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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Sechsundzwanzigstes Kapitel: Intrigen.
ist. Man kann ja sagen, daß es für den Frieden nicht förderlich
ist, wenn Frankreich die Sicherheit hat, daß es unter keinen Um¬
ständen angegriffen wird, es möge thun, was es wolle. Ich würde
noch heut wie 1867 in der Luxemburger Frage Eurer Majestät
niemals zureden, einen Krieg um deswillen sofort zu führen, weil
wahrscheinlich ist, daß der Gegner ihn später besser gerüstet beginnen
werde; man kann die Wege der göttlichen Vorsehung dazu niemals
sicher genug im Voraus erkennen. Aber es ist auch nicht nützlich,
dem Gegner die Sicherheit zu geben, daß man seinen Angriff jeden¬
falls abwarten werde. Deshalb würde ich Münster noch nicht
tadeln, wenn er in solchem Sinne gelegentlich geredet hätte, und
die englische Regirung hätte deshalb noch kein Recht gehabt, auf
außeramtliche Reden eines Botschafters amtliche Schritte zu gründen,
und sans nous dire gare die andern Mächte zu einer Pression
auf uns aufzufordern. Ein so ernstes und unfreundliches Ver¬
fahren läßt doch vermuthen, daß die Königin Victoria noch andre
Gründe gehabt habe, an kriegerische Absichten zu glauben als ge¬
legentliche Gesprächswendungen des Grafen Münster, an die ich
nicht einmal glaube. Lord Russell hat versichert, daß er jederzeit
seinen festen Glauben an unsre friedlichen Absichten berichtet habe.
Dagegen haben alle Ultramontane und ihre Freunde uns heimlich
und öffentlich in der Presse angeklagt, den Krieg in kurzer Frist
zu wollen, und der französische Botschafter, der in diesen Kreisen
lebt, hat die Lügen derselben als sichre Nachrichten nach Paris
gegeben. Aber auch das würde im Grunde noch nicht hinreichen,
der Königin Victoria die Zuversicht und das Vertrauen zu den von
Eurer Majestät selbst dementirten Unwahrheiten zu geben, das Höchst¬
dieselbe noch in dem Briefe vom 20. Juni ausspricht. Ich bin
mit den Eigenthümlichkeiten der Königin zu wenig bekannt, um
eine Meinung darüber zu haben, ob es möglich ist, daß die Wen¬
dung, es sei ,ein Leichtes nachzuweisen', etwa nur den Zweck haben
könnte, eine Uebereilung, die einmal geschehn ist, zu maskiren, an¬
statt sie offen einzugestehn.

Sechsundzwanzigſtes Kapitel: Intrigen.
iſt. Man kann ja ſagen, daß es für den Frieden nicht förderlich
iſt, wenn Frankreich die Sicherheit hat, daß es unter keinen Um¬
ſtänden angegriffen wird, es möge thun, was es wolle. Ich würde
noch heut wie 1867 in der Luxemburger Frage Eurer Majeſtät
niemals zureden, einen Krieg um deswillen ſofort zu führen, weil
wahrſcheinlich iſt, daß der Gegner ihn ſpäter beſſer gerüſtet beginnen
werde; man kann die Wege der göttlichen Vorſehung dazu niemals
ſicher genug im Voraus erkennen. Aber es iſt auch nicht nützlich,
dem Gegner die Sicherheit zu geben, daß man ſeinen Angriff jeden¬
falls abwarten werde. Deshalb würde ich Münſter noch nicht
tadeln, wenn er in ſolchem Sinne gelegentlich geredet hätte, und
die engliſche Regirung hätte deshalb noch kein Recht gehabt, auf
außeramtliche Reden eines Botſchafters amtliche Schritte zu gründen,
und sans nous dire gare die andern Mächte zu einer Preſſion
auf uns aufzufordern. Ein ſo ernſtes und unfreundliches Ver¬
fahren läßt doch vermuthen, daß die Königin Victoria noch andre
Gründe gehabt habe, an kriegeriſche Abſichten zu glauben als ge¬
legentliche Geſprächswendungen des Grafen Münſter, an die ich
nicht einmal glaube. Lord Ruſſell hat verſichert, daß er jederzeit
ſeinen feſten Glauben an unſre friedlichen Abſichten berichtet habe.
