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Blum, Joachim Christian: Spatziergänge. Bd. 1. Berlin, 1774.

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Der wahre Gutherzige, der es mit Weis-
heit und in der erforderlichen Unterord-
nung seiner andern Obliegenheiten ist, ver-
gisst sich also selbst nicht. Er ist sich seine
eigne Erhaltung für heute und Morgen
schuldig. Mein Leben ist unter allen
meinen Glücksgütern das grösste. Es ist
die Bedingung, vermöge welcher ich die
andern allein nur besitzen kann. Wer
kann es mir verdenken, wenn ich anstehe,
es ohne vorhergegangne grosse Ueberlegung
zum Besten eines andern in Gefahr zu se-
tzen? Die Gutherzigkeit kann es nicht wol-
len; oder Gutherzigkeit und Unbesonnen-
heit müssten Eins seyn. Nur in wenigen
Fällen bin ich ihm mein Leben schuldig;
diese wenigen Fälle aber erfordern den Zu-
sammenfluss weit höherer Tugenden, als
die Gutherzigkeit selbst ist. Viel öfter
wird diese mich verbinden können, meine

Der wahre Gutherzige, der es mit Weis-
heit und in der erforderlichen Unterord-
nung ſeiner andern Obliegenheiten iſt, ver-
giſst ſich alſo ſelbſt nicht. Er iſt ſich ſeine
eigne Erhaltung für heute und Morgen
ſchuldig. Mein Leben iſt unter allen
meinen Glücksgütern das gröſste. Es iſt
die Bedingung, vermöge welcher ich die
andern allein nur beſitzen kann. Wer
kann es mir verdenken, wenn ich anſtehe,
es ohne vorhergegangne groſse Ueberlegung
zum Beſten eines andern in Gefahr zu ſe-
tzen? Die Gutherzigkeit kann es nicht wol-
len; oder Gutherzigkeit und Unbeſonnen-
heit müſsten Eins ſeyn. Nur in wenigen
Fällen bin ich ihm mein Leben ſchuldig;
dieſe wenigen Fälle aber erfordern den Zu-
ſammenfluſs weit höherer Tugenden, als
die Gutherzigkeit ſelbſt iſt. Viel öfter
wird dieſe mich verbinden können, meine

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[125/0133] Der wahre Gutherzige, der es mit Weis- heit und in der erforderlichen Unterord- nung ſeiner andern Obliegenheiten iſt, ver- giſst ſich alſo ſelbſt nicht. Er iſt ſich ſeine eigne Erhaltung für heute und Morgen ſchuldig. Mein Leben iſt unter allen meinen Glücksgütern das gröſste. Es iſt die Bedingung, vermöge welcher ich die andern allein nur beſitzen kann. Wer kann es mir verdenken, wenn ich anſtehe, es ohne vorhergegangne groſse Ueberlegung zum Beſten eines andern in Gefahr zu ſe- tzen? Die Gutherzigkeit kann es nicht wol- len; oder Gutherzigkeit und Unbeſonnen- heit müſsten Eins ſeyn. Nur in wenigen Fällen bin ich ihm mein Leben ſchuldig; dieſe wenigen Fälle aber erfordern den Zu- ſammenfluſs weit höherer Tugenden, als die Gutherzigkeit ſelbſt iſt. Viel öfter wird dieſe mich verbinden können, meine

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Zitationshilfe: Blum, Joachim Christian: Spatziergänge. Bd. 1. Berlin, 1774, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blum_spatziergaenge01_1774/133>, abgerufen am 23.11.2024.