Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.Neunzehntes Kapitel: Schleswig-Holstein. Sommer benützbar und von zweifelhaftem militärischen Werthe sein;für 40 bis 50 Millionen Thaler, die er kosten werde, baue man besser eine zweite Flotte. Die Gründe, die mir in der Bewerbung um die königliche Entscheidung entgegen gesetzt wurden, hatten ihr Gewicht mehr in dem großen Ansehn, das die militärischen Kreise bei Sr. Majestät genossen, als in ihrem materiellen In¬ halt; sie gipfelten in dem Argument, daß ein so kostspieliges Werk wie der Canal zu seinem Schutze im Kriege eine Truppenmasse erfordern würde, die wir der Landarmee nicht ohne Schaden entziehn könnten. Es wurde die Ziffer von 60000 Mann an¬ gegeben, die im Falle eines dänischen Anschlusses an feindliche Landungen zum Schutze des Canals verfügbar gehalten werden müßten. Ich wandte dagegen ein, daß wir Kiel mit seinen An¬ lagen, Hamburg und den Weg von dort nach Berlin immer würden decken müssen, auch wenn kein Canal vorhanden sei. Unter der Last des Uebermaßes andrer Geschäfte und den mannich¬ fachen Kämpfen der siebziger Jahre konnte ich nicht die Kraft und Zeit aufwenden, um den Widerstand der genannten Behörde vor dem Kaiser zu überwinden; die Sache blieb in den Acten liegen. Ich schreibe den Widerstand mehr der militärischen Eifersucht zu, mit der ich 1866, 1870 und später Kämpfe zu bestehn hatte, die meinem Gemüthe peinlicher gewesen sind als die meisten andern. Bei meinem Bemühn, die Zustimmung des Kaisers zu ge¬ Neunzehntes Kapitel: Schleswig-Holſtein. Sommer benützbar und von zweifelhaftem militäriſchen Werthe ſein;für 40 bis 50 Millionen Thaler, die er koſten werde, baue man beſſer eine zweite Flotte. Die Gründe, die mir in der Bewerbung um die königliche Entſcheidung entgegen geſetzt wurden, hatten ihr Gewicht mehr in dem großen Anſehn, das die militäriſchen Kreiſe bei Sr. Majeſtät genoſſen, als in ihrem materiellen In¬ halt; ſie gipfelten in dem Argument, daß ein ſo koſtſpieliges Werk wie der Canal zu ſeinem Schutze im Kriege eine Truppenmaſſe erfordern würde, die wir der Landarmee nicht ohne Schaden entziehn könnten. Es wurde die Ziffer von 60000 Mann an¬ gegeben, die im Falle eines däniſchen Anſchluſſes an feindliche Landungen zum Schutze des Canals verfügbar gehalten werden müßten. Ich wandte dagegen ein, daß wir Kiel mit ſeinen An¬ lagen, Hamburg und den Weg von dort nach Berlin immer würden decken müſſen, auch wenn kein Canal vorhanden ſei. Unter der Laſt des Uebermaßes andrer Geſchäfte und den mannich¬ fachen Kämpfen der ſiebziger Jahre konnte ich nicht die Kraft und Zeit aufwenden, um den Widerſtand der genannten Behörde vor dem Kaiſer zu überwinden; die Sache blieb in den Acten liegen. Ich ſchreibe den Widerſtand mehr der militäriſchen Eiferſucht zu, mit der ich 1866, 1870 und ſpäter Kämpfe zu beſtehn hatte, die meinem Gemüthe peinlicher geweſen ſind als die meiſten andern. Bei meinem Bemühn, die Zuſtimmung des Kaiſers zu ge¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0054" n="30"/><fw place="top" type="header">Neunzehntes Kapitel: Schleswig-Holſtein.<lb/></fw> Sommer benützbar und von zweifelhaftem militäriſchen Werthe ſein;<lb/> für 40 bis 50 Millionen Thaler, die er koſten werde, baue man<lb/> beſſer eine zweite Flotte. Die Gründe, die mir in der Bewerbung<lb/> um die königliche Entſcheidung entgegen geſetzt wurden, hatten ihr<lb/> Gewicht mehr in dem großen Anſehn, das die militäriſchen<lb/> Kreiſe bei Sr. Majeſtät genoſſen, als in ihrem materiellen In¬<lb/> halt; ſie gipfelten in dem Argument, daß ein ſo koſtſpieliges Werk<lb/> wie der Canal zu ſeinem Schutze im Kriege eine Truppenmaſſe<lb/> erfordern würde, die wir der Landarmee nicht ohne Schaden<lb/> entziehn könnten. Es wurde die Ziffer von 60000 Mann