Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.Welche Politik haben Oestreich und Deutschland zu befolgen? Jedenfalls wird auch in der Zukunft nicht bloß kriegerische Unser Ansehn und unsre Sicherheit werden sich um so nach¬ 1) S. Bd. I 276 f.
Welche Politik haben Oeſtreich und Deutſchland zu befolgen? Jedenfalls wird auch in der Zukunft nicht bloß kriegeriſche Unſer Anſehn und unſre Sicherheit werden ſich um ſo nach¬ 1) S. Bd. I 276 f.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0289" n="265"/> <fw place="top" type="header">Welche Politik haben Oeſtreich und Deutſchland zu befolgen?<lb/></fw> <p>Jedenfalls wird auch in der Zukunft nicht bloß kriegeriſche<lb/> Rüſtung, ſondern auch ein richtiger politiſcher Blick dazu gehören,<lb/> das deutſche Staatsſchiff durch die Strömungen der Coalitionen zu<lb/> ſteuern, denen wir nach unſrer geographiſchen Lage und unſrer<lb/> Vorgeſchichte ausgeſetzt ſind. Durch Liebenswürdigkeiten und wirth¬<lb/> ſchaftliche Trinkgelder für befreundete Mächte werden wir den Ge¬<lb/> fahren, die im Schoße der Zukunft liegen, nicht vorbeugen, ſondern<lb/> die Begehrlichkeit unſrer einſtweiligen Freunde und ihre Rechnung<lb/> auf unſer Gefühl ſorgenvoller Bedürftigkeit ſteigern. Meine Be¬<lb/> fürchtung iſt, daß auf dem eingeſchlagenen Wege unſre Zukunft<lb/> kleinen und vorübergehenden Stimmungen der Gegenwart geopfert<lb/> wird. Frühere Herrſcher ſahen mehr auf Befähigung als auf<lb/> Gehorſam ihrer Rathgeber; wenn der Gehorſam allein das Kriterium<lb/> iſt, ſo wird ein Anſpruch an die univerſelle Begabung des Monarchen<lb/> geſtellt, dem ſelbſt Friedrich der Große nicht genügen würde, obſchon<lb/> die Politik in Krieg und Frieden zu ſeiner Zeit weniger ſchwierig<lb/> war wie heut.</p><lb/> <p>Unſer Anſehn und unſre Sicherheit werden ſich um ſo nach¬<lb/> haltiger entwickeln, je mehr wir uns bei Streitigkeiten, die uns<lb/> nicht unmittelbar berühren, in der Reſerve halten und unempfindlich<lb/> werden gegen jeden Verſuch, unſre <hi rendition="#g">Eitelkeit</hi> zu reizen und aus¬<lb/> zubeuten, Verſuche, wie ſie während des Krimkrieges von der eng¬<lb/> liſchen Preſſe und dem engliſchen Hofe und den auf England ge¬<lb/> ſtützten Strebern an unſerm eignen Hofe gemacht wurden, indem<lb/> man uns mit der Entziehung der Titulatur einer Großmacht ſo<lb/> erfolgreich bedrohte, daß Herr von Manteuffel uns in Paris großen<lb/> Demüthigungen ausſetzte, um zur Mitunterſchrift eines Vertrages<lb/> zugelaſſen zu werden, an den <hi rendition="#g">nicht</hi> gebunden zu ſein uns nützlich<lb/> geweſen ſein würde<note place="foot" n="1)">S. Bd. <hi rendition="#aq">I</hi> 276 f.</note>. Deutſchland würde auch heut eine große<lb/> Thorheit begehn, wenn es in orientaliſchen Streitfragen ohne eignes<lb/> Intereſſe früher Partei nehmen wollte, als die andern, mehr inter¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [265/0289]
Welche Politik haben Oeſtreich und Deutſchland zu befolgen?
Jedenfalls wird auch in der Zukunft nicht bloß kriegeriſche
Rüſtung, ſondern auch ein richtiger politiſcher Blick dazu gehören,
das deutſche Staatsſchiff durch die Strömungen der Coalitionen zu
ſteuern, denen wir nach unſrer geographiſchen Lage und unſrer
Vorgeſchichte ausgeſetzt ſind. Durch Liebenswürdigkeiten und wirth¬
ſchaftliche Trinkgelder für befreundete Mächte werden wir den Ge¬
fahren, die im Schoße der Zukunft liegen, nicht vorbeugen, ſondern
die Begehrlichkeit unſrer einſtweiligen Freunde und ihre Rechnung
auf unſer Gefühl ſorgenvoller Bedürftigkeit ſteigern. Meine Be¬
fürchtung iſt, daß auf dem eingeſchlagenen Wege unſre Zukunft
kleinen und vorübergehenden Stimmungen der Gegenwart geopfert
wird. Frühere Herrſcher ſahen mehr auf Befähigung als auf
Gehorſam ihrer Rathgeber; wenn der Gehorſam allein das Kriterium
iſt, ſo wird ein Anſpruch an die univerſelle Begabung des Monarchen
geſtellt, dem ſelbſt Friedrich der Große nicht genügen würde, obſchon
die Politik in Krieg und Frieden zu ſeiner Zeit weniger ſchwierig
war wie heut.
Unſer Anſehn und unſre Sicherheit werden ſich um ſo nach¬
haltiger entwickeln, je mehr wir uns bei Streitigkeiten, die uns
nicht unmittelbar berühren, in der Reſerve halten und unempfindlich
werden gegen jeden Verſuch, unſre Eitelkeit zu reizen und aus¬
zubeuten, Verſuche, wie ſie während des Krimkrieges von der eng¬
liſchen Preſſe und dem engliſchen Hofe und den auf England ge¬
ſtützten Strebern an unſerm eignen Hofe gemacht wurden, indem
man uns mit der Entziehung der Titulatur einer Großmacht ſo
erfolgreich bedrohte, daß Herr von Manteuffel uns in Paris großen
Demüthigungen ausſetzte, um zur Mitunterſchrift eines Vertrages
zugelaſſen zu werden, an den nicht gebunden zu ſein uns nützlich
geweſen ſein würde 1). Deutſchland würde auch heut eine große
Thorheit begehn, wenn es in orientaliſchen Streitfragen ohne eignes
Intereſſe früher Partei nehmen wollte, als die andern, mehr inter¬
1) S. Bd. I 276 f.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |