selbst macht mich schon ruhiger. Nicht, dass ich ihm allein vertrauen; nicht, dass ich dabey stille stehen; nicht, dass ich die- se jungen Regungen, bey aller ihrer Leb- haftigkeit, auch schon für Tugend halten sollte. Eine so grosse Veränderung wird nicht mit einmal gewirkt. Man steigt nicht von der Erde zum Himmel, man habe denn zuvor den Raum zwischen beyden durch- schnitten. Die moralische Vollkommenheit erhebt sich von Stufe zu Stufe. Es ist ewig unmöglich die letzte zu erreichen: sie ver- liert sich ins Unendliche. Wäre diess nicht, so möchte man dem Schöpfer vorwerfen, dass er unsre Seligkeit nicht gewollt, dass er uns, aus unbegreiflichen Ursachen, nicht auf einmal das habe werden lassen, was wir werden konnten. Wozu diese beschwerli- che Besserung an uns selbst? Wozu dieses mühsame Aufstehn aus dem Staube, wenn
ſelbſt macht mich ſchon ruhiger. Nicht, daſs ich ihm allein vertrauen; nicht, daſs ich dabey ſtille ſtehen; nicht, daſs ich die- ſe jungen Regungen, bey aller ihrer Leb- haftigkeit, auch ſchon für Tugend halten ſollte. Eine ſo groſse Veränderung wird nicht mit einmal gewirkt. Man ſteigt nicht von der Erde zum Himmel, man habe denn zuvor den Raum zwiſchen beyden durch- ſchnitten. Die moraliſche Vollkommenheit erhebt ſich von Stufe zu Stufe. Es iſt ewig unmöglich die letzte zu erreichen: ſie ver- liert ſich ins Unendliche. Wäre dieſs nicht, ſo möchte man dem Schöpfer vorwerfen, daſs er unſre Seligkeit nicht gewollt, daſs er uns, aus unbegreiflichen Urſachen, nicht auf einmal das habe werden laſsen, was wir werden konnten. Wozu dieſe beſchwerli- che Beſserung an uns ſelbſt? Wozu dieſes mühſame Aufſtehn aus dem Staube, wenn
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ſelbſt macht mich ſchon ruhiger. Nicht,
daſs ich ihm allein vertrauen; nicht, daſs
ich dabey ſtille ſtehen; nicht, daſs ich die-
ſe jungen Regungen, bey aller ihrer Leb-
haftigkeit, auch ſchon für Tugend halten
ſollte. Eine ſo groſse Veränderung wird
nicht mit einmal gewirkt. Man ſteigt nicht
von der Erde zum Himmel, man habe denn
zuvor den Raum zwiſchen beyden durch-
ſchnitten. Die moraliſche Vollkommenheit
erhebt ſich von Stufe zu Stufe. Es iſt ewig
unmöglich die letzte zu erreichen: ſie ver-
liert ſich ins Unendliche. Wäre dieſs nicht,
ſo möchte man dem Schöpfer vorwerfen,
daſs er unſre Seligkeit nicht gewollt, daſs er
uns, aus unbegreiflichen Urſachen, nicht
auf einmal das habe werden laſsen, was wir
werden konnten. Wozu dieſe beſchwerli-
che Beſserung an uns ſelbſt? Wozu dieſes
mühſame Aufſtehn aus dem Staube, wenn
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Blum, Joachim Christian: Spatziergänge. Bd. 1. Berlin, 1774, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blum_spatziergaenge01_1774/141>, abgerufen am 23.11.2024.
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