Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.Neunundzwanzigstes Kapitel: Der Dreibund. lich ist. Die bei Gestaltung derselben mitwirkenden Factoren sindebenso mannigfaltig wie die Völkermischung; und zu der ätzenden und gelegentlich sprengenden Wirkung dieser kommt der unberechen¬ bare Einfluß, den je nach dem Steigen oder Fallen der römischen Fluth das confessionelle Element auf die leitenden Persönlichkeiten auszuüben vermag. Nicht blos der Panslavismus und Bulgarien oder Bosnien, sondern auch die serbische, die rumänische, die pol¬ nische, die czechische Frage, ja selbst noch heut die italienische im Trentino, in Triest und an der dalmatischen Küste, können zu Krystallisationspunkten für nicht blos östreichische, sondern auch europäische Krisen werden, von denen die deutschen Interessen nur insoweit nachweislich berührt werden, als das Deutsche Reich mit Oestreich in ein solidarisches Haftverhältniß tritt. In Böhmen ist die Spaltung zwischen Deutschen und Czechen stellenweis schon so weit in die Armee eingedrungen, daß die Offiziere beider Nationa¬ litäten in einigen Regimentern nicht mit einander verkehren und ge¬ trennt essen. Für Deutschland unmittelbar existirt die Gefahr, in schwere und gefährliche Kämpfe verwickelt zu werden, mehr auf seiner Westseite infolge der angriffslustigen, auf Eroberung gerich¬ teten Neigungen des französischen Volks, die von den Monarchen seit den Zeiten Kaiser Karls V. im Interesse ihrer Herrschsucht im Innern sowohl wie nach Außen groß gezogen worden sind. Der Beistand Oestreichs ist für uns gegen Rußland leichter Neunundzwanzigſtes Kapitel: Der Dreibund. lich iſt. Die bei Geſtaltung derſelben mitwirkenden Factoren ſindebenſo mannigfaltig wie die Völkermiſchung; und zu der ätzenden und gelegentlich ſprengenden Wirkung dieſer kommt der unberechen¬ bare Einfluß, den je nach dem Steigen oder Fallen der römiſchen Fluth das confeſſionelle Element auf die leitenden Perſönlichkeiten auszuüben vermag. Nicht blos der Panſlavismus und Bulgarien oder Bosnien, ſondern auch die ſerbiſche, die rumäniſche, die pol¬ niſche, die czechiſche Frage, ja ſelbſt noch heut die italieniſche im Trentino, in Trieſt und an der dalmatiſchen Küſte, können zu Kryſtalliſationspunkten für nicht blos öſtreichiſche, ſondern auch europäiſche Kriſen werden, von denen die deutſchen Intereſſen nur inſoweit nachweislich berührt werden, als das Deutſche Reich mit Oeſtreich in ein ſolidariſches Haftverhältniß tritt. In Böhmen iſt die Spaltung zwiſchen Deutſchen und Czechen ſtellenweis ſchon ſo weit in die Armee eingedrungen, daß die Offiziere beider Nationa¬ litäten in einigen Regimentern nicht mit einander verkehren und ge¬ trennt eſſen. Für Deutſchland unmittelbar exiſtirt die Gefahr, in ſchwere und gefährliche Kämpfe verwickelt zu werden, mehr auf ſeiner Weſtſeite infolge der angriffsluſtigen, auf Eroberung gerich¬ teten Neigungen des franzöſiſchen Volks, die von den Monarchen ſeit den Zeiten Kaiſer Karls V. im Intereſſe ihrer Herrſchſucht im Innern ſowohl wie nach Außen groß gezogen worden ſind. Der Beiſtand Oeſtreichs iſt für uns gegen Rußland leichter <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0278" n="254"/><fw place="top" type="header">Neunundzwanzigſtes Kapitel: Der Dreibund.<lb/></fw> lich iſt. 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Neunundzwanzigſtes Kapitel: Der Dreibund.
lich iſt. Die bei Geſtaltung derſelben mitwirkenden Factoren ſind
ebenſo mannigfaltig wie die Völkermiſchung; und zu der ätzenden
und gelegentlich ſprengenden Wirkung dieſer kommt der unberechen¬
bare Einfluß, den je nach dem Steigen oder Fallen der römiſchen
Fluth das confeſſionelle Element auf die leitenden Perſönlichkeiten
auszuüben vermag. Nicht blos der Panſlavismus und Bulgarien
oder Bosnien, ſondern auch die ſerbiſche, die rumäniſche, die pol¬
niſche, die czechiſche Frage, ja ſelbſt noch heut die italieniſche im
Trentino, in Trieſt und an der dalmatiſchen Küſte, können zu
Kryſtalliſationspunkten für nicht blos öſtreichiſche, ſondern auch
europäiſche Kriſen werden, von denen die deutſchen Intereſſen nur
inſoweit nachweislich berührt werden, als das Deutſche Reich mit
Oeſtreich in ein ſolidariſches Haftverhältniß tritt. In Böhmen iſt
die Spaltung zwiſchen Deutſchen und Czechen ſtellenweis ſchon ſo
weit in die Armee eingedrungen, daß die Offiziere beider Nationa¬
litäten in einigen Regimentern nicht mit einander verkehren und ge¬
trennt eſſen. Für Deutſchland unmittelbar exiſtirt die Gefahr, in
ſchwere und gefährliche Kämpfe verwickelt zu werden, mehr auf
ſeiner Weſtſeite infolge der angriffsluſtigen, auf Eroberung gerich¬
teten Neigungen des franzöſiſchen Volks, die von den Monarchen
ſeit den Zeiten Kaiſer Karls V. im Intereſſe ihrer Herrſchſucht im
Innern ſowohl wie nach Außen groß gezogen worden ſind.
Der Beiſtand Oeſtreichs iſt für uns gegen Rußland leichter
zu haben als gegen Frankreich, nachdem die Frictionen dieſer beiden
Mächte in dem von ihnen umworbenen Italien in der alten Form
nicht mehr exiſtiren. Für ein monarchiſches und katholiſch geſinntes
Frankreich, wenn ein ſolches wieder erſtanden, wäre die Hoffnung
nicht erſtorben, ähnliche Beziehungen zu Oeſtreich wieder zu ge¬
winnen, wie ſie während des ſiebenjährigen Krieges und auf dem
Wiener Congreß vor der Rückkehr Napoleons von Elba beſtanden,
in der polniſchen Frage 1863 drohten, im Krimkriege und zur
Zeit des Grafen Beuſt von 1866 bis 1870 in Salzburg und Wien
Ausſicht auf Verwirklichung hatten. Bei etwaiger Wiederherſtellung
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