen Frau katholiſch war, wurde den Kindern, wenn ſie 14 Jahre alt waren, die Wahl der Confeſſion freigeſtellt; ſie folgten der evangeliſchen Confeſſion des Vaters mit Ausnahme meines Altersgenoſſen, des nachmaligen Bundestags¬ geſandten und Mitbegründers des Centrums. In der Zeit, als wir Beide Primaner oder Studenten waren, ſprach er ohne pole¬ miſche Färbung über die Motive der getroffenen Wahl und führte dabei die imponirende Würde des katholiſchen Gottesdienſtes, dann aber auch den Grund an, katholiſch ſei doch im Ganzen vor¬ nehmer, „proteſtantiſch iſt ja jeder dumme Junge“. Dieſe Verhältniſſe und Stimmungen haben ſich geändert in dem halben Jahrhundert, in dem die politiſche und wirthſchaft¬ liche Entwicklung alle Varietäten der Bevölkerung nicht blos Europas mit einander in nähere Berührung gebracht hat. Heut zu Tage kann man durch die Kundgebung, katholiſch zu ſein, in keinem Ver¬

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/195>, abgerufen am 23.11.2024.