Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.Einundzwanzigstes Kapitel: Der Norddeutsche Bund. badische vertauscht haben würden, ist fraglich. Als vorübergehenddavon die Rede war, Hessen für sein Gebiet nördlich des Mains mit bairischem Lande in der Richtung von Aschaffenburg zu ent¬ schädigen, gingen mir aus dem letztern Gebiete Proteste zu, die, obschon aus streng katholischer Bevölkerung kommend, darin gipfelten, wenn die Unterzeichner nicht Baiern bleiben könnten, so wollten sie lieber Preußen werden, aber von Baiern zu Hessen gemacht zu werden, sei ihnen unannehmbar. Sie schienen von der Er¬ wägung des Ranges der Landesherrn beherrscht und von der Stimmenordnung am Bundestage, wo Baiern vor Hessen rangirte. In derselben Richtung ist mir aus meiner Frankfurter Zeit die Aeußerung eines preußischen Reservisten zu einem kleinstaatlichen erinnerlich: "Sei du ganz stille, du hast ja nicht einmal einen König." Ich hielt Aenderungen der Staatsgrenzen in Süddeutsch¬ land für keinen Fortschritt zur Einigung des Ganzen. Eine Verkleinerung Baierns im Norden wäre dem damaligen Einundzwanzigſtes Kapitel: Der Norddeutſche Bund. badiſche vertauſcht haben würden, iſt fraglich. Als vorübergehenddavon die Rede war, Heſſen für ſein Gebiet nördlich des Mains mit bairiſchem Lande in der Richtung von Aſchaffenburg zu ent¬ ſchädigen, gingen mir aus dem letztern Gebiete Proteſte zu, die, obſchon aus ſtreng katholiſcher Bevölkerung kommend, darin gipfelten, wenn die Unterzeichner nicht Baiern bleiben könnten, ſo wollten ſie lieber Preußen werden, aber von Baiern zu Heſſen gemacht zu werden, ſei ihnen unannehmbar. Sie ſchienen von der Er¬ wägung des Ranges der Landesherrn beherrſcht und von der Stimmenordnung am Bundestage, wo Baiern vor Heſſen rangirte. In derſelben Richtung iſt mir aus meiner Frankfurter Zeit die Aeußerung eines preußiſchen Reſerviſten zu einem kleinſtaatlichen erinnerlich: „Sei du ganz ſtille, du haſt ja nicht einmal einen König.“ Ich hielt Aenderungen der Staatsgrenzen in Süddeutſch¬ land für keinen Fortſchritt zur Einigung des Ganzen. Eine Verkleinerung Baierns im Norden wäre dem damaligen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0098" n="74"/><fw place="top" type="header">Einundzwanzigſtes Kapitel: Der Norddeutſche Bund.<lb/></fw>badiſche vertauſcht haben würden, iſt fraglich. Als vorübergehend<lb/> davon die Rede war, Heſſen für ſein Gebiet nördlich des Mains<lb/> mit bairiſchem Lande in der Richtung von Aſchaffenburg zu ent¬<lb/> ſchädigen, gingen mir aus dem letztern Gebiete Proteſte zu, die,<lb/> obſchon aus ſtreng katholiſcher Bevölkerung kommend, darin gipfelten,<lb/> wenn die Unterzeichner nicht Baiern bleiben könnten, ſo wollten<lb/> ſie lieber Preußen werden, aber von Baiern zu Heſſen gemacht<lb/> zu werden, ſei ihnen unannehmbar. Sie ſchienen von der Er¬<lb/> wägung des Ranges der Landesherrn beherrſcht und von der<lb/> Stimmenordnung am Bundestage, wo Baiern vor Heſſen rangirte.<lb/> In derſelben Richtung iſt mir aus meiner Frankfurter Zeit die<lb/> Aeußerung eines preußiſchen Reſerviſten zu einem kleinſtaatlichen<lb/> erinnerlich: „Sei du ganz ſtille, du haſt ja nicht einmal einen<lb/> König.“ Ich hielt Aenderungen der Staatsgrenzen in Süddeutſch¬<lb/> land für keinen Fortſchritt zur Einigung des Ganzen.