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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Eine indiscrete Anfrage des russischen Kaisers.
mäßigen vertraulichen Verkehre am Hofe mit ihm gesprochen hatte,
und das war nicht selten viel mehr, als Gortschakow mit dem Bot¬
schafter sprach; der "Pruski Fligeladjudant", wie er am Hofe hieß,
sah den Kaiser fast täglich, jedenfalls viel öfter als Gortschakow,
der Kaiser sprach mit ihm nicht bloß über Militärisches, und die
Aufträge zu Bestellungen an unsern Herrn beschränkten sich nicht
auf Familienangelegenheiten. Die diplomatischen Verhandlungen
zwischen beiden Cabineten haben ihren Schwerpunkt, wie zur Zeit
Rauchs und Münsters, oft und lange mehr in den Berichten des
Militärbevollmächtigten als in denen der amtlich accreditirten Ge¬
sandten gefunden. Da indessen Kaiser Wilhelm niemals versäumte,
mir seine Correspondenz mit dem Militärbevollmächtigten in Peters¬
burg nachträglich, wenn auch oft zu spät, mitzutheilen, und poli¬
tische Entschlüsse nie ohne Erwägung an amtlicher Stelle faßte, so
beschränkten sich die Nachtheile dieses directen Verkehrs auf Ver¬
spätung von Informationen und Anzeigen, die in solchen Immediat¬
berichten enthalten waren. Es lag also außerhalb dieser Gewohn¬
heit im Geschäftsverkehr, daß Kaiser Alexander, ohne Zweifel auf
Anregung des Fürsten Gortschakow, Herrn von Werder als Organ
benutzte, um uns jene Doctorfrage vorzulegen. Gortschakow war
damals bemüht, seinem Kaiser zu beweisen, daß meine Ergebenheit
für ihn und meine Sympathie für Rußland unaufrichtig oder doch
nur "platonisch" sei, und sein Vertrauen zu mir zu erschüttern,
was ihm denn auch später gelungen ist.

Bevor ich die Werdersche Anfrage sachlich beantwortete, ver¬
suchte ich es mit dilatorischen Rückäußerungen, bezugnehmend auf
die Unmöglichkeit, mich auf eine solche Frage ohne höhere Ermächti¬
gung zu äußern, und empfahl auf wiederholtes Drängen, die Frage
auf amtlichem, wenn auch vertraulichem Wege durch den russischen
Botschafter in Berlin im Auswärtigen Amte zu stellen. Indessen
schnitten wiederholte Interpellationen durch Werdersche Telegramme
diesen ausweichenden Weg ab. Inzwischen hatte ich Se. Majestät
gebeten, Herrn von Werder, der in Livadia diplomatisch gemißbraucht

Eine indiscrete Anfrage des ruſſiſchen Kaiſers.
mäßigen vertraulichen Verkehre am Hofe mit ihm geſprochen hatte,
und das war nicht ſelten viel mehr, als Gortſchakow mit dem Bot¬
ſchafter ſprach; der „Pruski Fligeladjudant“, wie er am Hofe hieß,
ſah den Kaiſer faſt täglich, jedenfalls viel öfter als Gortſchakow,
der Kaiſer ſprach mit ihm nicht bloß über Militäriſches, und die
Aufträge zu Beſtellungen an unſern Herrn beſchränkten ſich nicht
auf Familienangelegenheiten. Die diplomatiſchen Verhandlungen
zwiſchen beiden Cabineten haben ihren Schwerpunkt, wie zur Zeit
Rauchs und Münſters, oft und lange mehr in den Berichten des
Militärbevollmächtigten als in denen der amtlich accreditirten Ge¬
ſandten gefunden. Da indeſſen Kaiſer Wilhelm niemals verſäumte,
mir ſeine Correſpondenz mit dem Militärbevollmächtigten in Peters¬
burg nachträglich, wenn auch oft zu ſpät, mitzutheilen, und poli¬
tiſche Entſchlüſſe nie ohne Erwägung an amtlicher Stelle faßte, ſo
beſchränkten ſich die Nachtheile dieſes directen Verkehrs auf Ver¬
ſpätung von Informationen und Anzeigen, die in ſolchen Immediat¬
berichten enthalten waren. Es lag alſo außerhalb dieſer Gewohn¬
heit im Geſchäftsverkehr, daß Kaiſer Alexander, ohne Zweifel auf
Anregung des Fürſten Gortſchakow, Herrn von Werder als Organ
benutzte, um uns jene Doctorfrage vorzulegen. Gortſchakow war
damals bemüht, ſeinem Kaiſer zu beweiſen, daß meine Ergebenheit
für ihn und meine Sympathie für Rußland unaufrichtig oder doch
nur „platoniſch“ ſei, und ſein Vertrauen zu mir zu erſchüttern,
was ihm denn auch ſpäter gelungen iſt.