Dagegen haben alle Ultramontane und ihre Freunde uns heimlich
und öffentlich in der Preſſe angeklagt, den Krieg in kurzer Friſt
zu wollen, und der franzöſiſche Botſchafter, der in dieſen Kreiſen
lebt, hat die Lügen derſelben als ſichre Nachrichten nach Paris
gegeben. Aber auch das würde im Grunde noch nicht hinreichen,
der Königin Victoria die Zuverſicht und das Vertrauen zu den von
Eurer Majeſtät ſelbſt dementirten Unwahrheiten zu geben, das Höchſt¬
dieſelbe noch in dem Briefe vom 20. Juni ausſpricht. Ich bin
mit den Eigenthümlichkeiten der Königin zu wenig bekannt, um
eine Meinung darüber zu haben, ob es möglich iſt, daß die Wen¬
dung, es ſei ,ein Leichtes nachzuweiſen‘, etwa nur den Zweck haben
könnte, eine Uebereilung, die einmal geſchehn iſt, zu maskiren, an¬
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[178/0202] Sechsundzwanzigſtes Kapitel: Intrigen. iſt. Man kann ja ſagen, daß es für den Frieden nicht förderlich iſt, wenn Frankreich die Sicherheit hat, daß es unter keinen Um¬ ſtänden angegriffen wird, es möge thun, was es wolle. Ich würde noch heut wie 1867 in der Luxemburger Frage Eurer Majeſtät niemals zureden, einen Krieg um deswillen ſofort zu führen, weil wahrſcheinlich iſt, daß der Gegner ihn ſpäter beſſer gerüſtet beginnen werde; man kann die Wege der göttlichen Vorſehung dazu niemals ſicher genug im Voraus erkennen. Aber es iſt auch nicht nützlich, dem Gegner die Sicherheit zu geben, daß man ſeinen Angriff jeden¬ falls abwarten werde. Deshalb würde ich Münſter noch nicht tadeln, wenn er in ſolchem Sinne gelegentlich geredet hätte, und die engliſche Regirung hätte deshalb noch kein Recht gehabt, auf außeramtliche Reden eines Botſchafters amtliche Schritte zu gründen, und sans nous dire gare die andern Mächte zu einer Preſſion auf uns aufzufordern. Ein ſo ernſtes und unfreundliches Ver¬ fahren läßt doch vermuthen, daß die Königin Victoria noch andre Gründe gehabt habe, an kriegeriſche Abſichten zu glauben als ge¬ legentliche Geſprächswendungen des Grafen Münſter, an die ich nicht einmal glaube. Lord Ruſſell hat verſichert, daß er jederzeit ſeinen feſten Glauben an unſre friedlichen Abſichten berichtet habe. Dagegen haben alle Ultramontane und ihre Freunde uns heimlich und öffentlich in der Preſſe angeklagt, den Krieg in kurzer Friſt zu wollen, und der franzöſiſche Botſchafter, der in dieſen Kreiſen lebt, hat die Lügen derſelben als ſichre Nachrichten nach Paris gegeben. Aber auch das würde im Grunde noch nicht hinreichen, der Königin Victoria die Zuverſicht und das Vertrauen zu den von Eurer Majeſtät ſelbſt dementirten Unwahrheiten zu geben, das Höchſt¬ dieſelbe noch in dem Briefe vom 20. Juni ausſpricht. Ich bin mit den Eigenthümlichkeiten der Königin zu wenig bekannt, um eine Meinung darüber zu haben, ob es möglich iſt, daß die Wen¬ dung, es ſei ,ein Leichtes nachzuweiſen‘, etwa nur den Zweck haben könnte, eine Uebereilung, die einmal geſchehn iſt, zu maskiren, an¬ ſtatt ſie offen einzugeſtehn.

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/202>, abgerufen am 21.11.2024.