Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.Neunundzwanzigstes Kapitel: Der Dreibund. obligatur kann durch keine Vertragsclausel außer Kraft gesetztwerden; und ebenso wenig läßt sich durch einen Vertrag das Maß von Ernst und Kraftaufwand sicherstellen, mit dem die Erfüllung geleistet werden wird, sobald das eigne Interesse des Erfüllenden dem unterschriebenen Texte und seiner frühern Auslegung nicht mehr zur Seite steht. Es läßt sich daher, wenn in der euro¬ päischen Politik Wendungen eintreten, die für Oestreich-Ungarn eine antideutsche Politik als Staatsrettung erscheinen lassen, eine Selbstaufopferung für die Vertragstreue ebenso wenig erwarten, wie während des Krimkrieges die Einlösung einer Dankespflicht er¬ folgte, die vielleicht gewichtiger war als das Pergament eines Staatsvertrages. Ein Bündniß unter gesetzlicher Bürgschaft wäre eine Verwirk¬ Die Gefahren, die für unsre Einigkeit mit Oestreich in den Neunundzwanzigſtes Kapitel: Der Dreibund. obligatur kann durch keine Vertragsclauſel außer Kraft geſetztwerden; und ebenſo wenig läßt ſich durch einen Vertrag das Maß von Ernſt und Kraftaufwand ſicherſtellen, mit dem die Erfüllung geleiſtet werden wird, ſobald das eigne Intereſſe des Erfüllenden dem unterſchriebenen Texte und ſeiner frühern Auslegung nicht mehr zur Seite ſteht. Es läßt ſich daher, wenn in der euro¬ päiſchen Politik Wendungen eintreten, die für Oeſtreich-Ungarn eine antideutſche Politik als Staatsrettung erſcheinen laſſen, eine Selbſtaufopferung für die Vertragstreue ebenſo wenig erwarten, wie während des Krimkrieges die Einlöſung einer Dankespflicht er¬ folgte, die vielleicht gewichtiger war als das Pergament eines Staatsvertrages. Ein Bündniß unter geſetzlicher Bürgſchaft wäre eine Verwirk¬ Die Gefahren, die für unſre Einigkeit mit Oeſtreich in den <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0274" n="250"/><fw place="top" type="header">Neunundzwanzigſtes Kapitel: Der Dreibund.<lb/></fw><hi rendition="#aq">obligatur</hi> kann durch keine Vertragsclauſel außer Kraft geſetzt<lb/> werden; und ebenſo wenig läßt ſich durch einen Vertrag das Maß<lb/> von Ernſt und Kraftaufwand ſicherſtellen, mit dem die Erfüllung<lb/> geleiſtet werden wird, ſobald das eigne Intereſſe des Erfüllenden<lb/> dem unterſchriebenen Texte und ſeiner frühern Auslegung nicht<lb/> mehr zur Seite ſteht. Es läßt ſich daher, wenn in der euro¬<lb/> päiſchen Politik Wendungen eintreten, die für Oeſtreich-Ungarn<lb/> eine antideutſche Politik als Staatsrettung erſcheinen laſſen, eine<lb/> Selbſtaufopferung für die Vertragstreue ebenſo wenig erwarten, wie<lb/> während des Krimkrieges die Einlöſung einer Dankespflicht er¬<lb/> folgte, die vielleicht gewichtiger war als das Pergament eines<lb/> Staatsvertrages.</p><lb/> <p>Ein Bündniß unter geſetzlicher Bürgſchaft wäre eine Verwirk¬<lb/> lichung der Verfaſſungsgedanken geweſen, die in der Paulskirche<lb/> den gemäßigtſten Mitgliedern, den Vertretern des engern reichs¬<lb/> deutſchen und des größern öſtreichiſch-deutſchen Bundes vorſchwebten;<lb/> aber grade die vertragsmäßige Sicherſtellung ſolcher gegenſeitigen<lb/> Verpflichtungen iſt eine Feindin ihrer Haltbarkeit. Das Bei¬<lb/> ſpiel Oeſtreichs aus der Zeit von 1850 bis 1866 iſt mir eine<lb/> Warnung geweſen, daß die politiſchen Wechſel, die man auf ſolche<lb/> Verhältniſſe zu ziehn in Verſuchung kommt, über die Grenzen<lb/> des Credits hinausgehn, den unabhängige Staaten in ihren poli¬<lb/> tiſchen Operationen einander gewähren können. Ich glaube des¬<lb/> halb, daß das wandelbare Element des politiſchen Intereſſes und<lb/> ſeiner Gefahren ein unentbehrliches Unterfutter für geſchriebene<lb/> Verträge iſt, wenn ſie haltbar ſein ſollen. Für eine ruhige und<lb/> erhaltende öſtreichiſche Politik iſt das deutſche Bündniß das nützlichſte.</p><lb/> <p>Die Gefahren, die für unſre Einigkeit mit Oeſtreich in den<lb/> Verſuchungen ruſſiſch-öſtreichiſcher Verſtändigungen im Sinne der<lb/> Zeit von Joſeph <hi rendition="#aq">II</hi>. und Katharina oder der Reichſtadter Con¬<lb/> vention und ihrer Heimlichkeit liegen, laſſen ſich, ſo weit das über¬<lb/> haupt möglich iſt, paralyſiren, wenn wir zwar feſt auf Treue gegen<lb/> Oeſtreich, aber auch darauf halten, daß der Weg von Berlin nach<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [250/0274]
Neunundzwanzigſtes Kapitel: Der Dreibund.
obligatur kann durch keine Vertragsclauſel außer Kraft geſetzt
werden; und ebenſo wenig läßt ſich durch einen Vertrag das Maß
von Ernſt und Kraftaufwand ſicherſtellen, mit dem die Erfüllung
geleiſtet werden wird, ſobald das eigne Intereſſe des Erfüllenden
dem unterſchriebenen Texte und ſeiner frühern Auslegung nicht
mehr zur Seite ſteht. Es läßt ſich daher, wenn in der euro¬
päiſchen Politik Wendungen eintreten, die für Oeſtreich-Ungarn
eine antideutſche Politik als Staatsrettung erſcheinen laſſen, eine
Selbſtaufopferung für die Vertragstreue ebenſo wenig erwarten, wie
während des Krimkrieges die Einlöſung einer Dankespflicht er¬
folgte, die vielleicht gewichtiger war als das Pergament eines
Staatsvertrages.
Ein Bündniß unter geſetzlicher Bürgſchaft wäre eine Verwirk¬
lichung der Verfaſſungsgedanken geweſen, die in der Paulskirche
den gemäßigtſten Mitgliedern, den Vertretern des engern reichs¬
deutſchen und des größern öſtreichiſch-deutſchen Bundes vorſchwebten;
aber grade die vertragsmäßige Sicherſtellung ſolcher gegenſeitigen
Verpflichtungen iſt eine Feindin ihrer Haltbarkeit. Das Bei¬
ſpiel Oeſtreichs aus der Zeit von 1850 bis 1866 iſt mir eine
Warnung geweſen, daß die politiſchen Wechſel, die man auf ſolche
Verhältniſſe zu ziehn in Verſuchung kommt, über die Grenzen
des Credits hinausgehn, den unabhängige Staaten in ihren poli¬
tiſchen Operationen einander gewähren können. Ich glaube des¬
halb, daß das wandelbare Element des politiſchen Intereſſes und
ſeiner Gefahren ein unentbehrliches Unterfutter für geſchriebene
Verträge iſt, wenn ſie haltbar ſein ſollen. Für eine ruhige und
erhaltende öſtreichiſche Politik iſt das deutſche Bündniß das nützlichſte.
Die Gefahren, die für unſre Einigkeit mit Oeſtreich in den
Verſuchungen ruſſiſch-öſtreichiſcher Verſtändigungen im Sinne der
Zeit von Joſeph II. und Katharina oder der Reichſtadter Con¬
vention und ihrer Heimlichkeit liegen, laſſen ſich, ſo weit das über¬
haupt möglich iſt, paralyſiren, wenn wir zwar feſt auf Treue gegen
Oeſtreich, aber auch darauf halten, daß der Weg von Berlin nach
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