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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Die Annexionen: Kurhessen, Nassau. Friedensschlüsse.
zollerns auf Kosten Würtembergs fordern wollten. Ich konnte darin
weder für Preußen noch für die nationale Zukunft einen Nutzen
sehn und hielt überhaupt das Vergeltungsprinzip nicht für eine
vernünftige Basis unsrer Politik1), die auch da, wo unser Gefühl
verletzt war, nicht von der eignen Verstimmung, sondern von der
objectiven Erwägung geleitet werden sollte. Grade weil Varnbüler
uns gegenüber einige diplomatische Sünden auf dem Conto hatte,
war er für mich ein nützlicher Unterhändler, und indem ich mich
dazu verstand, die Vergangenheit zu vergessen, gewann ich durch
den Vorgang Würtembergs im Abschluß des Bündnisses (13. August)
den Weg zu den andern.

Ich weiß nicht, ob Roggenbach bei den Friedensschlüssen im Auf¬
trage des Großherzogs von Baden handelte, indem er mir vorstellte,
daß Baiern durch seine Größe ein Hinderniß der deutschen Einigung
sei, sich leichter in eine künftige Neugestaltung Deutschlands ein¬
fügen werde, wenn es kleiner gemacht wäre, und daß es sich des¬
halb empfehle, ein besseres Gleichgewicht in Süddeutschland da¬
durch herzustellen, daß Baden vergrößert und durch Angliederung
der Pfalz in unmittelbare Grenznachbarschaft mit Preußen ge¬
bracht würde, wobei auch weitre Verschiebungen in Anlehnung an
preußische Wünsche, die dynastischen Stammlande Ansbach-Bayreuth
wiederzugewinnen, und mit Einbeziehung Würtembergs in Aussicht
genommen waren. Ich ließ mich auf diese Anregung nicht ein,
sondern lehnte sie a limine ab. Auch wenn ich sie ausschließlich
unter dem Gesichtspunkte der Nützlichkeit hätte auffassen wollen,
so verrieth sie einen Mangel an Augenmaß für die Zukunft und
eine Verdunklung des politischen Blickes durch badische Hauspolitik.
Die Schwierigkeit, Baiern gegen seinen Willen in eine ihm nicht
zusagende Reichsverfassung hinein zu zwingen, wäre dieselbe ge¬
blieben, auch wenn man die Pfalz an Baden gegeben hätte; und
ob die Pfälzer ihre bairische Angehörigkeit bereitwillig gegen die

1) S. o. S. 46.

Die Annexionen: Kurheſſen, Naſſau. Friedensſchlüſſe.
zollerns auf Koſten Würtembergs fordern wollten. Ich konnte darin
weder für Preußen noch für die nationale Zukunft einen Nutzen
ſehn und hielt überhaupt das Vergeltungsprinzip nicht für eine
vernünftige Baſis unſrer Politik1), die auch da, wo unſer Gefühl
verletzt war, nicht von der eignen Verſtimmung, ſondern von der
objectiven Erwägung geleitet werden ſollte. Grade weil Varnbüler
uns gegenüber einige diplomatiſche Sünden auf dem Conto hatte,
war er für mich ein nützlicher Unterhändler, und indem ich mich
dazu verſtand, die Vergangenheit zu vergeſſen, gewann ich durch
den Vorgang Würtembergs im Abſchluß des Bündniſſes (13. Auguſt)
den Weg zu den andern.

