Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.Achtundzwanzigstes Kapitel: Berliner Congreß. werde, ohne sich dessen erwehren zu können, telegraphisch an daskaiserliche Hoflager zu berufen und ihm die Uebernahme von poli¬ tischen Aufträgen zu untersagen, als eine Leistung, die dem russischen, aber nicht dem deutschen Dienste angehöre. Der Kaiser ging auf meinen Wunsch nicht ein, und da Kaiser Alexander endlich auf Grund unsrer persönlichen Beziehungen die Aussprache meiner eignen Meinung unter Betheiligung der russischen Botschaft in Berlin von mir verlangte, so war es mir nicht länger möglich, der Beantwortung der indiscreten Frage auszuweichen. Ich ersuchte den Botschafter von Schweinitz, der am Ende seines Urlaubs stand, mich vor der Rückkehr nach St. Petersburg in Varzin zu besuchen, um meine Instruction entgegenzunehmen. Vom 11. bis 13. October war Schweinitz mein Gast. Ich beauftragte ihn, sich sobald als mög¬ lich über Petersburg an das Hoflager des Kaisers Alexander nach Livadia zu begeben. Der Sinn meiner Instruction für Herrn von Schweinitz war, unser erstes Bedürfniß sei, die Freundschaft zwischen den großen Monarchien zu erhalten, welche der Revolution gegenüber mehr zu verlieren, als im Kampfe unter einander zu ge¬ winnen hätten. Wenn dies zu unserm Schmerze zwischen Rußland und Oestreich nicht möglich sei, so könnten wir zwar ertragen, daß unsre Freunde gegen einander Schlachten verlören oder ge¬ wönnen, aber nicht, daß einer von beiden so schwer verwundet und geschädigt werde, daß seine Stellung als unabhängige und in Europa mitredende Großmacht gefährdet würde. Diese unsre Erklärung, welche von uns in zweifelsfreier Deutlichkeit zu er¬ zwingen Gortschakow seinen Herrn bewogen hatte, um ihm den platonischen Charakter unsrer Liebe zu beweisen, hatte zur Folge, daß das russische Gewitter von Ostgalizien sich nach dem Balkan hin verzog, -- und daß Rußland anstatt der mit uns abgebrochnen Verhandlungen dergleichen mit Oestreich, so viel ich mich erinnere, zunächst in Pest, im Sinne der Abmachungen von Reichstadt, wo die Kaiser Alexander und Franz Joseph am 8. Juli 1876 zusammengetroffen waren, einleitete unter dem Verlangen, sie vor Achtundzwanzigſtes Kapitel: Berliner Congreß. werde, ohne ſich deſſen erwehren zu können, telegraphiſch an daskaiſerliche Hoflager zu berufen und ihm die Uebernahme von poli¬ tiſchen Aufträgen zu unterſagen, als eine Leiſtung, die dem ruſſiſchen, aber nicht dem deutſchen Dienſte angehöre. Der Kaiſer ging auf meinen Wunſch nicht ein, und da Kaiſer Alexander endlich auf Grund unſrer perſönlichen Beziehungen die Ausſprache meiner eignen Meinung unter Betheiligung der ruſſiſchen Botſchaft in Berlin von mir verlangte, ſo war es mir nicht länger möglich, der Beantwortung der indiscreten Frage auszuweichen. Ich erſuchte den Botſchafter von Schweinitz, der am Ende ſeines Urlaubs ſtand, mich vor der Rückkehr nach St. Petersburg in Varzin zu beſuchen, um meine Inſtruction entgegenzunehmen. Vom 11. bis 13. October war Schweinitz mein Gaſt. Ich beauftragte ihn, ſich ſobald als mög¬ lich über Petersburg an das Hoflager des Kaiſers Alexander nach Livadia zu begeben. Der Sinn meiner Inſtruction für Herrn von Schweinitz