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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Sechsundzwanzigstes Kapitel: Intrigen.
liner Kreise mehr Aufsehn erregen oder auch nur einen Eindruck
machen. Nur die Kaiserin Augusta ist von ihren Jugendeindrücken
nicht frei geworden. Ein katholischer Geistlicher erschien ihr vor¬
nehmer als ein evangelischer von gleichem Range und von gleicher
Bedeutung. Die Aufgabe, einen Franzosen oder Engländer zu ge¬
winnen, hatte für sie mehr Anziehung als dieselbe Aufgabe einem
Landsmanne gegenüber, und der Beifall der Katholiken wirkte be¬
friedigender als der der Glaubensgenossen. Gontaut-Biron, dazu
aus vornehmer Familie, hatte keine Schwierigkeit, sich in den Hof¬
kreisen eine Stellung zu schaffen, deren Verbindungen auf mehr als
einem Wege an die Person des Kaisers heranreichten.

Daß die Kaiserin in der Person Gerards einen französischen
geheimen Agenten zu ihrem Vorleser nahm, ist eine Abnormität,
deren Möglichkeit ohne das Vertrauen, welches Gontaut durch
seine Geschicklichkeit und durch die Mitwirkung eines Theils der
katholischen Umgebung Ihrer Majestät genoß, nicht verständlich
ist. Für die französische Politik und die Stellung des französischen
Botschafters in Berlin war es natürlich ein erheblicher Vortheil, einen
Mann wie Gerard in dem kaiserlichen Haushalte zu sehn. Der¬
selbe war gewandt bis auf die Unfähigkeit, seine Eitelkeit im Aeußern
zu unterdrücken. Er liebte es, als Muster der neusten Pariser
Mode zu erscheinen, in einer für Berlin auffälligen Uebertreibung,
ein Mißgriff, durch welchen er sich indessen in dem Palais nicht
schadete. Das Interesse für exotische und besonders Pariser Typen
war mächtiger als der Sinn für einfachen Geschmack.

Gontauts Thätigkeit im Dienste Frankreichs beschränkte sich
nicht auf das Berliner Terrain. Er reiste 1875 nach Petersburg,
um dort mit dem Fürsten Gortschakow den Theatercoup einzuleiten,
welcher bei dem bevorstehenden Besuche des Kaisers Alexander in
Berlin die Welt glauben machen sollte, daß er allein das wehrlose
Frankreich vor einem deutschen Ueberfall bewahrt habe, indem er
uns mit einem Quos ego! in den Arm gegriffen und zu dem
Zweck den Kaiser nach Berlin begleitet habe.

Sechsundzwanzigſtes Kapitel: Intrigen.
liner Kreiſe mehr Aufſehn erregen oder auch nur einen Eindruck
machen. Nur die Kaiſerin Auguſta iſt von ihren Jugendeindrücken
nicht frei geworden. Ein katholiſcher Geiſtlicher erſchien ihr vor¬
nehmer als ein evangeliſcher von gleichem Range und von gleicher
Bedeutung. Die Aufgabe, einen Franzoſen oder Engländer zu ge¬
winnen, hatte für ſie mehr Anziehung als dieſelbe Aufgabe einem
Landsmanne gegenüber, und der Beifall der Katholiken wirkte be¬
friedigender als der der Glaubensgenoſſen. Gontaut-Biron, dazu
aus vornehmer Familie, hatte keine Schwierigkeit, ſich in den Hof¬
kreiſen eine Stellung zu ſchaffen, deren Verbindungen auf mehr als
einem Wege an die Perſon des Kaiſers heranreichten.

