Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.Neunundzwanzigstes Kapitel: Der Dreibund. die Möglichkeit der antideutschen Coalition durch vertragsmäßigeSicherstellung der Beziehungen zu wenigstens einer der Gro߬ mächte einzuschränken. Die Wahl konnte nur zwischen Oestreich und Rußland stehn, da die englische Verfassung Bündnisse von gesicherter Dauer nicht zuläßt und die Verbindung mit Italien allein ein hinreichendes Gegengewicht gegen eine Coalition der drei übrigen Großmächte auch dann nicht gewährte, wenn die zukünftige Haltung und Gestaltung Italiens nicht nur von Frankreich, sondern auch von Oestreich unabhängig gedacht wurde. Es blieb, um das Feld der Coalitionsbildung zu verkleinern, nur die bezeich¬ nete Wahl. Für materiell stärker hielt ich die Verbindung mit Rußland. Neunundzwanzigſtes Kapitel: Der Dreibund. die Möglichkeit der antideutſchen Coalition durch vertragsmäßigeSicherſtellung der Beziehungen zu wenigſtens einer der Gro߬ mächte einzuſchränken. Die Wahl konnte nur zwiſchen Oeſtreich und Rußland ſtehn, da die engliſche Verfaſſung Bündniſſe von geſicherter Dauer nicht zuläßt und die Verbindung mit Italien allein ein hinreichendes Gegengewicht gegen eine Coalition der drei übrigen Großmächte auch dann nicht gewährte, wenn die zukünftige Haltung und Geſtaltung Italiens nicht nur von Frankreich, ſondern auch von Oeſtreich unabhängig gedacht wurde. Es blieb, um das Feld der Coalitionsbildung zu verkleinern, nur die bezeich¬ nete Wahl. Für materiell ſtärker hielt ich die Verbindung mit Rußland. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0258" n="234"/><fw place="top" type="header">Neunundzwanzigſtes Kapitel: Der Dreibund.<lb/></fw> die Möglichkeit der antideutſchen Coalition durch vertragsmäßige<lb/> Sicherſtellung der Beziehungen zu wenigſtens <hi rendition="#g">einer</hi> der Gro߬<lb/> mächte einzuſchränken. Die Wahl konnte nur zwiſchen Oeſtreich<lb/> und Rußland ſtehn, da die engliſche Verfaſſung Bündniſſe von<lb/> geſicherter Dauer nicht zuläßt und die Verbindung mit Italien<lb/> allein ein hinreichendes Gegengewicht gegen eine Coalition der drei<lb/> übrigen Großmächte auch dann nicht gewährte, wenn die zukünftige<lb/> Haltung und Geſtaltung Italiens nicht nur von Frankreich, ſondern<lb/> auch von Oeſtreich unabhängig gedacht wurde. Es blieb, um<lb/> das Feld der Coalitionsbildung zu verkleinern, nur die bezeich¬<lb/> nete Wahl.</p><lb/> <p>Für materiell ſtärker hielt ich die Verbindung mit Rußland.<lb/> Sie hatte mir früher auch als ſichrer gegolten, weil ich die tradi¬<lb/> tionelle dynaſtiſche Freundſchaft, die Gemeinſamkeit des monarchi¬<lb/> ſchen Erhaltungstriebes und die Abweſenheit aller eingebornen<lb/> Gegenſätze in der Politik für ſichrer hielt als die wandelbaren<lb/> Eindrücke der öffentlichen Meinung in der ungariſchen, ſlaviſchen<lb/> und katholiſchen Bevölkerung der habsburgiſchen Monarchie. Abſolut<lb/> ſicher für die Dauer war keine der beiden Verbindungen, weder<lb/> das dynaſtiſche Band mit Rußland, noch das populäre ungariſch-<lb/> deutſcher Sympathie. Wenn in Ungarn ſtets die beſonnene poli¬<lb/> tiſche Erwägung den Ausſchlag gäbe, ſo würde dieſe tapfere und<lb/> unabhängige Nation ſich darüber klar bleiben, daß ſie als Inſel<lb/> in dem weiten Meere ſlaviſcher Bevölkerungen ſich bei ihrer ver¬<lb/> hältnißmäßig geringen Ziffer nur durch Anlehnung an das deutſche<lb/> Element in Oeſtreich und in Deutſchland ſicher ſtellen kann. Aber<lb/> die Koſſuthſche Epiſode und die Unterdrückung der reichstreuen<lb/> deutſchen Elemente in Ungarn ſelbſt und andre Symptome zeigten,<lb/> daß in kritiſchen Momenten das Selbſtvertrauen des ungariſchen<lb/> Huſaren und Advocaten ſtärker iſt als die politiſche Berechnung<lb/> und die Selbſtbeherrſchung. Läßt doch auch in ruhigen Zeiten<lb/> mancher Magyar ſich von den Zigeunern das Lied „Der Deutſche<lb/> iſt ein Hundsfott“ aufſpielen!</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [234/0258]
Neunundzwanzigſtes Kapitel: Der Dreibund.
die Möglichkeit der antideutſchen Coalition durch vertragsmäßige
Sicherſtellung der Beziehungen zu wenigſtens einer der Gro߬
mächte einzuſchränken. Die Wahl konnte nur zwiſchen Oeſtreich
und Rußland ſtehn, da die engliſche Verfaſſung Bündniſſe von
geſicherter Dauer nicht zuläßt und die Verbindung mit Italien
allein ein hinreichendes Gegengewicht gegen eine Coalition der drei
übrigen Großmächte auch dann nicht gewährte, wenn die zukünftige
Haltung und Geſtaltung Italiens nicht nur von Frankreich, ſondern
auch von Oeſtreich unabhängig gedacht wurde. Es blieb, um
das Feld der Coalitionsbildung zu verkleinern, nur die bezeich¬
nete Wahl.
Für materiell ſtärker hielt ich die Verbindung mit Rußland.
Sie hatte mir früher auch als ſichrer gegolten, weil ich die tradi¬
tionelle dynaſtiſche Freundſchaft, die Gemeinſamkeit des monarchi¬
ſchen Erhaltungstriebes und die Abweſenheit aller eingebornen
Gegenſätze in der Politik für ſichrer hielt als die wandelbaren
Eindrücke der öffentlichen Meinung in der ungariſchen, ſlaviſchen
und katholiſchen Bevölkerung der habsburgiſchen Monarchie. Abſolut
ſicher für die Dauer war keine der beiden Verbindungen, weder
das dynaſtiſche Band mit Rußland, noch das populäre ungariſch-
deutſcher Sympathie. Wenn in Ungarn ſtets die beſonnene poli¬
tiſche Erwägung den Ausſchlag gäbe, ſo würde dieſe tapfere und
unabhängige Nation ſich darüber klar bleiben, daß ſie als Inſel
in dem weiten Meere ſlaviſcher Bevölkerungen ſich bei ihrer ver¬
hältnißmäßig geringen Ziffer nur durch Anlehnung an das deutſche
Element in Oeſtreich und in Deutſchland ſicher ſtellen kann. Aber
die Koſſuthſche Epiſode und die Unterdrückung der reichstreuen
deutſchen Elemente in Ungarn ſelbſt und andre Symptome zeigten,
daß in kritiſchen Momenten das Selbſtvertrauen des ungariſchen
Huſaren und Advocaten ſtärker iſt als die politiſche Berechnung
und die Selbſtbeherrſchung. Läßt doch auch in ruhigen Zeiten
mancher Magyar ſich von den Zigeunern das Lied „Der Deutſche
iſt ein Hundsfott“ aufſpielen!
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |