Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.Sechsundzwanzigstes Kapitel: Intrigen. liner Kreise mehr Aufsehn erregen oder auch nur einen Eindruckmachen. Nur die Kaiserin Augusta ist von ihren Jugendeindrücken nicht frei geworden. Ein katholischer Geistlicher erschien ihr vor¬ nehmer als ein evangelischer von gleichem Range und von gleicher Bedeutung. Die Aufgabe, einen Franzosen oder Engländer zu ge¬ winnen, hatte für sie mehr Anziehung als dieselbe Aufgabe einem Landsmanne gegenüber, und der Beifall der Katholiken wirkte be¬ friedigender als der der Glaubensgenossen. Gontaut-Biron, dazu aus vornehmer Familie, hatte keine Schwierigkeit, sich in den Hof¬ kreisen eine Stellung zu schaffen, deren Verbindungen auf mehr als einem Wege an die Person des Kaisers heranreichten. Daß die Kaiserin in der Person Gerards einen französischen Gontauts Thätigkeit im Dienste Frankreichs beschränkte sich Sechsundzwanzigſtes Kapitel: Intrigen. liner Kreiſe mehr Aufſehn erregen oder auch nur einen Eindruckmachen. Nur die Kaiſerin Auguſta iſt von ihren Jugendeindrücken nicht frei geworden. Ein katholiſcher Geiſtlicher erſchien ihr vor¬ nehmer als ein evangeliſcher von gleichem Range und von gleicher Bedeutung. Die Aufgabe, einen Franzoſen oder Engländer zu ge¬ winnen, hatte für ſie mehr Anziehung als dieſelbe Aufgabe einem Landsmanne gegenüber, und der Beifall der Katholiken wirkte be¬ friedigender als der der Glaubensgenoſſen. Gontaut-Biron, dazu aus vornehmer Familie, hatte keine Schwierigkeit, ſich in den Hof¬ kreiſen eine Stellung zu ſchaffen, deren Verbindungen auf mehr als einem Wege an die Perſon des Kaiſers heranreichten. Daß die Kaiſerin in der Perſon Gérards einen franzöſiſchen Gontauts Thätigkeit im Dienſte Frankreichs beſchränkte ſich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0196" n="172"/><fw place="top" type="header">Sechsundzwanzigſtes Kapitel: Intrigen.<lb/></fw>liner Kreiſe mehr Aufſehn erregen oder auch nur einen Eindruck<lb/> machen. Nur die Kaiſerin Auguſta iſt von ihren Jugendeindrücken<lb/> nicht frei geworden. Ein katholiſcher Geiſtlicher erſchien ihr vor¬<lb/> nehmer als ein evangeliſcher von gleichem Range und von gleicher<lb/> Bedeutung. Die Aufgabe, einen Franzoſen oder Engländer zu ge¬<lb/> winnen, hatte für ſie mehr Anziehung als dieſelbe Aufgabe einem<lb/> Landsmanne gegenüber, und der Beifall der Katholiken wirkte be¬<lb/> friedigender als der der Glaubensgenoſſen. Gontaut-Biron, dazu<lb/> aus vornehmer Familie, hatte keine Schwierigkeit, ſich in den Hof¬<lb/> kreiſen eine Stellung zu ſchaffen, deren Verbindungen auf mehr als<lb/> einem Wege an die Perſon des Kaiſers heranreichten.</p><lb/> <p>Daß die Kaiſerin in der Perſon G<hi rendition="#aq">é</hi>rards einen franzöſiſchen<lb/> geheimen Agenten zu ihrem Vorleſer nahm, iſt eine Abnormität,<lb/> deren Möglichkeit ohne das Vertrauen, welches Gontaut durch<lb/> ſeine Geſchicklichkeit und durch die Mitwirkung eines Theils der<lb/> katholiſchen Umgebung Ihrer Majeſtät genoß, nicht verſtändlich<lb/> iſt. Für die franzöſiſche Politik und die Stellung des franzöſiſchen<lb/> Botſchafters in Berlin war es natürlich ein erheblicher Vortheil, einen<lb/> Mann wie G<hi rendition="#aq">é</hi>rard in dem kaiſerlichen Haushalte zu ſehn. Der¬<lb/> ſelbe war gewandt bis auf die Unfähigkeit, ſeine Eitelkeit im Aeußern<lb/> zu unterdrücken. Er liebte es, als Muſter der neuſten Pariſer<lb/> Mode zu erſcheinen, in einer für Berlin auffälligen Uebertreibung,<lb/> ein Mißgriff, durch welchen er ſich indeſſen in dem Palais nicht<lb/> ſchadete. Das Intereſſe für exotiſche und beſonders Pariſer Typen<lb/> war mächtiger als der Sinn für einfachen Geſchmack.</p><lb/> <p>Gontauts Thätigkeit im Dienſte Frankreichs beſchränkte ſich<lb/> nicht auf das Berliner Terrain. Er reiſte 1875 nach Petersburg,<lb/> um dort mit dem Fürſten Gortſchakow den Theatercoup einzuleiten,<lb/> welcher bei dem bevorſtehenden Beſuche des Kaiſers Alexander in<lb/> Berlin die Welt glauben machen ſollte, daß er allein das wehrloſe<lb/> Frankreich vor einem deutſchen Ueberfall bewahrt habe, indem er<lb/> uns mit einem <hi rendition="#aq">Quos ego</hi>! in den Arm gegriffen und zu dem<lb/> Zweck den Kaiſer nach Berlin begleitet habe.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [172/0196]
Sechsundzwanzigſtes Kapitel: Intrigen.
liner Kreiſe mehr Aufſehn erregen oder auch nur einen Eindruck
machen. Nur die Kaiſerin Auguſta iſt von ihren Jugendeindrücken
nicht frei geworden. Ein katholiſcher Geiſtlicher erſchien ihr vor¬
nehmer als ein evangeliſcher von gleichem Range und von gleicher
Bedeutung. Die Aufgabe, einen Franzoſen oder Engländer zu ge¬
winnen, hatte für ſie mehr Anziehung als dieſelbe Aufgabe einem
Landsmanne gegenüber, und der Beifall der Katholiken wirkte be¬
friedigender als der der Glaubensgenoſſen. Gontaut-Biron, dazu
aus vornehmer Familie, hatte keine Schwierigkeit, ſich in den Hof¬
kreiſen eine Stellung zu ſchaffen, deren Verbindungen auf mehr als
einem Wege an die Perſon des Kaiſers heranreichten.
Daß die Kaiſerin in der Perſon Gérards einen franzöſiſchen
geheimen Agenten zu ihrem Vorleſer nahm, iſt eine Abnormität,
deren Möglichkeit ohne das Vertrauen, welches Gontaut durch
ſeine Geſchicklichkeit und durch die Mitwirkung eines Theils der
katholiſchen Umgebung Ihrer Majeſtät genoß, nicht verſtändlich
iſt. Für die franzöſiſche Politik und die Stellung des franzöſiſchen
Botſchafters in Berlin war es natürlich ein erheblicher Vortheil, einen
Mann wie Gérard in dem kaiſerlichen Haushalte zu ſehn. Der¬
ſelbe war gewandt bis auf die Unfähigkeit, ſeine Eitelkeit im Aeußern
zu unterdrücken. Er liebte es, als Muſter der neuſten Pariſer
Mode zu erſcheinen, in einer für Berlin auffälligen Uebertreibung,
ein Mißgriff, durch welchen er ſich indeſſen in dem Palais nicht
ſchadete. Das Intereſſe für exotiſche und beſonders Pariſer Typen
war mächtiger als der Sinn für einfachen Geſchmack.
Gontauts Thätigkeit im Dienſte Frankreichs beſchränkte ſich
nicht auf das Berliner Terrain. Er reiſte 1875 nach Petersburg,
um dort mit dem Fürſten Gortſchakow den Theatercoup einzuleiten,
welcher bei dem bevorſtehenden Beſuche des Kaiſers Alexander in
Berlin die Welt glauben machen ſollte, daß er allein das wehrloſe
Frankreich vor einem deutſchen Ueberfall bewahrt habe, indem er
uns mit einem Quos ego! in den Arm gegriffen und zu dem
Zweck den Kaiſer nach Berlin begleitet habe.
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