Bevor ich die Werderſche Anfrage ſachlich beantwortete, ver¬
ſuchte ich es mit dilatoriſchen Rückäußerungen, bezugnehmend auf
die Unmöglichkeit, mich auf eine ſolche Frage ohne höhere Ermächti¬
gung zu äußern, und empfahl auf wiederholtes Drängen, die Frage
auf amtlichem, wenn auch vertraulichem Wege durch den ruſſiſchen
Botſchafter in Berlin im Auswärtigen Amte zu ſtellen. Indeſſen
ſchnitten wiederholte Interpellationen durch Werderſche Telegramme
dieſen ausweichenden Weg ab. Inzwiſchen hatte ich Se. Majeſtät
gebeten, Herrn von Werder, der in Livadia diplomatiſch gemißbraucht

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[213/0237] Eine indiscrete Anfrage des ruſſiſchen Kaiſers. mäßigen vertraulichen Verkehre am Hofe mit ihm geſprochen hatte, und das war nicht ſelten viel mehr, als Gortſchakow mit dem Bot¬ ſchafter ſprach; der „Pruski Fligeladjudant“, wie er am Hofe hieß, ſah den Kaiſer faſt täglich, jedenfalls viel öfter als Gortſchakow, der Kaiſer ſprach mit ihm nicht bloß über Militäriſches, und die Aufträge zu Beſtellungen an unſern Herrn beſchränkten ſich nicht auf Familienangelegenheiten. Die diplomatiſchen Verhandlungen zwiſchen beiden Cabineten haben ihren Schwerpunkt, wie zur Zeit Rauchs und Münſters, oft und lange mehr in den Berichten des Militärbevollmächtigten als in denen der amtlich accreditirten Ge¬ ſandten gefunden. Da indeſſen Kaiſer Wilhelm niemals verſäumte, mir ſeine Correſpondenz mit dem Militärbevollmächtigten in Peters¬ burg nachträglich, wenn auch oft zu ſpät, mitzutheilen, und poli¬ tiſche Entſchlüſſe nie ohne Erwägung an amtlicher Stelle faßte, ſo beſchränkten ſich die Nachtheile dieſes directen Verkehrs auf Ver¬ ſpätung von Informationen und Anzeigen, die in ſolchen Immediat¬ berichten enthalten waren. Es lag alſo außerhalb dieſer Gewohn¬ heit im Geſchäftsverkehr, daß Kaiſer Alexander, ohne Zweifel auf Anregung des Fürſten Gortſchakow, Herrn von Werder als Organ benutzte, um uns jene Doctorfrage vorzulegen. Gortſchakow war damals bemüht, ſeinem Kaiſer zu beweiſen, daß meine Ergebenheit für ihn und meine Sympathie für Rußland unaufrichtig oder doch nur „platoniſch“ ſei, und ſein Vertrauen zu mir zu erſchüttern, was ihm denn auch ſpäter gelungen iſt. Bevor ich die Werderſche Anfrage ſachlich beantwortete, ver¬ ſuchte ich es mit dilatoriſchen Rückäußerungen, bezugnehmend auf die Unmöglichkeit, mich auf eine ſolche Frage ohne höhere Ermächti¬ gung zu äußern, und empfahl auf wiederholtes Drängen, die Frage auf amtlichem, wenn auch vertraulichem Wege durch den ruſſiſchen Botſchafter in Berlin im Auswärtigen Amte zu ſtellen. Indeſſen ſchnitten wiederholte Interpellationen durch Werderſche Telegramme dieſen ausweichenden Weg ab. Inzwiſchen hatte ich Se. Majeſtät gebeten, Herrn von Werder, der in Livadia diplomatiſch gemißbraucht

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/237>, abgerufen am 21.11.2024.