war, unſer erſtes Bedürfniß ſei, die Freundſchaft zwiſchen den großen Monarchien zu erhalten, welche der Revolution gegenüber mehr zu verlieren, als im Kampfe unter einander zu ge¬ winnen hätten. Wenn dies zu unſerm Schmerze zwiſchen Rußland und Oeſtreich nicht möglich ſei, ſo könnten wir zwar ertragen, daß unſre Freunde gegen einander Schlachten verlören oder ge¬ wönnen, aber nicht, daß einer von beiden ſo ſchwer verwundet und geſchädigt werde, daß ſeine Stellung als unabhängige und in Europa mitredende Großmacht gefährdet würde. Dieſe unſre Erklärung, welche von uns in zweifelsfreier Deutlichkeit zu er¬ zwingen Gortſchakow ſeinen Herrn bewogen hatte, um ihm den platoniſchen Charakter unſrer Liebe zu beweiſen, hatte zur Folge, daß das ruſſiſche Gewitter von Oſtgalizien ſich nach dem Balkan hin verzog, — und daß Rußland anſtatt der mit uns abgebrochnen Verhandlungen dergleichen mit Oeſtreich, ſo viel ich mich erinnere, zunächſt in Peſt, im Sinne der Abmachungen von Reichſtadt, wo die Kaiſer Alexander und Franz Joſeph am 8. 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Achtundzwanzigſtes Kapitel: Berliner Congreß.
werde, ohne ſich deſſen erwehren zu können, telegraphiſch an das
kaiſerliche Hoflager zu berufen und ihm die Uebernahme von poli¬
tiſchen Aufträgen zu unterſagen, als eine Leiſtung, die dem ruſſiſchen,
aber nicht dem deutſchen Dienſte angehöre. Der Kaiſer ging auf
meinen Wunſch nicht ein, und da Kaiſer Alexander endlich auf
Grund unſrer perſönlichen Beziehungen die Ausſprache meiner eignen
Meinung unter Betheiligung der ruſſiſchen Botſchaft in Berlin von
mir verlangte, ſo war es mir nicht länger möglich, der Beantwortung
der indiscreten Frage auszuweichen. Ich erſuchte den Botſchafter
von Schweinitz, der am Ende ſeines Urlaubs ſtand, mich vor der
Rückkehr nach St. Petersburg in Varzin zu beſuchen, um meine
Inſtruction entgegenzunehmen. Vom 11. bis 13. October war
Schweinitz mein Gaſt. Ich beauftragte ihn, ſich ſobald als mög¬
lich über Petersburg an das Hoflager des Kaiſers Alexander nach
Livadia zu begeben. Der Sinn meiner Inſtruction für Herrn
von Schweinitz war, unſer erſtes Bedürfniß ſei, die Freundſchaft
zwiſchen den großen Monarchien zu erhalten, welche der Revolution
gegenüber mehr zu verlieren, als im Kampfe unter einander zu ge¬
winnen hätten. Wenn dies zu unſerm Schmerze zwiſchen Rußland
und Oeſtreich nicht möglich ſei, ſo könnten wir zwar ertragen,
daß unſre Freunde gegen einander Schlachten verlören oder ge¬
wönnen, aber nicht, daß einer von beiden ſo ſchwer verwundet
und geſchädigt werde, daß ſeine Stellung als unabhängige und
in Europa mitredende Großmacht gefährdet würde. Dieſe unſre
Erklärung, welche von uns in zweifelsfreier Deutlichkeit zu er¬
zwingen Gortſchakow ſeinen Herrn bewogen hatte, um ihm den
platoniſchen Charakter unſrer Liebe zu beweiſen, hatte zur Folge,
daß das ruſſiſche Gewitter von Oſtgalizien ſich nach dem Balkan
hin verzog, — und daß Rußland anſtatt der mit uns abgebrochnen
Verhandlungen dergleichen mit Oeſtreich, ſo viel ich mich erinnere,
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wo die Kaiſer Alexander und Franz Joſeph am 8. Juli 1876
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