an¬<lb/> gegeben, die im Falle eines däniſchen Anſchluſſes an feindliche<lb/> Landungen zum Schutze des Canals verfügbar gehalten werden<lb/> müßten. Ich wandte dagegen ein, daß wir Kiel mit ſeinen An¬<lb/> lagen, Hamburg und den Weg von dort nach Berlin immer<lb/> würden decken müſſen, auch wenn kein Canal vorhanden ſei. Unter<lb/> der Laſt des Uebermaßes andrer Geſchäfte und den mannich¬<lb/> fachen Kämpfen der ſiebziger Jahre konnte ich nicht die Kraft und<lb/> Zeit aufwenden, um den Widerſtand der genannten Behörde vor<lb/> dem Kaiſer zu überwinden; die Sache blieb in den Acten liegen.<lb/> Ich ſchreibe den Widerſtand mehr der militäriſchen Eiferſucht zu,<lb/> mit der ich 1866, 1870 und ſpäter Kämpfe zu beſtehn hatte, die<lb/> meinem Gemüthe peinlicher geweſen ſind als die meiſten andern.<lb/></p> <p>Bei meinem Bemühn, die Zuſtimmung des Kaiſers zu ge¬<lb/> winnen, hatte ich weniger die handelspolitiſchen Vortheile, als die<lb/> ihm mehr eingänglichen militäriſchen Erwägungen in den Vorder¬<lb/> grund geſtellt. Die holländiſche Kriegsmarine hat den Vortheil,<lb/> Canäle im Binnenlande benutzen zu können, die den größten<lb/> Schiffen den Durchgang geſtatten. Unſer analoges Bedürfniß einer<lb/> Canalverbindung wird durch das Vorhandenſein der däniſchen Halb¬<lb/> inſel und die Vertheilung unſrer Flotte auf zwei getrennten Meeren<lb/> weſentlich geſteigert. Wenn unſre geſammte Flotte aus dem Kieler<lb/> Hafen, der Elbemündung und eventuell, bei Verlängerung des Canals,<lb/> der Jahde ausfallen kann, ohne daß ein blockirender Feind es vor¬<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [30/0054]
Neunzehntes Kapitel: Schleswig-Holſtein.
Sommer benützbar und von zweifelhaftem militäriſchen Werthe ſein;
für 40 bis 50 Millionen Thaler, die er koſten werde, baue man
beſſer eine zweite Flotte. Die Gründe, die mir in der Bewerbung
um die königliche Entſcheidung entgegen geſetzt wurden, hatten ihr
Gewicht mehr in dem großen Anſehn, das die militäriſchen
Kreiſe bei Sr. Majeſtät genoſſen, als in ihrem materiellen In¬
halt; ſie gipfelten in dem Argument, daß ein ſo koſtſpieliges Werk
wie der Canal zu ſeinem Schutze im Kriege eine Truppenmaſſe
erfordern würde, die wir der Landarmee nicht ohne Schaden
entziehn könnten. Es wurde die Ziffer von 60000 Mann an¬
gegeben, die im Falle eines däniſchen Anſchluſſes an feindliche
Landungen zum Schutze des Canals verfügbar gehalten werden
müßten. Ich wandte dagegen ein, daß wir Kiel mit ſeinen An¬
lagen, Hamburg und den Weg von dort nach Berlin immer
würden decken müſſen, auch wenn kein Canal vorhanden ſei. Unter
der Laſt des Uebermaßes andrer Geſchäfte und den mannich¬
fachen Kämpfen der ſiebziger Jahre konnte ich nicht die Kraft und
Zeit aufwenden, um den Widerſtand der genannten Behörde vor
dem Kaiſer zu überwinden; die Sache blieb in den Acten liegen.
Ich ſchreibe den Widerſtand mehr der militäriſchen Eiferſucht zu,
mit der ich 1866, 1870 und ſpäter Kämpfe zu beſtehn hatte, die
meinem Gemüthe peinlicher geweſen ſind als die meiſten andern.
Bei meinem Bemühn, die Zuſtimmung des Kaiſers zu ge¬
winnen, hatte ich weniger die handelspolitiſchen Vortheile, als die
ihm mehr eingänglichen militäriſchen Erwägungen in den Vorder¬
grund geſtellt. Die holländiſche Kriegsmarine hat den Vortheil,
Canäle im Binnenlande benutzen zu können, die den größten
Schiffen den Durchgang geſtatten. Unſer analoges Bedürfniß einer
Canalverbindung wird durch das Vorhandenſein der däniſchen Halb¬
inſel und die Vertheilung unſrer Flotte auf zwei getrennten Meeren
weſentlich geſteigert. Wenn unſre geſammte Flotte aus dem Kieler
Hafen, der Elbemündung und eventuell, bei Verlängerung des Canals,
der Jahde ausfallen kann, ohne daß ein blockirender Feind es vor¬
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |