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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Schwierigkeit der Lage gegenüber den militärischen Einflüssen.
sollte an die Stelle Europas gesetzt werden, welche der östreichische
Staat von Tyrol bis zur Bukowina bisher ausfüllt? Neue
Bildungen auf dieser Fläche könnten nur dauernd revolutionärer
Natur sein. Deutsch-Oestreich könnten wir weder ganz, noch theil¬
weise brauchen, eine Stärkung des preußischen Staates durch Er¬
werbung von Provinzen wie Oestreichisch-Schlesien und Stücken
von Böhmen nicht gewinnen, eine Verschmelzung des deutschen
Oestreichs mit Preußen würde nicht erfolgen, Wien als ein Zu¬
behör von Berlin aus nicht zu regiren sein.

Wenn der Krieg fortgesetzt würde, so wäre der wahrscheinliche
Kampfplatz Ungarn. Die östreichische Armee, die, wenn wir bei
Preßburg über die Donau gegangen, Wien nicht würde halten
können, würde schwerlich nach Süden ausweichen, wo sie zwischen
die preußische und die italienische Armee geriethe und durch ihre
Annäherung an Italien die gesunkene und durch Louis Napoleon
eingeschränkte Kampflust der Italiener neu beleben würde; sondern
sie würde nach Osten ausweichen und die Vertheidigung in Ungarn
fortsetzen, wenn auch nur in der Hoffnung auf die in Aussicht
stehende Einmischung Frankreichs und die durch Frankreich vor¬
bereitete Desinteressirung Italiens. Uebrigens hielte ich auch unter
dem rein militärischen Gesichtspunkte nach meiner Kenntniß des
ungarischen Landes die Fortsetzung des Krieges dort für undankbar,
die dort zu erreichenden Erfolge für nicht im Verhältniß stehend
zu den bisher gewonnenen Siegen, also unser Prestige vermindernd
-- ganz abgesehn davon, daß die Verlängerung des Krieges der
französischen Einmischung die Wege ebnen würde. Wir müßten
rasch abschließen, ehe Frankreich Zeit zur Entwicklung weitrer diplo¬
matischer Action auf Oestreich gewönne.

Gegen alles dies erhob der König keine Einwendung; aber
die vorliegenden Bedingungen erklärte er für ungenügend, ohne
jedoch seine Forderungen bestimmt zu formuliren. Nur so viel war
klar, daß seine Ansprüche seit dem 4. Juli gewachsen waren. Der
Hauptschuldige könne doch nicht ungestraft ausgehn, die Verführten

Schwierigkeit der Lage gegenüber den militäriſchen Einflüſſen.
ſollte an die Stelle Europas geſetzt werden, welche der öſtreichiſche
Staat von Tyrol bis zur Bukowina bisher ausfüllt? Neue
Bildungen auf dieſer Fläche könnten nur dauernd revolutionärer
Natur ſein. Deutſch-Oeſtreich könnten wir weder ganz, noch theil¬
weiſe brauchen, eine Stärkung des preußiſchen Staates durch Er¬
werbung von Provinzen wie Oeſtreichiſch-Schleſien und Stücken
von Böhmen nicht gewinnen, eine Verſchmelzung des deutſchen
Oeſtreichs mit Preußen würde nicht erfolgen, Wien als ein Zu¬
behör von Berlin aus nicht zu regiren ſein.

Wenn der Krieg fortgeſetzt würde, ſo wäre der wahrſcheinliche
Kampfplatz Ungarn. Die öſtreichiſche Armee, die, wenn wir bei
Preßburg über die Donau gegangen, Wien nicht würde halten
können, würde ſchwerlich nach Süden ausweichen, wo ſie zwiſchen
die preußiſche und die italieniſche Armee geriethe und durch ihre
Annäherung an Italien die geſunkene und durch Louis Napoleon
eingeſchränkte Kampfluſt der Italiener neu beleben würde; ſondern
ſie würde nach Oſten ausweichen und die Vertheidigung in Ungarn
fortſetzen, wenn auch nur in der Hoffnung auf die in Ausſicht
ſtehende Einmiſchung Frankreichs und die durch Frankreich vor¬
bereitete Desintereſſirung Italiens. Uebrigens hielte ich auch unter
dem rein militäriſchen Geſichtspunkte nach meiner Kenntniß des
ungariſchen Landes die Fortſetzung des Krieges dort für undankbar,
die dort zu erreichenden Erfolge für nicht im Verhältniß ſtehend
zu den bisher gewonnenen Siegen, alſo unſer Preſtige vermindernd
— ganz abgeſehn davon, daß die Verlängerung des Krieges der
franzöſiſchen Einmiſchung die Wege ebnen würde. Wir müßten
raſch abſchließen, ehe Frankreich Zeit zur Entwicklung weitrer diplo¬
matiſcher Action auf Oeſtreich gewönne.

Gegen alles dies erhob der König keine Einwendung; aber
die vorliegenden Bedingungen erklärte er für ungenügend, ohne
jedoch ſeine Forderungen beſtimmt zu formuliren. Nur ſo viel war
klar, daß ſeine Anſprüche ſeit dem 4. Juli gewachſen waren. Der
Hauptſchuldige könne doch nicht ungeſtraft ausgehn, die Verführten

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[45/0069] Schwierigkeit der Lage gegenüber den militäriſchen Einflüſſen. ſollte an die Stelle Europas geſetzt werden, welche der öſtreichiſche Staat von Tyrol bis zur Bukowina bisher ausfüllt? Neue Bildungen auf dieſer Fläche könnten nur dauernd revolutionärer Natur ſein. Deutſch-Oeſtreich könnten wir weder ganz, noch theil¬ weiſe brauchen, eine Stärkung des preußiſchen Staates durch Er¬ werbung von Provinzen wie Oeſtreichiſch-Schleſien und Stücken von Böhmen nicht gewinnen, eine Verſchmelzung des deutſchen Oeſtreichs mit Preußen würde nicht erfolgen, Wien als ein Zu¬ behör von Berlin aus nicht zu regiren ſein. Wenn der Krieg fortgeſetzt würde, ſo wäre der wahrſcheinliche Kampfplatz Ungarn. Die öſtreichiſche Armee, die, wenn wir bei Preßburg über die Donau gegangen, Wien nicht würde halten können, würde ſchwerlich nach Süden ausweichen, wo ſie zwiſchen die preußiſche und die italieniſche Armee geriethe und durch ihre Annäherung an Italien die geſunkene und durch Louis Napoleon eingeſchränkte Kampfluſt der Italiener neu beleben würde; ſondern ſie würde nach Oſten ausweichen und die Vertheidigung in Ungarn fortſetzen, wenn auch nur in der Hoffnung auf die in Ausſicht ſtehende Einmiſchung Frankreichs und die durch Frankreich vor¬ bereitete Desintereſſirung Italiens. Uebrigens hielte ich auch unter dem rein militäriſchen Geſichtspunkte nach meiner Kenntniß des ungariſchen Landes die Fortſetzung des Krieges dort für undankbar, die dort zu erreichenden Erfolge für nicht im Verhältniß ſtehend zu den bisher gewonnenen Siegen, alſo unſer Preſtige vermindernd — ganz abgeſehn davon, daß die Verlängerung des Krieges der franzöſiſchen Einmiſchung die Wege ebnen würde. Wir müßten raſch abſchließen, ehe Frankreich Zeit zur Entwicklung weitrer diplo¬ matiſcher Action auf Oeſtreich gewönne. Gegen alles dies erhob der König keine Einwendung; aber die vorliegenden Bedingungen erklärte er für ungenügend, ohne jedoch ſeine Forderungen beſtimmt zu formuliren. Nur ſo viel war klar, daß ſeine Anſprüche ſeit dem 4. Juli gewachſen waren. Der Hauptſchuldige könne doch nicht ungeſtraft ausgehn, die Verführten

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/69>, abgerufen am 26.11.2024.