Ich weiß nicht, ob Roggenbach bei den Friedensſchlüſſen im Auf¬
trage des Großherzogs von Baden handelte, indem er mir vorſtellte,
daß Baiern durch ſeine Größe ein Hinderniß der deutſchen Einigung
ſei, ſich leichter in eine künftige Neugeſtaltung Deutſchlands ein¬
fügen werde, wenn es kleiner gemacht wäre, und daß es ſich des¬
halb empfehle, ein beſſeres Gleichgewicht in Süddeutſchland da¬
durch herzuſtellen, daß Baden vergrößert und durch Angliederung
der Pfalz in unmittelbare Grenznachbarſchaft mit Preußen ge¬
bracht würde, wobei auch weitre Verſchiebungen in Anlehnung an
preußiſche Wünſche, die dynaſtiſchen Stammlande Ansbach-Bayreuth
wiederzugewinnen, und mit Einbeziehung Würtembergs in Ausſicht
genommen waren. Ich ließ mich auf dieſe Anregung nicht ein,
ſondern lehnte ſie a limine ab. Auch wenn ich ſie ausſchließlich
unter dem Geſichtspunkte der Nützlichkeit hätte auffaſſen wollen,
ſo verrieth ſie einen Mangel an Augenmaß für die Zukunft und
eine Verdunklung des politiſchen Blickes durch badiſche Hauspolitik.
Die Schwierigkeit, Baiern gegen ſeinen Willen in eine ihm nicht
zuſagende Reichsverfaſſung hinein zu zwingen, wäre dieſelbe ge¬
blieben, auch wenn man die Pfalz an Baden gegeben hätte; und
ob die Pfälzer ihre bairiſche Angehörigkeit bereitwillig gegen die

1) S. o. S. 46.
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[73/0097] Die Annexionen: Kurheſſen, Naſſau. Friedensſchlüſſe. zollerns auf Koſten Würtembergs fordern wollten. Ich konnte darin weder für Preußen noch für die nationale Zukunft einen Nutzen ſehn und hielt überhaupt das Vergeltungsprinzip nicht für eine vernünftige Baſis unſrer Politik 1), die auch da, wo unſer Gefühl verletzt war, nicht von der eignen Verſtimmung, ſondern von der objectiven Erwägung geleitet werden ſollte. Grade weil Varnbüler uns gegenüber einige diplomatiſche Sünden auf dem Conto hatte, war er für mich ein nützlicher Unterhändler, und indem ich mich dazu verſtand, die Vergangenheit zu vergeſſen, gewann ich durch den Vorgang Würtembergs im Abſchluß des Bündniſſes (13. Auguſt) den Weg zu den andern. Ich weiß nicht, ob Roggenbach bei den Friedensſchlüſſen im Auf¬ trage des Großherzogs von Baden handelte, indem er mir vorſtellte, daß Baiern durch ſeine Größe ein Hinderniß der deutſchen Einigung ſei, ſich leichter in eine künftige Neugeſtaltung Deutſchlands ein¬ fügen werde, wenn es kleiner gemacht wäre, und daß es ſich des¬ halb empfehle, ein beſſeres Gleichgewicht in Süddeutſchland da¬ durch herzuſtellen, daß Baden vergrößert und durch Angliederung der Pfalz in unmittelbare Grenznachbarſchaft mit Preußen ge¬ bracht würde, wobei auch weitre Verſchiebungen in Anlehnung an preußiſche Wünſche, die dynaſtiſchen Stammlande Ansbach-Bayreuth wiederzugewinnen, und mit Einbeziehung Würtembergs in Ausſicht genommen waren. Ich ließ mich auf dieſe Anregung nicht ein, ſondern lehnte ſie a limine ab. Auch wenn ich ſie ausſchließlich unter dem Geſichtspunkte der Nützlichkeit hätte auffaſſen wollen, ſo verrieth ſie einen Mangel an Augenmaß für die Zukunft und eine Verdunklung des politiſchen Blickes durch badiſche Hauspolitik. Die Schwierigkeit, Baiern gegen ſeinen Willen in eine ihm nicht zuſagende Reichsverfaſſung hinein zu zwingen, wäre dieſelbe ge¬ blieben, auch wenn man die Pfalz an Baden gegeben hätte; und ob die Pfälzer ihre bairiſche Angehörigkeit bereitwillig gegen die 1) S. o. S. 46.

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/97>, abgerufen am 26.05.2024.