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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Neunundzwanzigstes Kapitel: Der Dreibund.
monarchie würde eine katholisch-monarchische Restauration in Frank¬
reich die Beziehungen wieder beleben können, die 1863 und
zwischen 1866 und 1870 in gemeinsamer Diplomatie und in mehr
oder weniger reifen Vertragsbildungen ihren Ausdruck fanden. Die
Bürgschaft, die diesen Möglichkeiten gegenüber in der Person
des heutigen Kaisers von Oestreich und Königs von Ungarn liegt,
steht, wie gesagt, auf zwei Augen; eine voraussehende Politik soll
aber alle Eventualitäten im Auge behalten, die im Reiche der
Möglichkeit liegen. Die Möglichkeit eines Wettbewerbes zwischen
Wien und Berlin um russische Freundschaft kann ebenso gut wieder¬
kommen, wie sie zur Zeit von Olmütz vorhanden war, und zur
Zeit des Reichstadter Vertrages unter dem uns sehr wohlgesinnten
Grafen Andrassy Lebenszeichen gab.

Dieser Eventualität gegenüber ist es ein Vortheil für uns,
daß Oestreich und Rußland entgegengesetzte Interessen im Balkan
haben, und daß solche zwischen Rußland und Preußen-Deutschland
nicht in der Stärke vorhanden sind, daß sie zu Bruch und Kampf
Anlaß geben könnten. Dieser Vortheil kann aber vermöge der russi¬
schen Staatsverfassung durch persönliche Verstimmungen und unge¬
schickte Politik noch heut mit derselben Leichtigkeit aufgehoben werden,
mit der die Kaiserin Elisabeth durch Witze und bittre Worte Fried¬
richs des Großen bewogen wurde, dem französisch-östreichischen
Bunde gegen uns beizutreten. Zuträgereien, wie sie damals zur Auf¬
hetzung Rußlands dienten, Erfindungen und Indiscretionen werden
auch heut an beiden Höfen nicht fehlen; aber wir können Unabhängigkeit
und Würde Rußland gegenüber wahren, ohne die russische Empfind¬
lichkeit zu provociren und Rußlands Interessen zu schädigen. Ver¬
stimmung und Erbitterung, welche ohne Nothwendigkeit provocirt
werden, sind heut so wenig ohne Rückwirkung auf die geschichtlichen
Ereignisse, wie zur Zeit der Kaiserin Elisabeth von Rußland und
der Königin Anna von England. Aber die Rückwirkung von Ereig¬
nissen, die dadurch gefördert werden, auf das Wohl und die Zu¬
kunft der Völker ist heut zu Tage gewaltiger als vor 100 Jahren.

Neunundzwanzigſtes Kapitel: Der Dreibund.
monarchie würde eine katholiſch-monarchiſche Reſtauration in Frank¬
reich die Beziehungen wieder beleben können, die 1863 und
zwiſchen 1866 und 1870 in gemeinſamer Diplomatie und in mehr
oder weniger reifen Vertragsbildungen ihren Ausdruck fanden. Die
Bürgſchaft, die dieſen Möglichkeiten gegenüber in der Perſon
des heutigen Kaiſers von Oeſtreich und Königs von Ungarn liegt,
ſteht, wie geſagt, auf zwei Augen; eine vorausſehende Politik ſoll
aber alle Eventualitäten im Auge behalten, die im Reiche der
Möglichkeit liegen. Die Möglichkeit eines Wettbewerbes zwiſchen
Wien und Berlin um ruſſiſche Freundſchaft kann ebenſo gut wieder¬
kommen, wie ſie zur Zeit von Olmütz vorhanden war, und zur
Zeit des Reichſtadter Vertrages unter dem uns ſehr wohlgeſinnten
Grafen Andraſſy Lebenszeichen gab.

