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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Beurtheilung der reactionären Vorschläge. Indemnität.
der parlamentarischen Majoritäten, das Erforderniß der Verständi¬
gung beider für jede Aenderung des gesetzlichen status quo ist ein
gerechtes, und wir hatten nicht nöthig, an der preußischen Ver¬
fassung Erhebliches zu bessern. Es läßt sich mit derselben regiren,
und die Bahn deutscher Politik wäre verschüttet worden, wenn wir
1866 daran änderten. Vor dem Siege würde ich nie von "Indemnität"
gesprochen haben; jetzt, nach dem Siege, war der König in der
Lage, sie großmüthig zu gewähren und Frieden zu schließen, nicht
mit seinem Volke -- der war nie unterbrochen worden, wie der
Verlauf des Krieges gezeigt hat, -- sondern mit dem Theile der
Opposition, welcher irre geworden war an der Regirung, mehr
aus nationalen, als aus parteipolitischen Gründen.

Dies waren ungefähr die Gedanken und Argumente, mit denen
ich während der viele Stunden langen Fahrt von Prag nach Berlin
(4. August) die Schwierigkeiten zu bekämpfen suchte, die die eignen
Ansichten, noch mehr aber andre Einflüsse, namentlich auch der Ein¬
fluß der conservativen Deputation, in dem Könige hinterlassen hatten.
Es kam dazu eine staatsrechtliche Auffassung Sr. Majestät, die ihm ein
Verlangen nach Indemnität als ein Eingeständniß begangenen Un¬
rechts erscheinen ließ*). Ich suchte vergeblich diesen sprachlichen
und rechtlichen Irrthum zu entkräften, indem ich geltend machte,
daß in Gewährung der Indemnität nichts weiter liege als die An¬
erkennung der Thatsache, daß die Regirung und ihr königlicher
Chef rebus sic stantibus richtig gehandelt hätten; die Forderung
der Indemnität sei ein Verlangen nach dieser Anerkennung. In
jedem constitutionellen Leben, in dem Spielraum, den es den
Regirungen gestatte, liege es, daß der Regirung nicht für jede
Situation eine Zwangsroute in der Verfassung angewiesen sein
könne. Der König blieb bei seiner Abneigung gegen Indemnität,

*) Die Angabe in Roon's Denkwürdigkeiten ("Deutsche Revue" 1891 Bd. I
S. 133, Ausgabe in Buchform II 4 482): "Für Bismarck's Zustimmung war es
jedenfalls entscheidend, daß er die versöhnlichen Anschauungen seines Monarchen
genau kannte", ist irrthümlich.

Beurtheilung der reactionären Vorſchläge. Indemnität.
der parlamentariſchen Majoritäten, das Erforderniß der Verſtändi¬
gung beider für jede Aenderung des geſetzlichen status quo iſt ein
gerechtes, und wir hatten nicht nöthig, an der preußiſchen Ver¬
faſſung Erhebliches zu beſſern. Es läßt ſich mit derſelben regiren,
und die Bahn deutſcher Politik wäre verſchüttet worden, wenn wir
1866 daran änderten. Vor dem Siege würde ich nie von „Indemnität“
geſprochen haben; jetzt, nach dem Siege, war der König in der
Lage, ſie großmüthig zu gewähren und Frieden zu ſchließen, nicht
mit ſeinem Volke — der war nie unterbrochen worden, wie der
Verlauf des Krieges gezeigt hat, — ſondern mit dem Theile der
Oppoſition, welcher irre geworden war an der Regirung, mehr
aus nationalen, als aus parteipolitiſchen Gründen.

