Recht haben, dass sie zürnen könnten, wenn man es ihnen nicht immer und in sei- nem weitesten Umfange zugestehen wollte. Warum wollen sie von andern mit ihren eignen Augen angesehen werden? Warum fodern sie das Unmögliche? Oder denken sie, ihre Verdienste seyn so gross, dass sie ohne vorsätzliche Blindheit nicht verkannt werden könnten? -- Andre nach dem Maasse unsrer Kräfte, nach den Beziehun- gen zu beurtheilen, in welchen wir mit ih- nen stehen, oder dereinst zu kommen ge- denken: ist eine Befugniss, die wir uns selbst zueignen, und keinem andern ent- ziehn dürfen. Sein Urtheil ist Lob, oder Tadel. Jenes will ich ihm gelten lassen und diesem will ich empfindlich begegnen? Er kann irren; es ist wahr: er kann mich für schlimmer halten, als ich bin; allein bin ich denn so unfehlber, bin ich denn wirk-
Recht haben, daſs ſie zürnen könnten, wenn man es ihnen nicht immer und in ſei- nem weiteſten Umfange zugeſtehen wollte. Warum wollen ſie von andern mit ihren eignen Augen angeſehen werden? Warum fodern ſie das Unmögliche? Oder denken ſie, ihre Verdienſte ſeyn ſo groſs, daſs ſie ohne vorſätzliche Blindheit nicht verkannt werden könnten? — Andre nach dem Maaſse unſrer Kräfte, nach den Beziehun- gen zu beurtheilen, in welchen wir mit ih- nen ſtehen, oder dereinſt zu kommen ge- denken: iſt eine Befugniſs, die wir uns ſelbſt zueignen, und keinem andern ent- ziehn dürfen. Sein Urtheil iſt Lob, oder Tadel. Jenes will ich ihm gelten laſsen und dieſem will ich empfindlich begegnen? Er kann irren; es iſt wahr: er kann mich für ſchlimmer halten, als ich bin; allein bin ich denn ſo unfehlber, bin ich denn wirk-
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Recht haben, daſs ſie zürnen könnten,
wenn man es ihnen nicht immer und in ſei-
nem weiteſten Umfange zugeſtehen wollte.
Warum wollen ſie von andern mit ihren
eignen Augen angeſehen werden? Warum
fodern ſie das Unmögliche? Oder denken
ſie, ihre Verdienſte ſeyn ſo groſs, daſs ſie
ohne vorſätzliche Blindheit nicht verkannt
werden könnten? — Andre nach dem
Maaſse unſrer Kräfte, nach den Beziehun-
gen zu beurtheilen, in welchen wir mit ih-
nen ſtehen, oder dereinſt zu kommen ge-
denken: iſt eine Befugniſs, die wir uns
ſelbſt zueignen, und keinem andern ent-
ziehn dürfen. Sein Urtheil iſt Lob, oder
Tadel. Jenes will ich ihm gelten laſsen
und dieſem will ich empfindlich begegnen?
Er kann irren; es iſt wahr: er kann mich
für ſchlimmer halten, als ich bin; allein bin
ich denn ſo unfehlber, bin ich denn wirk-
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Blum, Joachim Christian: Spatziergänge. Bd. 1. Berlin, 1774, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blum_spatziergaenge01_1774/149>, abgerufen am 23.11.2024.
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