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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Neunundzwanzigstes Kapitel: Der Dreibund.
Reise nach Baden-Baden zu machen, so übernahm sie Graf
Stolberg; er führte die Verhandlungen, wenn auch unter starkem
Widerstreben Sr. Majestät, glücklich zu Ende. Der Kaiser war
von den politischen Argumenten nicht überzeugt worden, sondern
ertheilte das Versprechen, den Vertrag zu ratificiren, nur aus
Abneigung gegen einen Personenwechsel in dem Ministerium. Der
Kronprinz war von Hause aus für das östreichische Bündniß
lebhaft eingenommen, aber ohne Einfluß auf seinen Vater.

Der Kaiser hielt es in seinem ritterlichen Sinne für erforder¬
lich, den Kaiser von Rußland vertraulich darüber zu verständigen,
daß er, wenn er eine der beiden Nachbarmächte angriffe, beide
gegen sich haben werde, damit Kaiser Alexander nicht etwa irrthüm¬
lich annehme, Oestreich allein angreifen zu können. Mir schien
diese Besorgniß ungegründet, da das Petersburger Cabinet schon
aus unsrer Beantwortung der aus Livadia an uns gerichteten Frage
wissen mußte, daß wir Oestreich nicht würden fallen lassen, durch
unsern Vertrag mit Oestreich also eine neue Situation nicht ge¬
schaffen, nur die vorhandene legalisirt wurde.

VI.

Eine Erneuerung der Kaunitzschen Coalition wäre für Deutsch¬
land, wenn es in sich geschlossen einig bleibt und seine Kriege
geschickt geführt werden, zwar keine verzweifelte, aber doch eine sehr
ernste Constellation, welche nach Möglichkeit zu verhüten Aufgabe
unsrer auswärtigen Politik sein muß. Wenn die geeinte östreichisch-
deutsche Macht in der Festigkeit ihres Zusammenhangs und in der
Einheitlichkeit ihrer Führung ebenso gesichert wäre wie die russische
und die französische, jede für sich betrachtet, es sind, so würde ich,
auch ohne daß Italien der Dritte im Bunde wäre, den gleich¬
zeitigen Angriff unsrer beiden großen Nachbarreiche nicht für lebens¬
gefährlich halten. Wenn aber in Oestreich antideutsche Richtungen

Neunundzwanzigſtes Kapitel: Der Dreibund.
Reiſe nach Baden-Baden zu machen, ſo übernahm ſie Graf
Stolberg; er führte die Verhandlungen, wenn auch unter ſtarkem
Widerſtreben Sr. Majeſtät, glücklich zu Ende. Der Kaiſer war
von den politiſchen Argumenten nicht überzeugt worden, ſondern
ertheilte das Verſprechen, den Vertrag zu ratificiren, nur aus
Abneigung gegen einen Perſonenwechſel in dem Miniſterium. Der
Kronprinz war von Hauſe aus für das öſtreichiſche Bündniß
lebhaft eingenommen, aber ohne Einfluß auf ſeinen Vater.

Der Kaiſer hielt es in ſeinem ritterlichen Sinne für erforder¬
lich, den Kaiſer von Rußland vertraulich darüber zu verſtändigen,
daß er, wenn er eine der beiden Nachbarmächte angriffe, beide
gegen ſich haben werde, damit Kaiſer Alexander nicht etwa irrthüm¬
lich annehme, Oeſtreich allein angreifen zu können. Mir ſchien
dieſe Beſorgniß ungegründet, da das Petersburger Cabinet ſchon
aus unſrer Beantwortung der aus Livadia an uns gerichteten Frage
wiſſen mußte, daß wir Oeſtreich nicht würden fallen laſſen, durch
unſern Vertrag mit Oeſtreich alſo eine neue Situation nicht ge¬
ſchaffen, nur die vorhandene legaliſirt wurde.

VI.

Eine Erneuerung der Kaunitzſchen Coalition wäre für Deutſch¬
land, wenn es in ſich geſchloſſen einig bleibt und ſeine Kriege
geſchickt geführt werden, zwar keine verzweifelte, aber doch eine ſehr
ernſte Conſtellation, welche nach Möglichkeit zu verhüten Aufgabe
unſrer auswärtigen Politik ſein muß. Wenn die geeinte öſtreichiſch-
deutſche Macht in der Feſtigkeit ihres Zuſammenhangs und in der
Einheitlichkeit ihrer Führung ebenſo geſichert wäre wie die ruſſiſche
und die franzöſiſche, jede für ſich betrachtet, es ſind, ſo würde ich,
auch ohne daß Italien der Dritte im Bunde wäre, den gleich¬
zeitigen Angriff unſrer beiden großen Nachbarreiche nicht für lebens¬
gefährlich halten. Wenn aber in Oeſtreich antideutſche Richtungen

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[248/0272] Neunundzwanzigſtes Kapitel: Der Dreibund. Reiſe nach Baden-Baden zu machen, ſo übernahm ſie Graf Stolberg; er führte die Verhandlungen, wenn auch unter ſtarkem Widerſtreben Sr. Majeſtät, glücklich zu Ende. Der Kaiſer war von den politiſchen Argumenten nicht überzeugt worden, ſondern ertheilte das Verſprechen, den Vertrag zu ratificiren, nur aus Abneigung gegen einen Perſonenwechſel in dem Miniſterium. Der Kronprinz war von Hauſe aus für das öſtreichiſche Bündniß lebhaft eingenommen, aber ohne Einfluß auf ſeinen Vater. Der Kaiſer hielt es in ſeinem ritterlichen Sinne für erforder¬ lich, den Kaiſer von Rußland vertraulich darüber zu verſtändigen, daß er, wenn er eine der beiden Nachbarmächte angriffe, beide gegen ſich haben werde, damit Kaiſer Alexander nicht etwa irrthüm¬ lich annehme, Oeſtreich allein angreifen zu können. Mir ſchien dieſe Beſorgniß ungegründet, da das Petersburger Cabinet ſchon aus unſrer Beantwortung der aus Livadia an uns gerichteten Frage wiſſen mußte, daß wir Oeſtreich nicht würden fallen laſſen, durch unſern Vertrag mit Oeſtreich alſo eine neue Situation nicht ge¬ ſchaffen, nur die vorhandene legaliſirt wurde. VI. Eine Erneuerung der Kaunitzſchen Coalition wäre für Deutſch¬ land, wenn es in ſich geſchloſſen einig bleibt und ſeine Kriege geſchickt geführt werden, zwar keine verzweifelte, aber doch eine ſehr ernſte Conſtellation, welche nach Möglichkeit zu verhüten Aufgabe unſrer auswärtigen Politik ſein muß. Wenn die geeinte öſtreichiſch- deutſche Macht in der Feſtigkeit ihres Zuſammenhangs und in der Einheitlichkeit ihrer Führung ebenſo geſichert wäre wie die ruſſiſche und die franzöſiſche, jede für ſich betrachtet, es ſind, ſo würde ich, auch ohne daß Italien der Dritte im Bunde wäre, den gleich¬ zeitigen Angriff unſrer beiden großen Nachbarreiche nicht für lebens¬ gefährlich halten. Wenn aber in Oeſtreich antideutſche Richtungen

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/272>, abgerufen am 21.11.2024.