Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.Deutschland vor der Wahl. Bedenken gegen Oestreich. Zu den Bedenken über die zukünftigen östreichisch-deutschen Dazu kam endlich die polnische Seite der östreichischen Politik. Deutſchland vor der Wahl. Bedenken gegen Oeſtreich. Zu den Bedenken über die zukünftigen öſtreichiſch-deutſchen Dazu kam endlich die polniſche Seite der öſtreichiſchen Politik. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0259" n="235"/> <fw place="top" type="header">Deutſchland vor der Wahl. Bedenken gegen Oeſtreich.<lb/></fw> <p>Zu den Bedenken über die zukünftigen öſtreichiſch-deutſchen<lb/> Beziehungen kam der Mangel an Augenmaß für politiſche Mög¬<lb/> lichkeiten, infolge deſſen das deutſche Element in Oeſtreich die<lb/> Fühlung mit der Dynaſtie und die Leitung verloren hat, die ihm<lb/> in der geſchichtlichen Entwicklung zugefallen war. Zu Sorgen für<lb/> die Zukunft eines öſtreichiſch-deutſchen Bundes gab ferner die con¬<lb/> feſſionelle Frage Anlaß, die Erinnerung an den Einfluß der Beicht¬<lb/> väter der Kaiſerlichen Familie, die Möglichkeit der Herſtellung fran¬<lb/> zöſiſcher Beziehungen auf katholiſirender Unterlage, ſobald in Frank¬<lb/> reich eine entſprechende Wandlung der Form und der Prinzipien<lb/> der Staatsleitung eingetreten wäre. Wie fern oder wie nahe eine<lb/> ſolche in Frankreich liegt, entzieht ſich jeder Berechnung.</p><lb/> <p>Dazu kam endlich die polniſche Seite der öſtreichiſchen Politik.<lb/> Wir können von Oeſtreich nicht verlangen, daß es auf die Waffe<lb/> verzichte, die es in der Pflege des Polenthums in Galizien Rußland<lb/> gegenüber beſitzt. Die Politik, die 1846 dazu führte, daß öſtreichiſche<lb/> Beamte Preiſe auf die Köpfe polniſcher Inſurgenten ſetzten, war<lb/> möglich, weil Oeſtreich die Vortheile der heiligen Allianz, des Bünd¬<lb/> niſſes der drei Oſtmächte, durch ein adäquates Verhalten in den<lb/> polniſchen und orientaliſchen Dingen bezahlte, gleichſam durch einen<lb/> Aſſecuranzbeitrag zu einem gemeinſamen Geſchäfte. Beſtand der<lb/> Dreibund der Oſtmächte, ſo konnte Oeſtreich ſeine Beziehungen zu<lb/> den Ruthenen in den Vordergrund ſtellen; löſte er ſich auf, ſo war<lb/> es rathſamer, den polniſchen Adel für den Fall eines ruſſiſchen<lb/> Krieges zur Verfügung zu haben. Galizien iſt überhaupt der öſt¬<lb/> reichiſchen Monarchie lockrer angefügt, als Poſen und Weſtpreußen<lb/> der preußiſchen. Die öſtreichiſche, gegen Oſten offne Provinz iſt<lb/> außerhalb der Grenzmauer der Karpathen künſtlich angeklebt, und<lb/> Oeſtreich könnte ohne ſie ebenſo gut beſtehn, wenn es für die 5 oder<lb/> 6 Millionen Polen und Ruthenen einen Erſatz innerhalb des Donau¬<lb/> beckens fände. Pläne der Art in Geſtalt eines Eintauſches rumäni¬<lb/> ſcher und ſüdſlaviſcher Bevölkerungen gegen Galizien, unter Her¬<lb/> ſtellung Polens mit einem Erzherzoge an der Spitze, ſind während<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [235/0259]
Deutſchland vor der Wahl. Bedenken gegen Oeſtreich.
Zu den Bedenken über die zukünftigen öſtreichiſch-deutſchen
Beziehungen kam der Mangel an Augenmaß für politiſche Mög¬
lichkeiten, infolge deſſen das deutſche Element in Oeſtreich die
Fühlung mit der Dynaſtie und die Leitung verloren hat, die ihm
in der geſchichtlichen Entwicklung zugefallen war. Zu Sorgen für
die Zukunft eines öſtreichiſch-deutſchen Bundes gab ferner die con¬
feſſionelle Frage Anlaß, die Erinnerung an den Einfluß der Beicht¬
väter der Kaiſerlichen Familie, die Möglichkeit der Herſtellung fran¬
zöſiſcher Beziehungen auf katholiſirender Unterlage, ſobald in Frank¬
reich eine entſprechende Wandlung der Form und der Prinzipien
der Staatsleitung eingetreten wäre. Wie fern oder wie nahe eine
ſolche in Frankreich liegt, entzieht ſich jeder Berechnung.
Dazu kam endlich die polniſche Seite der öſtreichiſchen Politik.
Wir können von Oeſtreich nicht verlangen, daß es auf die Waffe
verzichte, die es in der Pflege des Polenthums in Galizien Rußland
gegenüber beſitzt. Die Politik, die 1846 dazu führte, daß öſtreichiſche
Beamte Preiſe auf die Köpfe polniſcher Inſurgenten ſetzten, war
möglich, weil Oeſtreich die Vortheile der heiligen Allianz, des Bünd¬
niſſes der drei Oſtmächte, durch ein adäquates Verhalten in den
polniſchen und orientaliſchen Dingen bezahlte, gleichſam durch einen
Aſſecuranzbeitrag zu einem gemeinſamen Geſchäfte. Beſtand der
Dreibund der Oſtmächte, ſo konnte Oeſtreich ſeine Beziehungen zu
den Ruthenen in den Vordergrund ſtellen; löſte er ſich auf, ſo war
es rathſamer, den polniſchen Adel für den Fall eines ruſſiſchen
Krieges zur Verfügung zu haben. Galizien iſt überhaupt der öſt¬
reichiſchen Monarchie lockrer angefügt, als Poſen und Weſtpreußen
der preußiſchen. Die öſtreichiſche, gegen Oſten offne Provinz iſt
außerhalb der Grenzmauer der Karpathen künſtlich angeklebt, und
Oeſtreich könnte ohne ſie ebenſo gut beſtehn, wenn es für die 5 oder
6 Millionen Polen und Ruthenen einen Erſatz innerhalb des Donau¬
beckens fände. Pläne der Art in Geſtalt eines Eintauſches rumäni¬
ſcher und ſüdſlaviſcher Bevölkerungen gegen Galizien, unter Her¬
ſtellung Polens mit einem Erzherzoge an der Spitze, ſind während
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