Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.Zwanzigstes Kapitel: Nikolsburg. schränkung auf die Elblinie, inzwischen Führung des Krieges gegenFrankreich. Dieses Gutachten befestigte mich noch mehr in meinem Ent¬ Eine Betheiligung Frankreichs am Kriege hätte damals viel¬ Zwanzigſtes Kapitel: Nikolsburg. ſchränkung auf die Elblinie, inzwiſchen Führung des Krieges gegenFrankreich. Dieſes Gutachten befeſtigte mich noch mehr in meinem Ent¬ Eine Betheiligung Frankreichs am Kriege hätte damals viel¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0058" n="34"/><fw place="top" type="header">Zwanzigſtes Kapitel: Nikolsburg.<lb/></fw> ſchränkung auf die Elblinie, inzwiſchen Führung des Krieges gegen<lb/> Frankreich.</p><lb/> <p>Dieſes Gutachten befeſtigte mich noch mehr in meinem Ent¬<lb/> ſchluſſe, Seiner Majeſtät den Frieden auf der Baſis der terri¬<lb/> torialen Integrität Oeſtreichs anzurathen. Ich war der Anſicht,<lb/> daß wir im Falle der franzöſiſchen Einmiſchung entweder ſofort<lb/> unter mäßigen Bedingungen mit Oeſtreich Frieden und wo möglich<lb/> ein Bündniß ſchließen müßten, um Frankreich anzugreifen, oder daß<lb/> wir Oeſtreich durch raſchen Anlauf und durch Förderung des Con¬<lb/> flicts in Ungarn, vielleicht auch in Böhmen, ſchnell vollends lahm<lb/> zu legen, und bis dahin gegen Frankreich, nicht, wie Moltke wollte,<lb/> gegen Oeſtreich, uns nur defenſiv zu verhalten hätten. Ich war<lb/> des Glaubens, daß der Krieg gegen Frankreich, den Moltke, wie<lb/> er ſagte, zuerſt und ſchnell führen wollte, nicht ſo leicht ſein, daß<lb/> Frankreich zwar für die Offenſive wenig Kräfte übrig haben, aber<lb/> in der Defenſive nach geſchichtlicher Erfahrung im Lande ſelbſt bald<lb/> ſtark genug werden würde, um den Krieg in die Länge zu ziehn,<lb/> ſo daß wir dann vielleicht unſre Defenſive gegen Oeſtreich an der<lb/> Elbe nicht ſiegreich würden halten können, wenn wir einen In¬<lb/> vaſionskrieg in Frankreich, mit Oeſtreich und Süddeutſchland feind¬<lb/> lich im Rücken, zu führen hätten. Ich wurde durch dieſe Perſpec¬<lb/> tive zur lebhafteren Anſtrengung im Sinne des Friedens beſtimmt.</p><lb/> <p>Eine Betheiligung Frankreichs am Kriege hätte damals viel¬<lb/> leicht nur 60 000 Mann franzöſiſcher Truppen ſofort nach Deutſch¬<lb/> land in das Gefecht geführt, vielleicht noch weniger; dieſe Zuthat<lb/> zu dem Beſtande der ſüddeutſchen Bundesarmee wäre jedoch aus¬<lb/> reichend geweſen, um für die letztre die einheitliche und energiſche<lb/> Führung, wahrſcheinlich unter franzöſiſchem Obercommando, herzu¬<lb/> ſtellen. Allein die bairiſche Armee ſoll zur Zeit des Waffenſtill¬<lb/> ſtandes 100 000 Köpfe ſtark geweſen ſein, und mit den übrigen ver¬<lb/> fügbaren deutſchen Truppen, an ſich guten und tapfern Soldaten, und<lb/> 60 000 Franzoſen wäre uns von Südweſten her eine Armee von<lb/> 200 000 Mann unter einheitlicher, kräftiger franzöſiſcher Leitung<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [34/0058]
Zwanzigſtes Kapitel: Nikolsburg.
ſchränkung auf die Elblinie, inzwiſchen Führung des Krieges gegen
Frankreich.
Dieſes Gutachten befeſtigte mich noch mehr in meinem Ent¬
ſchluſſe, Seiner Majeſtät den Frieden auf der Baſis der terri¬
torialen Integrität Oeſtreichs anzurathen. Ich war der Anſicht,
daß wir im Falle der franzöſiſchen Einmiſchung entweder ſofort
unter mäßigen Bedingungen mit Oeſtreich Frieden und wo möglich
ein Bündniß ſchließen müßten, um Frankreich anzugreifen, oder daß
wir Oeſtreich durch raſchen Anlauf und durch Förderung des Con¬
flicts in Ungarn, vielleicht auch in Böhmen, ſchnell vollends lahm
zu legen, und bis dahin gegen Frankreich, nicht, wie Moltke wollte,
gegen Oeſtreich, uns nur defenſiv zu verhalten hätten. Ich war
des Glaubens, daß der Krieg gegen Frankreich, den Moltke, wie
er ſagte, zuerſt und ſchnell führen wollte, nicht ſo leicht ſein, daß
Frankreich zwar für die Offenſive wenig Kräfte übrig haben, aber
in der Defenſive nach geſchichtlicher Erfahrung im Lande ſelbſt bald
ſtark genug werden würde, um den Krieg in die Länge zu ziehn,
ſo daß wir dann vielleicht unſre Defenſive gegen Oeſtreich an der
Elbe nicht ſiegreich würden halten können, wenn wir einen In¬
vaſionskrieg in Frankreich, mit Oeſtreich und Süddeutſchland feind¬
lich im Rücken, zu führen hätten. Ich wurde durch dieſe Perſpec¬
tive zur lebhafteren Anſtrengung im Sinne des Friedens beſtimmt.
Eine Betheiligung Frankreichs am Kriege hätte damals viel¬
leicht nur 60 000 Mann franzöſiſcher Truppen ſofort nach Deutſch¬
land in das Gefecht geführt, vielleicht noch weniger; dieſe Zuthat
zu dem Beſtande der ſüddeutſchen Bundesarmee wäre jedoch aus¬
reichend geweſen, um für die letztre die einheitliche und energiſche
Führung, wahrſcheinlich unter franzöſiſchem Obercommando, herzu¬
ſtellen. Allein die bairiſche Armee ſoll zur Zeit des Waffenſtill¬
ſtandes 100 000 Köpfe ſtark geweſen ſein, und mit den übrigen ver¬
fügbaren deutſchen Truppen, an ſich guten und tapfern Soldaten, und
60 000 Franzoſen wäre uns von Südweſten her eine Armee von
200 000 Mann unter einheitlicher, kräftiger franzöſiſcher Leitung
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