Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.Wilhelm I. giebt nach. Verträge zwischen Großstaaten. nationaler oder confessioneller Natur sich stärker als bisher zeigen,wenn russische Versuchungen und Anerbietungen auf dem Gebiet der orientalischen Politik wie zur Zeit Katharinas und Josephs II. hinzutreten, wenn italienische Begehrlichkeiten Oestreichs Besitz am Adriatischen Meere bedrohn und seine Streitkräfte in ähnlicher Weise wie zu Radetzkys Zeit in Anspruch nehmen sollten: dann würde der Kampf, dessen Möglichkeit mir vorschwebt, ungleicher sein. Es braucht nicht gesagt zu werden, wie viel gefährdeter Deutschlands Lage erscheint, wenn man sich auch Oestreich, Her¬ stellung der Monarchie in Frankreich, im Einverständniß beider mit der Römischen Curie, im Lager unsrer Gegner denkt mit dem Be¬ streben, die Ergebnisse von 1866 aus der Welt zu schaffen. Diese pessimistische, aber doch nicht außer dem Bereich der Eine solche Assecuranz hat für den Gedanken etwas Beruhi¬ Wilhelm I. giebt nach. Verträge zwiſchen Großſtaaten. nationaler oder confeſſioneller Natur ſich ſtärker als bisher zeigen,wenn ruſſiſche Verſuchungen und Anerbietungen auf dem Gebiet der orientaliſchen Politik wie zur Zeit Katharinas und Joſephs II. hinzutreten, wenn italieniſche Begehrlichkeiten Oeſtreichs Beſitz am Adriatiſchen Meere bedrohn und ſeine Streitkräfte in ähnlicher Weiſe wie zu Radetzkys Zeit in Anſpruch nehmen ſollten: dann würde der Kampf, deſſen Möglichkeit mir vorſchwebt, ungleicher ſein. Es braucht nicht geſagt zu werden, wie viel gefährdeter Deutſchlands Lage erſcheint, wenn man ſich auch Oeſtreich, Her¬ ſtellung der Monarchie in Frankreich, im Einverſtändniß beider mit der Römiſchen Curie, im Lager unſrer Gegner denkt mit dem Be¬ ſtreben, die Ergebniſſe von 1866 aus der Welt zu ſchaffen. Dieſe peſſimiſtiſche, aber doch nicht außer dem Bereich der Eine ſolche Aſſecuranz hat für den Gedanken etwas Beruhi¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0273" n="249"/><fw place="top" type="header">Wilhelm <hi rendition="#aq">I</hi>. giebt nach. Verträge zwiſchen Großſtaaten.<lb/></fw> nationaler oder confeſſioneller Natur ſich ſtärker als bisher zeigen,<lb/> wenn ruſſiſche Verſuchungen und Anerbietungen auf dem Gebiet<lb/> der orientaliſchen Politik wie zur Zeit Katharinas und Joſephs <hi rendition="#aq">II</hi>.<lb/> hinzutreten, wenn italieniſche Begehrlichkeiten Oeſtreichs Beſitz am<lb/> Adriatiſchen Meere bedrohn und ſeine Streitkräfte in ähnlicher<lb/> Weiſe wie zu Radetzkys Zeit in Anſpruch nehmen ſollten: dann<lb/> würde der Kampf, deſſen Möglichkeit mir vorſchwebt, ungleicher<lb/> ſein. Es braucht nicht geſagt zu werden, wie viel gefährdeter<lb/> Deutſchlands Lage erſcheint, wenn man ſich auch Oeſtreich, Her¬<lb/> ſtellung der Monarchie in Frankreich, im Einverſtändniß beider mit<lb/> der Römiſchen Curie, im Lager unſrer Gegner denkt mit dem Be¬<lb/> ſtreben, die Ergebniſſe von 1866 aus der Welt zu ſchaffen.</p><lb/> <p>Dieſe peſſimiſtiſche, aber doch nicht außer dem Bereich der<lb/> Möglichkeit liegende und durch Vergangenes nicht ungerechtfertigte<lb/> Vorſtellung hatte mich veranlaßt, die Frage anzuregen, ob ſich ein<lb/> organiſcher Verband zwiſchen dem Deutſchen Reiche und Oeſtreich-<lb/> Ungarn empföhle, der nicht wie gewöhnliche Verträge kündbar,<lb/> ſondern der Geſetzgebung beider Reiche einverleibt und nur durch<lb/> einen neuen Act der Geſetzgebung eines derſelben lösbar wäre.</p><lb/> <p>Eine ſolche Aſſecuranz hat für den Gedanken etwas Beruhi¬<lb/> gendes; ob auch im Drange der Ereigniſſe etwas Sicherſtellendes,<lb/> daran kann man zweifeln, wenn man ſich erinnert, daß die theo¬<lb/> retiſch ſehr viel ſtärker verpflichtende Verfaſſung des heiligen Römi¬<lb/> ſchen Reiches den Zuſammenhalt der deutſchen Nation niemals hat<lb/> ſichern können, und daß wir nicht im Stande ſein würden, für<lb/> unſer Verhältniß zu Oeſtreich einen Vertragsmodus zu finden,<lb/> der in ſich eine ſtärkere Bindekraft trüge als die frühern Bundes¬<lb/> verträge, nach denen die Schlacht von Königgrätz theoretiſch un¬<lb/> möglich war. Die Haltbarkeit aller Verträge zwiſchen Großſtaaten<lb/> iſt eine bedingte, ſobald ſie „in dem Kampf um's Daſein“ auf<lb/> die Probe geſtellt wird. Keine große Nation wird je zu bewegen<lb/> ſein, ihr Beſtehn auf dem Altar der Vertragſtreue zu opfern, wenn<lb/> ſie gezwungen iſt, zwiſchen beiden zu wählen. Das <hi rendition="#aq">ultra posse nemo</hi><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [249/0273]
Wilhelm I. giebt nach. Verträge zwiſchen Großſtaaten.
nationaler oder confeſſioneller Natur ſich ſtärker als bisher zeigen,
wenn ruſſiſche Verſuchungen und Anerbietungen auf dem Gebiet
der orientaliſchen Politik wie zur Zeit Katharinas und Joſephs II.
hinzutreten, wenn italieniſche Begehrlichkeiten Oeſtreichs Beſitz am
Adriatiſchen Meere bedrohn und ſeine Streitkräfte in ähnlicher
Weiſe wie zu Radetzkys Zeit in Anſpruch nehmen ſollten: dann
würde der Kampf, deſſen Möglichkeit mir vorſchwebt, ungleicher
ſein. Es braucht nicht geſagt zu werden, wie viel gefährdeter
Deutſchlands Lage erſcheint, wenn man ſich auch Oeſtreich, Her¬
ſtellung der Monarchie in Frankreich, im Einverſtändniß beider mit
der Römiſchen Curie, im Lager unſrer Gegner denkt mit dem Be¬
ſtreben, die Ergebniſſe von 1866 aus der Welt zu ſchaffen.
Dieſe peſſimiſtiſche, aber doch nicht außer dem Bereich der
Möglichkeit liegende und durch Vergangenes nicht ungerechtfertigte
Vorſtellung hatte mich veranlaßt, die Frage anzuregen, ob ſich ein
organiſcher Verband zwiſchen dem Deutſchen Reiche und Oeſtreich-
Ungarn empföhle, der nicht wie gewöhnliche Verträge kündbar,
ſondern der Geſetzgebung beider Reiche einverleibt und nur durch
einen neuen Act der Geſetzgebung eines derſelben lösbar wäre.
Eine ſolche Aſſecuranz hat für den Gedanken etwas Beruhi¬
gendes; ob auch im Drange der Ereigniſſe etwas Sicherſtellendes,
daran kann man zweifeln, wenn man ſich erinnert, daß die theo¬
retiſch ſehr viel ſtärker verpflichtende Verfaſſung des heiligen Römi¬
ſchen Reiches den Zuſammenhalt der deutſchen Nation niemals hat
ſichern können, und daß wir nicht im Stande ſein würden, für
unſer Verhältniß zu Oeſtreich einen Vertragsmodus zu finden,
der in ſich eine ſtärkere Bindekraft trüge als die frühern Bundes¬
verträge, nach denen die Schlacht von Königgrätz theoretiſch un¬
möglich war. Die Haltbarkeit aller Verträge zwiſchen Großſtaaten
iſt eine bedingte, ſobald ſie „in dem Kampf um's Daſein“ auf
die Probe geſtellt wird. Keine große Nation wird je zu bewegen
ſein, ihr Beſtehn auf dem Altar der Vertragſtreue zu opfern, wenn
ſie gezwungen iſt, zwiſchen beiden zu wählen. Das ultra posse nemo
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