</p><lb/> <p>Eine Verkleinerung Baierns im Norden wäre dem damaligen<lb/> Wunſche des Königs entgegengekommen, Ansbach und Bayreuth in<lb/> der alten Ausdehnung wiederzugewinnen. Mit meinen politiſchen<lb/> Auffaſſungen ſtimmte auch dieſer Plan, ſo ſehr er meinem ver¬<lb/> ehrten und geliebten Herrn am Herzen lag, ebenſo wenig wie der<lb/> badiſche überein, und ich habe ihm erfolgreich Widerſtand geleiſtet.<lb/> Im Herbſt 1866 war eine Vorausſicht über die zukünftige Haltung<lb/> Oeſtreichs noch nicht möglich. Die Eiferſucht Frankreichs uns gegen¬<lb/> über war gegeben, und niemandem war beſſer als mir die Ent¬<lb/> täuſchung Napoleons über unſre böhmiſchen Erfolge bekannt. Er<lb/> hatte mit Sicherheit darauf gerechnet, daß Oeſtreich uns ſchlagen<lb/> und wir in die Lage kommen würden, ſeine Vermittlung zu erkaufen.<lb/> Wenn nun Frankreichs Bemühungen, dieſen Irrthum und ſeine<lb/> Folgen wieder gut zu machen, bei der durch unſern Sieg noth¬<lb/> wendig hervorgerufenen Verſtimmung in Wien Erfolg hatten, ſo<lb/> wäre manchen deutſchen Höfen die Frage nahe getreten, ob ſie im<lb/> Anſchluß an Oeſtreich, gewiſſermaßen in einem zweiten ſchleſiſchen<lb/> Kriege, den Kampf gegen uns von Neuem aufnehmen wollten oder<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [74/0098]
Einundzwanzigſtes Kapitel: Der Norddeutſche Bund.
badiſche vertauſcht haben würden, iſt fraglich. Als vorübergehend
davon die Rede war, Heſſen für ſein Gebiet nördlich des Mains
mit bairiſchem Lande in der Richtung von Aſchaffenburg zu ent¬
ſchädigen, gingen mir aus dem letztern Gebiete Proteſte zu, die,
obſchon aus ſtreng katholiſcher Bevölkerung kommend, darin gipfelten,
wenn die Unterzeichner nicht Baiern bleiben könnten, ſo wollten
ſie lieber Preußen werden, aber von Baiern zu Heſſen gemacht
zu werden, ſei ihnen unannehmbar. Sie ſchienen von der Er¬
wägung des Ranges der Landesherrn beherrſcht und von der
Stimmenordnung am Bundestage, wo Baiern vor Heſſen rangirte.
In derſelben Richtung iſt mir aus meiner Frankfurter Zeit die
Aeußerung eines preußiſchen Reſerviſten zu einem kleinſtaatlichen
erinnerlich: „Sei du ganz ſtille, du haſt ja nicht einmal einen
König.“ Ich hielt Aenderungen der Staatsgrenzen in Süddeutſch¬
land für keinen Fortſchritt zur Einigung des Ganzen.
Eine Verkleinerung Baierns im Norden wäre dem damaligen
Wunſche des Königs entgegengekommen, Ansbach und Bayreuth in
der alten Ausdehnung wiederzugewinnen. Mit meinen politiſchen
Auffaſſungen ſtimmte auch dieſer Plan, ſo ſehr er meinem ver¬
ehrten und geliebten Herrn am Herzen lag, ebenſo wenig wie der
badiſche überein, und ich habe ihm erfolgreich Widerſtand geleiſtet.
Im Herbſt 1866 war eine Vorausſicht über die zukünftige Haltung
Oeſtreichs noch nicht möglich. Die Eiferſucht Frankreichs uns gegen¬
über war gegeben, und niemandem war beſſer als mir die Ent¬
täuſchung Napoleons über unſre böhmiſchen Erfolge bekannt. Er
hatte mit Sicherheit darauf gerechnet, daß Oeſtreich uns ſchlagen
und wir in die Lage kommen würden, ſeine Vermittlung zu erkaufen.
Wenn nun Frankreichs Bemühungen, dieſen Irrthum und ſeine
Folgen wieder gut zu machen, bei der durch unſern Sieg noth¬
wendig hervorgerufenen Verſtimmung in Wien Erfolg hatten, ſo
wäre manchen deutſchen Höfen die Frage nahe getreten, ob ſie im
Anſchluß an Oeſtreich, gewiſſermaßen in einem zweiten ſchleſiſchen
Kriege, den Kampf gegen uns von Neuem aufnehmen wollten oder
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