Daß die Kaiſerin in der Perſon Gérards einen franzöſiſchen
geheimen Agenten zu ihrem Vorleſer nahm, iſt eine Abnormität,
deren Möglichkeit ohne das Vertrauen, welches Gontaut durch
ſeine Geſchicklichkeit und durch die Mitwirkung eines Theils der
katholiſchen Umgebung Ihrer Majeſtät genoß, nicht verſtändlich
iſt. Für die franzöſiſche Politik und die Stellung des franzöſiſchen
Botſchafters in Berlin war es natürlich ein erheblicher Vortheil, einen
Mann wie Gérard in dem kaiſerlichen Haushalte zu ſehn. Der¬
ſelbe war gewandt bis auf die Unfähigkeit, ſeine Eitelkeit im Aeußern
zu unterdrücken. Er liebte es, als Muſter der neuſten Pariſer
Mode zu erſcheinen, in einer für Berlin auffälligen Uebertreibung,
ein Mißgriff, durch welchen er ſich indeſſen in dem Palais nicht
ſchadete. Das Intereſſe für exotiſche und beſonders Pariſer Typen
war mächtiger als der Sinn für einfachen Geſchmack.

Gontauts Thätigkeit im Dienſte Frankreichs beſchränkte ſich
nicht auf das Berliner Terrain. Er reiſte 1875 nach Petersburg,
um dort mit dem Fürſten Gortſchakow den Theatercoup einzuleiten,
welcher bei dem bevorſtehenden Beſuche des Kaiſers Alexander in
Berlin die Welt glauben machen ſollte, daß er allein das wehrloſe
Frankreich vor einem deutſchen Ueberfall bewahrt habe, indem er
uns mit einem Quos ego! in den Arm gegriffen und zu dem
Zweck den Kaiſer nach Berlin begleitet habe.

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[172/0196] Sechsundzwanzigſtes Kapitel: Intrigen. liner Kreiſe mehr Aufſehn erregen oder auch nur einen Eindruck machen. Nur die Kaiſerin Auguſta iſt von ihren Jugendeindrücken nicht frei geworden. Ein katholiſcher Geiſtlicher erſchien ihr vor¬ nehmer als ein evangeliſcher von gleichem Range und von gleicher Bedeutung. Die Aufgabe, einen Franzoſen oder Engländer zu ge¬ winnen, hatte für ſie mehr Anziehung als dieſelbe Aufgabe einem Landsmanne gegenüber, und der Beifall der Katholiken wirkte be¬ friedigender als der der Glaubensgenoſſen. Gontaut-Biron, dazu aus vornehmer Familie, hatte keine Schwierigkeit, ſich in den Hof¬ kreiſen eine Stellung zu ſchaffen, deren Verbindungen auf mehr als einem Wege an die Perſon des Kaiſers heranreichten. Daß die Kaiſerin in der Perſon Gérards einen franzöſiſchen geheimen Agenten zu ihrem Vorleſer nahm, iſt eine Abnormität, deren Möglichkeit ohne das Vertrauen, welches Gontaut durch ſeine Geſchicklichkeit und durch die Mitwirkung eines Theils der katholiſchen Umgebung Ihrer Majeſtät genoß, nicht verſtändlich iſt. Für die franzöſiſche Politik und die Stellung des franzöſiſchen Botſchafters in Berlin war es natürlich ein erheblicher Vortheil, einen Mann wie Gérard in dem kaiſerlichen Haushalte zu ſehn. Der¬ ſelbe war gewandt bis auf die Unfähigkeit, ſeine Eitelkeit im Aeußern zu unterdrücken. Er liebte es, als Muſter der neuſten Pariſer Mode zu erſcheinen, in einer für Berlin auffälligen Uebertreibung, ein Mißgriff, durch welchen er ſich indeſſen in dem Palais nicht ſchadete. Das Intereſſe für exotiſche und beſonders Pariſer Typen war mächtiger als der Sinn für einfachen Geſchmack. Gontauts Thätigkeit im Dienſte Frankreichs beſchränkte ſich nicht auf das Berliner Terrain. Er reiſte 1875 nach Petersburg, um dort mit dem Fürſten Gortſchakow den Theatercoup einzuleiten, welcher bei dem bevorſtehenden Beſuche des Kaiſers Alexander in Berlin die Welt glauben machen ſollte, daß er allein das wehrloſe Frankreich vor einem deutſchen Ueberfall bewahrt habe, indem er uns mit einem Quos ego! in den Arm gegriffen und zu dem Zweck den Kaiſer nach Berlin begleitet habe.

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/196>, abgerufen am 22.11.2024.