Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.Ressortparticularismus. Landtagsberathung kein Schutz gegen Unsinn. Ich halte auch die Voraussetzung für trügerisch, daß ein un¬ Ein Denkmal seiner Flüchtigkeit hat sich der Reichstag von Otto Fürst von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. II. 18
Reſſortparticularismus. Landtagsberathung kein Schutz gegen Unſinn. Ich halte auch die Vorauſſetzung für trügeriſch, daß ein un¬ Ein Denkmal ſeiner Flüchtigkeit hat ſich der Reichstag von Otto Fürſt von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. II. 18
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0297" n="273"/> <fw place="top" type="header">Reſſortparticularismus. Landtagsberathung kein Schutz gegen Unſinn.<lb/></fw> <p>Ich halte auch die Vorauſſetzung für trügeriſch, daß ein un¬<lb/> geſchickter Geſetzentwurf des Miniſteriums im Landtage ſachlich<lb/> genügend richtig geſtellt werden wird. Er kann und wird hoffent¬<lb/> lich in der Regel abgelehnt werden; iſt aber die Frage, die er<lb/> betrifft, dringend, ſo liegt die Gefahr vor, daß auch miniſterieller<lb/> Unſinn glatt durch die parlamentariſchen Stadien geht, namentlich<lb/> wenn es dem Verfaſſer gelingt, den einen oder andern einflu߬<lb/> reichen oder beredten Freund für ſein Erzeugniß zu gewinnen.<lb/> Abgeordnete, die einen Geſetzentwurf von mehr als hundert<lb/> Paragraphen zu leſen ſich die Mühe geben oder <hi rendition="#g">mit Verſtänd¬<lb/> niß</hi> zu leſen vermöchten, ſind bei der Ueberzahl ſtudirter Leute<lb/> aus der Juſtiz und der Verwaltung wohl vorhanden, aber die<lb/> Luſt und das Pflichtgefühl zur Arbeit haben nur wenige, und dieſe<lb/> ſind vertheilt unter einander bekämpfende Fractionen und Partei¬<lb/> beſtrebungen, deren Tendenzen es ihnen erſchweren, ſachlich zu<lb/> urtheilen. Die meiſten Abgeordneten leſen und prüfen nicht, ſondern<lb/> fragen die für eigne Zwecke arbeitenden und redenden Fractions¬<lb/> führer, wann ſie in die Sitzung kommen und wie ſie ſtimmen<lb/> ſollen. Das Alles iſt aus der menſchlichen Natur erklärlich, und<lb/> niemand iſt darüber zu tadeln, daß er nicht aus ſeiner Haut<lb/> hinaus kann; nur darf man ſich darüber nicht täuſchen, daß es ein<lb/> bedenklicher Irrthum iſt, anzunehmen, daß unſern Geſetzen heut<lb/> zu Tage die Prüfung und vorbereitende Arbeit zu Theil werde, deren<lb/> ſie bedürfen, oder auch nur die, welche ſie vor 1848 genoſſen.</p><lb/> <p>Ein Denkmal ſeiner Flüchtigkeit hat ſich der Reichstag von<lb/> 1867 in der Verfaſſung des Norddeutſchen Bundes geſetzt, das in<lb/> die Verfaſſung des Deutſchen Reiches übergegangen iſt. Der einem<lb/> Beſchluſſe des Frankfurter Bundestages nachgebildete Artikel 68 des<lb/> Entwurfs zählte fünf Verbrechen auf, die, wenn ſie gegen den Bund<lb/> begangen werden, ſo beſtraft werden ſollen, als wenn ſie gegen einen<lb/> einzelnen Bundesſtaat begangen wären. Die fünfte Nummer war<lb/> mit „endlich“ eingeführt. Der wegen ſeiner Gründlichkeit gerühmte<lb/> Tweſten ſtellte den Verbeſſerungsantrag, die drei erſten Nummern<lb/> <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Otto Fürſt von Bismarck</hi>, Gedanken und Erinnerungen. <hi rendition="#aq">II</hi>. 18<lb/></fw> </p> </div> </body> </text> </TEI> [273/0297]
Reſſortparticularismus. Landtagsberathung kein Schutz gegen Unſinn.
Ich halte auch die Vorauſſetzung für trügeriſch, daß ein un¬
geſchickter Geſetzentwurf des Miniſteriums im Landtage ſachlich
genügend richtig geſtellt werden wird. Er kann und wird hoffent¬
lich in der Regel abgelehnt werden; iſt aber die Frage, die er
betrifft, dringend, ſo liegt die Gefahr vor, daß auch miniſterieller
Unſinn glatt durch die parlamentariſchen Stadien geht, namentlich
wenn es dem Verfaſſer gelingt, den einen oder andern einflu߬
reichen oder beredten Freund für ſein Erzeugniß zu gewinnen.
Abgeordnete, die einen Geſetzentwurf von mehr als hundert
Paragraphen zu leſen ſich die Mühe geben oder mit Verſtänd¬
niß zu leſen vermöchten, ſind bei der Ueberzahl ſtudirter Leute
aus der Juſtiz und der Verwaltung wohl vorhanden, aber die
Luſt und das Pflichtgefühl zur Arbeit haben nur wenige, und dieſe
ſind vertheilt unter einander bekämpfende Fractionen und Partei¬
beſtrebungen, deren Tendenzen es ihnen erſchweren, ſachlich zu
urtheilen. Die meiſten Abgeordneten leſen und prüfen nicht, ſondern
fragen die für eigne Zwecke arbeitenden und redenden Fractions¬
führer, wann ſie in die Sitzung kommen und wie ſie ſtimmen
ſollen. Das Alles iſt aus der menſchlichen Natur erklärlich, und
niemand iſt darüber zu tadeln, daß er nicht aus ſeiner Haut
hinaus kann; nur darf man ſich darüber nicht täuſchen, daß es ein
bedenklicher Irrthum iſt, anzunehmen, daß unſern Geſetzen heut
zu Tage die Prüfung und vorbereitende Arbeit zu Theil werde, deren
ſie bedürfen, oder auch nur die, welche ſie vor 1848 genoſſen.
Ein Denkmal ſeiner Flüchtigkeit hat ſich der Reichstag von
1867 in der Verfaſſung des Norddeutſchen Bundes geſetzt, das in
die Verfaſſung des Deutſchen Reiches übergegangen iſt. Der einem
Beſchluſſe des Frankfurter Bundestages nachgebildete Artikel 68 des
Entwurfs zählte fünf Verbrechen auf, die, wenn ſie gegen den Bund
begangen werden, ſo beſtraft werden ſollen, als wenn ſie gegen einen
einzelnen Bundesſtaat begangen wären. Die fünfte Nummer war
mit „endlich“ eingeführt. Der wegen ſeiner Gründlichkeit gerühmte
Tweſten ſtellte den Verbeſſerungsantrag, die drei erſten Nummern
Otto Fürſt von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. II. 18
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