der Monarchie in Frankreich würde die durch die italienische Rivalität nicht mehr abgeschwächte gegenseitige Anziehung der beiden katholischen Großmächte unternehmende Politiker in Versuchung führen können, mit der Wiederbelebung derselben zu experimentiren.
In der Beurtheilung Oestreichs ist es auch heut noch ein Irr¬ thum, die Möglichkeit einer feindseligen Politik auszuschließen, wie sie von Thugut, Schwarzenberg, Buol, Bach und Beust getrieben worden ist. Kann sich nicht die Politik für Pflicht gehaltner Un¬ dankbarkeit, deren Schwarzenberg sich Rußland gegenüber rühmte, in andrer Richtung wiederholen, die Politik, die uns von 1792 bis 1795, während wir mit Oestreich im Felde standen, Verlegenheit be¬ reitete und im Stiche ließ, um uns gegenüber in den polnischen Händeln stark genug zu bleiben, die bis dicht an den Erfolg bestrebt war, uns einen russischen Krieg auf den Hals zu ziehn, während wir als nominelle Verbündete für das Deutsche Reich gegen Frank¬ reich fochten, die sich auf dem Wiener Congreß bis nahe zum Kriege zwischen Rußland und Preußen geltend machte? Die An¬ wandlungen, ähnliche Wege einzuschlagen, werden für jetzt durch die persönliche Ehrlichkeit und Treue des Kaisers Franz Joseph niedergehalten, und dieser Monarch ist nicht mehr so jung und ohne Erfahrung, wie zu der Zeit, da er sich von der persönlichen Rancüne des Grafen Buol gegen den Kaiser Nicolaus zum poli¬ tischen Druck auf Rußland bestimmen ließ, wenig Jahre nach Vilagos; aber seine Garantie ist eine rein persönliche, fällt mit dem Personenwechsel hinweg, und die Elemente, die die Träger einer rivalisirenden Politik zu verschiedenen Epochen gewesen sind, können zu neuem Einflusse gelangen. Die Liebe der galizischen Polen, des ultramontanen Clerus für das Deutsche Reich ist vorübergehender und opportunistischer Natur, ebenso das Uebergewicht der Einsicht in die Nützlichkeit der deutschen Anlehnung über das Gefühl der Geringschätzung, mit dem der vollblütige Magyar auf den Schwaben herabsieht. In Ungarn, in Polen sind französische Sympathien auch heut lebendig, und im Clerus der habsburgischen Gesammt¬
Unſicherheit der Zukunft Oeſtreichs.
der Monarchie in Frankreich würde die durch die italieniſche Rivalität nicht mehr abgeſchwächte gegenſeitige Anziehung der beiden katholiſchen Großmächte unternehmende Politiker in Verſuchung führen können, mit der Wiederbelebung derſelben zu experimentiren.
In der Beurtheilung Oeſtreichs iſt es auch heut noch ein Irr¬ thum, die Möglichkeit einer feindſeligen Politik auszuſchließen, wie ſie von Thugut, Schwarzenberg, Buol, Bach und Beuſt getrieben worden iſt. Kann ſich nicht die Politik für Pflicht gehaltner Un¬ dankbarkeit, deren Schwarzenberg ſich Rußland gegenüber rühmte, in andrer Richtung wiederholen, die Politik, die uns von 1792 bis 1795, während wir mit Oeſtreich im Felde ſtanden, Verlegenheit be¬ reitete und im Stiche ließ, um uns gegenüber in den polniſchen Händeln ſtark genug zu bleiben, die bis dicht an den Erfolg beſtrebt war, uns einen ruſſiſchen Krieg auf den Hals zu ziehn, während wir als nominelle Verbündete für das Deutſche Reich gegen Frank¬ reich fochten, die ſich auf dem Wiener Congreß bis nahe zum Kriege zwiſchen Rußland und Preußen geltend machte? Die An¬ wandlungen, ähnliche Wege einzuſchlagen, werden für jetzt durch die perſönliche Ehrlichkeit und Treue des Kaiſers Franz Joſeph niedergehalten, und dieſer Monarch iſt nicht mehr ſo jung und ohne Erfahrung, wie zu der Zeit, da er ſich von der perſönlichen Rancüne des Grafen Buol gegen den Kaiſer Nicolaus zum poli¬ tiſchen Druck auf Rußland beſtimmen ließ, wenig Jahre nach Vilagos; aber ſeine Garantie iſt eine rein perſönliche, fällt mit dem Perſonenwechſel hinweg, und die Elemente, die die Träger einer rivaliſirenden Politik zu verſchiedenen Epochen geweſen ſind, können zu neuem Einfluſſe gelangen. Die Liebe der galiziſchen Polen, des ultramontanen Clerus für das Deutſche Reich iſt vorübergehender und opportuniſtiſcher Natur, ebenſo das Uebergewicht der Einſicht in die Nützlichkeit der deutſchen Anlehnung über das Gefühl der Geringſchätzung, mit dem der vollblütige Magyar auf den Schwaben herabſieht. In Ungarn, in Polen ſind franzöſiſche Sympathien auch heut lebendig, und im Clerus der habsburgiſchen Geſammt¬
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Unſicherheit der Zukunft Oeſtreichs.
der Monarchie in Frankreich würde die durch die italieniſche
Rivalität nicht mehr abgeſchwächte gegenſeitige Anziehung der beiden
katholiſchen Großmächte unternehmende Politiker in Verſuchung
führen können, mit der Wiederbelebung derſelben zu experimentiren.
In der Beurtheilung Oeſtreichs iſt es auch heut noch ein Irr¬
thum, die Möglichkeit einer feindſeligen Politik auszuſchließen, wie
ſie von Thugut, Schwarzenberg, Buol, Bach und Beuſt getrieben
worden iſt. Kann ſich nicht die Politik für Pflicht gehaltner Un¬
dankbarkeit, deren Schwarzenberg ſich Rußland gegenüber rühmte, in
andrer Richtung wiederholen, die Politik, die uns von 1792 bis
1795, während wir mit Oeſtreich im Felde ſtanden, Verlegenheit be¬
reitete und im Stiche ließ, um uns gegenüber in den polniſchen
Händeln ſtark genug zu bleiben, die bis dicht an den Erfolg beſtrebt
war, uns einen ruſſiſchen Krieg auf den Hals zu ziehn, während
wir als nominelle Verbündete für das Deutſche Reich gegen Frank¬
reich fochten, die ſich auf dem Wiener Congreß bis nahe zum
Kriege zwiſchen Rußland und Preußen geltend machte? Die An¬
wandlungen, ähnliche Wege einzuſchlagen, werden für jetzt durch
die perſönliche Ehrlichkeit und Treue des Kaiſers Franz Joſeph
niedergehalten, und dieſer Monarch iſt nicht mehr ſo jung und
ohne Erfahrung, wie zu der Zeit, da er ſich von der perſönlichen
Rancüne des Grafen Buol gegen den Kaiſer Nicolaus zum poli¬
tiſchen Druck auf Rußland beſtimmen ließ, wenig Jahre nach
Vilagos; aber ſeine Garantie iſt eine rein perſönliche, fällt mit dem
Perſonenwechſel hinweg, und die Elemente, die die Träger einer
rivaliſirenden Politik zu verſchiedenen Epochen geweſen ſind, können
zu neuem Einfluſſe gelangen. Die Liebe der galiziſchen Polen, des
ultramontanen Clerus für das Deutſche Reich iſt vorübergehender
und opportuniſtiſcher Natur, ebenſo das Uebergewicht der Einſicht
in die Nützlichkeit der deutſchen Anlehnung über das Gefühl der
Geringſchätzung, mit dem der vollblütige Magyar auf den Schwaben
herabſieht. In Ungarn, in Polen ſind franzöſiſche Sympathien
auch heut lebendig, und im Clerus der habsburgiſchen Geſammt¬
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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/279>, abgerufen am 17.06.2024.
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