Dieſer Eventualität gegenüber iſt es ein Vortheil für uns,
daß Oeſtreich und Rußland entgegengeſetzte Intereſſen im Balkan
haben, und daß ſolche zwiſchen Rußland und Preußen-Deutſchland
nicht in der Stärke vorhanden ſind, daß ſie zu Bruch und Kampf
Anlaß geben könnten. Dieſer Vortheil kann aber vermöge der ruſſi¬
ſchen Staatsverfaſſung durch perſönliche Verſtimmungen und unge¬
ſchickte Politik noch heut mit derſelben Leichtigkeit aufgehoben werden,
mit der die Kaiſerin Eliſabeth durch Witze und bittre Worte Fried¬
richs des Großen bewogen wurde, dem franzöſiſch-öſtreichiſchen
Bunde gegen uns beizutreten. Zuträgereien, wie ſie damals zur Auf¬
hetzung Rußlands dienten, Erfindungen und Indiscretionen werden
auch heut an beiden Höfen nicht fehlen; aber wir können Unabhängigkeit
und Würde Rußland gegenüber wahren, ohne die ruſſiſche Empfind¬
lichkeit zu provociren und Rußlands Intereſſen zu ſchädigen. Ver¬
ſtimmung und Erbitterung, welche ohne Nothwendigkeit provocirt
werden, ſind heut ſo wenig ohne Rückwirkung auf die geſchichtlichen
Ereigniſſe, wie zur Zeit der Kaiſerin Eliſabeth von Rußland und
der Königin Anna von England. Aber die Rückwirkung von Ereig¬
niſſen, die dadurch gefördert werden, auf das Wohl und die Zu¬
kunft der Völker iſt heut zu Tage gewaltiger als vor 100 Jahren.

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[256/0280] Neunundzwanzigſtes Kapitel: Der Dreibund. monarchie würde eine katholiſch-monarchiſche Reſtauration in Frank¬ reich die Beziehungen wieder beleben können, die 1863 und zwiſchen 1866 und 1870 in gemeinſamer Diplomatie und in mehr oder weniger reifen Vertragsbildungen ihren Ausdruck fanden. Die Bürgſchaft, die dieſen Möglichkeiten gegenüber in der Perſon des heutigen Kaiſers von Oeſtreich und Königs von Ungarn liegt, ſteht, wie geſagt, auf zwei Augen; eine vorausſehende Politik ſoll aber alle Eventualitäten im Auge behalten, die im Reiche der Möglichkeit liegen. Die Möglichkeit eines Wettbewerbes zwiſchen Wien und Berlin um ruſſiſche Freundſchaft kann ebenſo gut wieder¬ kommen, wie ſie zur Zeit von Olmütz vorhanden war, und zur Zeit des Reichſtadter Vertrages unter dem uns ſehr wohlgeſinnten Grafen Andraſſy Lebenszeichen gab. Dieſer Eventualität gegenüber iſt es ein Vortheil für uns, daß Oeſtreich und Rußland entgegengeſetzte Intereſſen im Balkan haben, und daß ſolche zwiſchen Rußland und Preußen-Deutſchland nicht in der Stärke vorhanden ſind, daß ſie zu Bruch und Kampf Anlaß geben könnten. Dieſer Vortheil kann aber vermöge der ruſſi¬ ſchen Staatsverfaſſung durch perſönliche Verſtimmungen und unge¬ ſchickte Politik noch heut mit derſelben Leichtigkeit aufgehoben werden, mit der die Kaiſerin Eliſabeth durch Witze und bittre Worte Fried¬ richs des Großen bewogen wurde, dem franzöſiſch-öſtreichiſchen Bunde gegen uns beizutreten. Zuträgereien, wie ſie damals zur Auf¬ hetzung Rußlands dienten, Erfindungen und Indiscretionen werden auch heut an beiden Höfen nicht fehlen; aber wir können Unabhängigkeit und Würde Rußland gegenüber wahren, ohne die ruſſiſche Empfind¬ lichkeit zu provociren und Rußlands Intereſſen zu ſchädigen. Ver¬ ſtimmung und Erbitterung, welche ohne Nothwendigkeit provocirt werden, ſind heut ſo wenig ohne Rückwirkung auf die geſchichtlichen Ereigniſſe, wie zur Zeit der Kaiſerin Eliſabeth von Rußland und der Königin Anna von England. Aber die Rückwirkung von Ereig¬ niſſen, die dadurch gefördert werden, auf das Wohl und die Zu¬ kunft der Völker iſt heut zu Tage gewaltiger als vor 100 Jahren.

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/280>, abgerufen am 21.11.2024.