Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.Einundzwanzigstes Kapitel: Der Norddeutsche Bund. in Preußen gegen Parlament und Presse ein Regirungssystemdurchzuführen, das von dem ganzen übrigen Deutschland bekämpft wurde. Maßregeln, die bei uns gegen die Presse zu ergreifen gewesen sein würden, würden in Dessau keine Gültigkeit gehabt haben, und Oestreich und Süddeutschland würden ihre Revanche einstweilen da¬ durch genommen haben, daß sie die von Preußen verlassene Führung auf liberalem und nationalem Gebiete übernahmen. Die nationale Partei in Preußen selbst würde mit den Gegnern der Regirung sympathisirt haben; wir konnten dann innerhalb der verbesserten preußischen Grenzen staatsrechtlich eine Stärkung des Königthums gewinnen, aber doch in Gegenwart stark dissentirender einheimischer Elemente, denen sich die Opposition in den neuen Provinzen ange¬ schlossen haben würde. Wir hätten dann einen preußischen Erobe¬ rungskrieg geführt, aber der nationalen Politik Preußens würden die Sehnen durchschnitten worden sein. In dem Bestreben, der deutschen Nation die Möglichkeit einer ihrer geschichtlichen Bedeu¬ tung entsprechenden Existenz durch Einheit zu verschaffen, lag das gewichtigste Argument zur Rechtfertigung des geführten deutschen "Bruderkrieges"; die Erneuerung eines solchen wurde unabwend¬ bar, wenn der Kampf zwischen den deutschen Stämmen lediglich im Interesse der Stärkung des preußischen Sonderstaates fortgesetzt wurde. Ich halte den Absolutismus für keine Form einer in Deutsch¬ Einundzwanzigſtes Kapitel: Der Norddeutſche Bund. in Preußen gegen Parlament und Preſſe ein Regirungsſyſtemdurchzuführen, das von dem ganzen übrigen Deutſchland bekämpft wurde. Maßregeln, die bei uns gegen die Preſſe zu ergreifen geweſen ſein würden, würden in Deſſau keine Gültigkeit gehabt haben, und Oeſtreich und Süddeutſchland würden ihre Revanche einſtweilen da¬ durch genommen haben, daß ſie die von Preußen verlaſſene Führung auf liberalem und nationalem Gebiete übernahmen. Die nationale Partei in Preußen ſelbſt würde mit den Gegnern der Regirung ſympathiſirt haben; wir konnten dann innerhalb der verbeſſerten preußiſchen Grenzen ſtaatsrechtlich eine Stärkung des Königthums gewinnen, aber doch in Gegenwart ſtark diſſentirender einheimiſcher Elemente, denen ſich die Oppoſition in den neuen Provinzen ange¬ ſchloſſen haben würde. Wir hätten dann einen preußiſchen Erobe¬ rungskrieg geführt, aber der nationalen Politik Preußens würden die Sehnen durchſchnitten worden ſein. In dem Beſtreben, der deutſchen Nation die Möglichkeit einer ihrer geſchichtlichen Bedeu¬ tung entſprechenden Exiſtenz durch Einheit zu verſchaffen, lag das gewichtigſte Argument zur Rechtfertigung des geführten deutſchen „Bruderkrieges“; die Erneuerung eines ſolchen wurde unabwend¬ bar, wenn der Kampf zwiſchen den deutſchen Stämmen lediglich im Intereſſe der Stärkung des preußiſchen Sonderſtaates fortgeſetzt wurde. Ich halte den Abſolutismus für keine Form einer in Deutſch¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0092" n="68"/><fw place="top" type="header">Einundzwanzigſtes Kapitel: Der Norddeutſche Bund.<lb/></fw> in Preußen gegen Parlament und Preſſe ein Regirungsſyſtem<lb/> durchzuführen, das von dem ganzen übrigen Deutſchland bekämpft<lb/> wurde. 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Darin liegt eine gerechte Ver¬<lb/> theilung der geſetzgebenden Gewalt. Wenn man letztre von der<lb/> öffentlichen Kritik der Preſſe und der parlamentariſchen Behandlung<lb/> emancipirt, ſo wird die Gefahr erhöht, daß ſie auf Abwege geriethe.<lb/> Abſolutismus der Krone iſt ebenſo wenig haltbar wie Abſolutismus<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [68/0092]
Einundzwanzigſtes Kapitel: Der Norddeutſche Bund.
in Preußen gegen Parlament und Preſſe ein Regirungsſyſtem
durchzuführen, das von dem ganzen übrigen Deutſchland bekämpft
wurde. Maßregeln, die bei uns gegen die Preſſe zu ergreifen geweſen
ſein würden, würden in Deſſau keine Gültigkeit gehabt haben, und
Oeſtreich und Süddeutſchland würden ihre Revanche einſtweilen da¬
durch genommen haben, daß ſie die von Preußen verlaſſene Führung
auf liberalem und nationalem Gebiete übernahmen. Die nationale
Partei in Preußen ſelbſt würde mit den Gegnern der Regirung
ſympathiſirt haben; wir konnten dann innerhalb der verbeſſerten
preußiſchen Grenzen ſtaatsrechtlich eine Stärkung des Königthums
gewinnen, aber doch in Gegenwart ſtark diſſentirender einheimiſcher
Elemente, denen ſich die Oppoſition in den neuen Provinzen ange¬
ſchloſſen haben würde. Wir hätten dann einen preußiſchen Erobe¬
rungskrieg geführt, aber der nationalen Politik Preußens würden
die Sehnen durchſchnitten worden ſein. In dem Beſtreben, der
deutſchen Nation die Möglichkeit einer ihrer geſchichtlichen Bedeu¬
tung entſprechenden Exiſtenz durch Einheit zu verſchaffen, lag das
gewichtigſte Argument zur Rechtfertigung des geführten deutſchen
„Bruderkrieges“; die Erneuerung eines ſolchen wurde unabwend¬
bar, wenn der Kampf zwiſchen den deutſchen Stämmen lediglich im
Intereſſe der Stärkung des preußiſchen Sonderſtaates fortgeſetzt
wurde.
Ich halte den Abſolutismus für keine Form einer in Deutſch¬
land auf die Dauer haltbaren oder erfolgreichen Regirung. Die
preußiſche Verfaſſung iſt, wenn man von einigen, aus der belgiſchen
überſetzten Phraſenartikeln abſieht, in ihrem Hauptprinzip ver¬
nünftig; ſie hat drei Factoren, den König und zwei Kammern,
deren jeder durch ſein Votum willkürliche Aenderungen des geſetz¬
lichen status quo hindern kann. Darin liegt eine gerechte Ver¬
theilung der geſetzgebenden Gewalt. Wenn man letztre von der
öffentlichen Kritik der Preſſe und der parlamentariſchen Behandlung
emancipirt, ſo wird die Gefahr erhöht, daß ſie auf Abwege geriethe.
Abſolutismus der Krone iſt ebenſo wenig haltbar wie Abſolutismus
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