ich ihm ausweichen zu können, und da ich es nicht kann, so schrecke ich ihn mit einer ungewöhnlichen Kälte zurück; ich spiele die Rolle des Geschäftigen; ich rede mich von ihm los; es ist mir unmöglich bey ihm auszuhalten. Jede menschliche Gestalt ist mir verhasst; jede Rede, die kein Sil- berton von Lalagens Lippen ist, klingt meinen Ohren abscheulich. Die sichtba- re Noth des Dürftigen, die mein Erbarmen mit lauter Stimme fodert, macht einen schwachen Eindruck auf mich. Mein Herz ist gegen alle menschlichen Empfindnisse, gegen jedes zärtliche Gefühl, gegen Freundschaft und Menschenliebe verhärtet. Ich finde mich mürrisch, ungerecht und grausam. Und diess alles, warum? Um ei- ner geringen Fehlschlagung willen, die ich nicht nennen darf, wenn ich nicht lächer- lich werden will. O, Schande, Schande
ich ihm ausweichen zu können, und da ich es nicht kann, ſo ſchrecke ich ihn mit einer ungewöhnlichen Kälte zurück; ich ſpiele die Rolle des Geſchäftigen; ich rede mich von ihm los; es iſt mir unmöglich bey ihm auszuhalten. Jede menſchliche Geſtalt iſt mir verhaſst; jede Rede, die kein Sil- berton von Lalagens Lippen iſt, klingt meinen Ohren abſcheulich. Die ſichtba- re Noth des Dürftigen, die mein Erbarmen mit lauter Stimme fodert, macht einen ſchwachen Eindruck auf mich. Mein Herz iſt gegen alle menſchlichen Empfindniſse, gegen jedes zärtliche Gefühl, gegen Freundſchaft und Menſchenliebe verhärtet. Ich finde mich mürriſch, ungerecht und grauſam. Und dieſs alles, warum? Um ei- ner geringen Fehlſchlagung willen, die ich nicht nennen darf, wenn ich nicht lächer- lich werden will. O, Schande, Schande
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ich ihm ausweichen zu können, und da ich
es nicht kann, ſo ſchrecke ich ihn mit einer
ungewöhnlichen Kälte zurück; ich ſpiele
die Rolle des Geſchäftigen; ich rede mich
von ihm los; es iſt mir unmöglich bey
ihm auszuhalten. Jede menſchliche Geſtalt
iſt mir verhaſst; jede Rede, die kein Sil-
berton von Lalagens Lippen iſt, klingt
meinen Ohren abſcheulich. Die ſichtba-
re Noth des Dürftigen, die mein Erbarmen
mit lauter Stimme fodert, macht einen
ſchwachen Eindruck auf mich. Mein Herz
iſt gegen alle menſchlichen Empfindniſse,
gegen jedes zärtliche Gefühl, gegen
Freundſchaft und Menſchenliebe verhärtet.
Ich finde mich mürriſch, ungerecht und
grauſam. Und dieſs alles, warum? Um ei-
ner geringen Fehlſchlagung willen, die ich
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Blum, Joachim Christian: Spatziergänge. Bd. 1. Berlin, 1774, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blum_spatziergaenge01_1774/30>, abgerufen am 21.11.2024.
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