Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.Zwanzigstes Kapitel: Nikolsburg. was selten und vorübergehend der Fall war. Wenn auch gelegentlichdas Gefühl der bairischen Protestanten verletzt wurde, so hat sich die Empfindlichkeit darüber niemals in Gestalt einer Erinnerung an Preußen geäußert. Uebrigens wäre auch nach einer solchen Beschneidung der bairische Stamm von den Alpen bis zur Ober¬ pfalz in der Verbitterung, in welche die Verstümmelung des König¬ reichs ihn versetzt haben würde, immer als ein schwer zu ver¬ söhnendes und nach der ihm innewohnenden Stärke gefährliches Element für die zukünftige Einigkeit zu betrachten gewesen. Es gelang mir jedoch in Nikolsburg nicht, dem Könige meine Ansichten über den zu schließenden Frieden annehmbar zu machen. Ich mußte daher Herrn von der Pfordten, der am 24. Juli dorthin gekommen war, unverrichteter Sache abreisen lassen und mich mit einer Kritik seines Verhaltens vor dem Kriege begnügen. Er war ängstlich, die östreichische Anlehnung vollständig aufzugeben, obgleich er sich auch dem Wiener Einfluß gern entzogen hätte, wenn es ohne Gefahr möglich war; aber Rheinbunds-Velleitäten, Reminiscenzen an die Stellung, die die deutschen Kleinstaaten unter französischem Schutze von 1806 bis 1814 gehabt hatten, waren bei ihm nicht vorhanden -- ein ehrlicher und gelehrter, aber politisch nicht geschickter deutscher Professor. Dieselbe Erwägung, wie in Betreff der fränkischen Fürsten¬ Zwanzigſtes Kapitel: Nikolsburg. was ſelten und vorübergehend der Fall war. Wenn auch gelegentlichdas Gefühl der bairiſchen Proteſtanten verletzt wurde, ſo hat ſich die Empfindlichkeit darüber niemals in Geſtalt einer Erinnerung an Preußen geäußert. Uebrigens wäre auch nach einer ſolchen Beſchneidung der bairiſche Stamm von den Alpen bis zur Ober¬ pfalz in der Verbitterung, in welche die Verſtümmelung des König¬ reichs ihn verſetzt haben würde, immer als ein ſchwer zu ver¬ ſöhnendes und nach der ihm innewohnenden Stärke gefährliches Element für die zukünftige Einigkeit zu betrachten geweſen. Es gelang mir jedoch in Nikolsburg nicht, dem Könige meine Anſichten über den zu ſchließenden Frieden annehmbar zu machen. Ich mußte daher Herrn von der Pfordten, der am 24. Juli dorthin gekommen war, unverrichteter Sache abreiſen laſſen und mich mit einer Kritik ſeines Verhaltens vor dem Kriege begnügen. Er war ängſtlich, die öſtreichiſche Anlehnung vollſtändig aufzugeben, obgleich er ſich auch dem Wiener Einfluß gern entzogen hätte, wenn es ohne Gefahr möglich war; aber Rheinbunds-Velleitäten, Reminiſcenzen an die Stellung, die die deutſchen Kleinſtaaten unter franzöſiſchem Schutze von 1806 bis 1814 gehabt hatten, waren bei ihm nicht vorhanden — ein ehrlicher und gelehrter, aber politiſch nicht geſchickter deutſcher Profeſſor. Dieſelbe Erwägung, wie in Betreff der fränkiſchen Fürſten¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0064" n="40"/><fw place="top" type="header">Zwanzigſtes Kapitel: Nikolsburg.<lb/></fw> was ſelten und vorübergehend der Fall war. Wenn auch gelegentlich<lb/> das Gefühl der bairiſchen Proteſtanten verletzt wurde, ſo hat ſich<lb/> die Empfindlichkeit darüber niemals in Geſtalt einer Erinnerung<lb/> an Preußen geäußert. 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Es kam ſpäter hinzu,<lb/> daß Karolyi jede Landabtretung kategoriſch ablehnte, ſelbſt die von<lb/> mir ihm gegenüber berührte des kleinen Gebiets von Braunau,<lb/> deſſen Beſitz für uns ein Eiſenbahnintereſſe hatte. Ich zog vor, auch<lb/> darauf zu verzichten, ſobald das Feſthalten den Abſchluß zu verſchlep¬<lb/> pen und die Gefahr franzöſiſcher Einmiſchung zu verſchärfen drohte.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [40/0064]
Zwanzigſtes Kapitel: Nikolsburg.
was ſelten und vorübergehend der Fall war. Wenn auch gelegentlich
das Gefühl der bairiſchen Proteſtanten verletzt wurde, ſo hat ſich
die Empfindlichkeit darüber niemals in Geſtalt einer Erinnerung
an Preußen geäußert. Uebrigens wäre auch nach einer ſolchen
Beſchneidung der bairiſche Stamm von den Alpen bis zur Ober¬
pfalz in der Verbitterung, in welche die Verſtümmelung des König¬
reichs ihn verſetzt haben würde, immer als ein ſchwer zu ver¬
ſöhnendes und nach der ihm innewohnenden Stärke gefährliches
Element für die zukünftige Einigkeit zu betrachten geweſen. Es
gelang mir jedoch in Nikolsburg nicht, dem Könige meine Anſichten
über den zu ſchließenden Frieden annehmbar zu machen. Ich mußte
daher Herrn von der Pfordten, der am 24. Juli dorthin gekommen
war, unverrichteter Sache abreiſen laſſen und mich mit einer Kritik
ſeines Verhaltens vor dem Kriege begnügen. Er war ängſtlich, die
öſtreichiſche Anlehnung vollſtändig aufzugeben, obgleich er ſich auch
dem Wiener Einfluß gern entzogen hätte, wenn es ohne Gefahr
möglich war; aber Rheinbunds-Velleitäten, Reminiſcenzen an die
Stellung, die die deutſchen Kleinſtaaten unter franzöſiſchem Schutze
von 1806 bis 1814 gehabt hatten, waren bei ihm nicht vorhanden
— ein ehrlicher und gelehrter, aber politiſch nicht geſchickter deutſcher
Profeſſor.
Dieſelbe Erwägung, wie in Betreff der fränkiſchen Fürſten¬
thümer, machte ich Sr. Majeſtät gegenüber geltend in Betreff
Oeſtreichiſch-Schleſiens, das eine der kaiſertreueſten Provinzen,
überdies vorwiegend ſlaviſch bevölkert iſt, und in Betreff der
böhmiſchen Gebiete, die der König auf Andringen des Prinzen
Friedrich Carl als Glacis vor den ſächſiſchen Bergen behalten
wollte, Reichenberg, das Egerthal, Karlsbad. Es kam ſpäter hinzu,
daß Karolyi jede Landabtretung kategoriſch ablehnte, ſelbſt die von
mir ihm gegenüber berührte des kleinen Gebiets von Braunau,
deſſen Beſitz für uns ein Eiſenbahnintereſſe hatte. Ich zog vor, auch
darauf zu verzichten, ſobald das Feſthalten den Abſchluß zu verſchlep¬
pen und die Gefahr franzöſiſcher Einmiſchung zu verſchärfen drohte.
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