Dies waren ungefähr die Gedanken und Argumente, mit denen
ich während der viele Stunden langen Fahrt von Prag nach Berlin
(4. Auguſt) die Schwierigkeiten zu bekämpfen ſuchte, die die eignen
Anſichten, noch mehr aber andre Einflüſſe, namentlich auch der Ein¬
fluß der conſervativen Deputation, in dem Könige hinterlaſſen hatten.
Es kam dazu eine ſtaatsrechtliche Auffaſſung Sr. Majeſtät, die ihm ein
Verlangen nach Indemnität als ein Eingeſtändniß begangenen Un¬
rechts erſcheinen ließ*). Ich ſuchte vergeblich dieſen ſprachlichen
und rechtlichen Irrthum zu entkräften, indem ich geltend machte,
daß in Gewährung der Indemnität nichts weiter liege als die An¬
erkennung der Thatſache, daß die Regirung und ihr königlicher
Chef rebus sic stantibus richtig gehandelt hätten; die Forderung
der Indemnität ſei ein Verlangen nach dieſer Anerkennung. In
jedem conſtitutionellen Leben, in dem Spielraum, den es den
Regirungen geſtatte, liege es, daß der Regirung nicht für jede
Situation eine Zwangsroute in der Verfaſſung angewieſen ſein
könne. Der König blieb bei ſeiner Abneigung gegen Indemnität,

*) Die Angabe in Roon's Denkwürdigkeiten („Deutſche Revue“ 1891 Bd. I
S. 133, Ausgabe in Buchform II 4 482): „Für Bismarck's Zuſtimmung war es
jedenfalls entſcheidend, daß er die verſöhnlichen Anſchauungen ſeines Monarchen
genau kannte“, iſt irrthümlich.
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[69/0093] Beurtheilung der reactionären Vorſchläge. Indemnität. der parlamentariſchen Majoritäten, das Erforderniß der Verſtändi¬ gung beider für jede Aenderung des geſetzlichen status quo iſt ein gerechtes, und wir hatten nicht nöthig, an der preußiſchen Ver¬ faſſung Erhebliches zu beſſern. Es läßt ſich mit derſelben regiren, und die Bahn deutſcher Politik wäre verſchüttet worden, wenn wir 1866 daran änderten. Vor dem Siege würde ich nie von „Indemnität“ geſprochen haben; jetzt, nach dem Siege, war der König in der Lage, ſie großmüthig zu gewähren und Frieden zu ſchließen, nicht mit ſeinem Volke — der war nie unterbrochen worden, wie der Verlauf des Krieges gezeigt hat, — ſondern mit dem Theile der Oppoſition, welcher irre geworden war an der Regirung, mehr aus nationalen, als aus parteipolitiſchen Gründen. Dies waren ungefähr die Gedanken und Argumente, mit denen ich während der viele Stunden langen Fahrt von Prag nach Berlin (4. Auguſt) die Schwierigkeiten zu bekämpfen ſuchte, die die eignen Anſichten, noch mehr aber andre Einflüſſe, namentlich auch der Ein¬ fluß der conſervativen Deputation, in dem Könige hinterlaſſen hatten. Es kam dazu eine ſtaatsrechtliche Auffaſſung Sr. Majeſtät, die ihm ein Verlangen nach Indemnität als ein Eingeſtändniß begangenen Un¬ rechts erſcheinen ließ *). Ich ſuchte vergeblich dieſen ſprachlichen und rechtlichen Irrthum zu entkräften, indem ich geltend machte, daß in Gewährung der Indemnität nichts weiter liege als die An¬ erkennung der Thatſache, daß die Regirung und ihr königlicher Chef rebus sic stantibus richtig gehandelt hätten; die Forderung der Indemnität ſei ein Verlangen nach dieſer Anerkennung. In jedem conſtitutionellen Leben, in dem Spielraum, den es den Regirungen geſtatte, liege es, daß der Regirung nicht für jede Situation eine Zwangsroute in der Verfaſſung angewieſen ſein könne. Der König blieb bei ſeiner Abneigung gegen Indemnität, *) Die Angabe in Roon's Denkwürdigkeiten („Deutſche Revue“ 1891 Bd. I S. 133, Ausgabe in Buchform II 4 482): „Für Bismarck's Zuſtimmung war es jedenfalls entſcheidend, daß er die verſöhnlichen Anſchauungen ſeines Monarchen genau kannte“, iſt irrthümlich.

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/93>, abgerufen am 24.11.2024.