1. Gatt. sapiens. Der Mensch wird durch so merk- würdige Eigenschaften des Geistes und des Kör- per von der ganzen übrigen thierischen Schöpf- ung ausgezeichnet, daß er bey weitem nicht blos in einem eignen Geschlecht, sondern aller- dings in einer besondern Ordnung von ihr abge- schieden werden muß.
Er hat ausser dem Begattungstrieb we- nig Spuren von Instinct (§ 36), Kunsttriebe ber (§ 35), schlechterdings gar nicht. Da- gegen ist er ausschlieslich im Besitz der Ver- nunft (§ 37), und der dadurch erfundenen Rede oder Sprache (Loquela), die nicht mit der blos thierischen Stimme (vox) als welche auch den ganz jungen und selbst den stummge- bohrnen Kindern zukommt, verwechselt werden darf (§ 46). Daß die Rede hingegen eine blose Folge der Vernunft und nicht etwa der beson- dern Organisation der menschlichen Sprach- werkzeuge sey, erhellt aus den bekannten Bey- spielen der Papagaien, Raben etc. die allerhand Worte ganz vernehmlich nachsprechen lernen. Die Stimme ist den Thieren wie ihr Instinct angebohren; die Sprache hingegen entwickelt sich erst mit der Vernunft, da denn die Seele ihre erlangten Begriffe, der Zunge zum Aus-
*)Sanctius - animal, mentisque capacius altae ----- et quod dominari in caetera poffet.ovid.
1. Gatt. sapiens. Der Mensch wird durch so merk- würdige Eigenschaften des Geistes und des Kör- per von der ganzen übrigen thierischen Schöpf- ung ausgezeichnet, daß er bey weitem nicht blos in einem eignen Geschlecht, sondern aller- dings in einer besondern Ordnung von ihr abge- schieden werden muß.
Er hat ausser dem Begattungstrieb we- nig Spuren von Instinct (§ 36), Kunsttriebe ber (§ 35), schlechterdings gar nicht. Da- gegen ist er ausschlieslich im Besitz der Ver- nunft (§ 37), und der dadurch erfundenen Rede oder Sprache (Loquela), die nicht mit der blos thierischen Stimme (vox) als welche auch den ganz jungen und selbst den stummge- bohrnen Kindern zukommt, verwechselt werden darf (§ 46). Daß die Rede hingegen eine blose Folge der Vernunft und nicht etwa der beson- dern Organisation der menschlichen Sprach- werkzeuge sey, erhellt aus den bekannten Bey- spielen der Papagaien, Raben ꝛc. die allerhand Worte ganz vernehmlich nachsprechen lernen. Die Stimme ist den Thieren wie ihr Instinct angebohren; die Sprache hingegen entwickelt sich erst mit der Vernunft, da denn die Seele ihre erlangten Begriffe, der Zunge zum Aus-
*)Sanctius – animal, mentisque capacius altae ----- et quod dominari in caetera poffet.ovid.
<TEI><textxml:id="blume_hbnatur_000023"><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0069"xml:id="pb057_0001"n="57"/><headrendition="#c">I. Ord. <hirendition="#aq"><hirendition="#g">INERMIS</hi></hi>.</head><lb/><prendition="#indent-1">1. Geschl. <hirendition="#aq"><hirendition="#k"><hirendition="#g">homo</hi></hi>. Animal rationale, loqueas,<lb/>
erectum, bimanum</hi>.<noteanchored="true"place="foot"n="*)"><p><hirendition="#aq">Sanctius – animal, mentisque capacius altae<lb/>
----- et quod dominari in caetera poffet.</hi></p><p><hirendition="#right"><hirendition="#aq"><hirendition="#k"><hirendition="#g">ovid</hi></hi></hi>.</hi></p></note></p><prendition="#indent-2">1. Gatt. <hirendition="#aq"><hirendition="#i">sapiens</hi></hi>. Der Mensch wird durch so merk-<lb/>
würdige Eigenschaften des Geistes und des Kör-<lb/>
per von der ganzen übrigen thierischen Schöpf-<lb/>
ung ausgezeichnet, daß er bey weitem nicht<lb/>
blos in einem eignen Geschlecht, sondern aller-<lb/>
dings in einer besondern Ordnung von ihr abge-<lb/>
schieden werden muß.</p><prendition="#l1em">Er hat ausser dem Begattungstrieb we-<lb/>
nig Spuren von Instinct (§ 36), Kunsttriebe<lb/>
ber (§ 35), schlechterdings gar nicht. Da-<lb/>
gegen ist er ausschlieslich im Besitz der Ver-<lb/>
nunft (§ 37), und der dadurch erfundenen<lb/>
Rede oder Sprache (<hirendition="#aq">Loquela</hi>), die nicht mit<lb/>
der blos thierischen Stimme (<hirendition="#aq">vox</hi>) als welche<lb/>
auch den ganz jungen und selbst den stummge-<lb/>
bohrnen Kindern zukommt, verwechselt werden<lb/>
darf (§ 46). Daß die Rede hingegen eine blose<lb/>
Folge der Vernunft und nicht etwa der beson-<lb/>
dern Organisation der menschlichen Sprach-<lb/>
werkzeuge sey, erhellt aus den bekannten Bey-<lb/>
spielen der Papagaien, Raben ꝛc. die allerhand<lb/>
Worte ganz vernehmlich nachsprechen lernen.<lb/>
Die Stimme ist den Thieren wie ihr Instinct<lb/>
angebohren; die Sprache hingegen entwickelt<lb/>
sich erst mit der Vernunft, da denn die Seele<lb/>
ihre erlangten Begriffe, der Zunge zum Aus-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[57/0069]
I. Ord. INERMIS.
1. Geschl. homo. Animal rationale, loqueas,
erectum, bimanum. *)
1. Gatt. sapiens. Der Mensch wird durch so merk-
würdige Eigenschaften des Geistes und des Kör-
per von der ganzen übrigen thierischen Schöpf-
ung ausgezeichnet, daß er bey weitem nicht
blos in einem eignen Geschlecht, sondern aller-
dings in einer besondern Ordnung von ihr abge-
schieden werden muß.
Er hat ausser dem Begattungstrieb we-
nig Spuren von Instinct (§ 36), Kunsttriebe
ber (§ 35), schlechterdings gar nicht. Da-
gegen ist er ausschlieslich im Besitz der Ver-
nunft (§ 37), und der dadurch erfundenen
Rede oder Sprache (Loquela), die nicht mit
der blos thierischen Stimme (vox) als welche
auch den ganz jungen und selbst den stummge-
bohrnen Kindern zukommt, verwechselt werden
darf (§ 46). Daß die Rede hingegen eine blose
Folge der Vernunft und nicht etwa der beson-
dern Organisation der menschlichen Sprach-
werkzeuge sey, erhellt aus den bekannten Bey-
spielen der Papagaien, Raben ꝛc. die allerhand
Worte ganz vernehmlich nachsprechen lernen.
Die Stimme ist den Thieren wie ihr Instinct
angebohren; die Sprache hingegen entwickelt
sich erst mit der Vernunft, da denn die Seele
ihre erlangten Begriffe, der Zunge zum Aus-
*) Sanctius – animal, mentisque capacius altae
----- et quod dominari in caetera poffet.
ovid.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Blumenbach, Johann Friedrich: Handbuch der Naturgeschichte. 2. Aufl. Göttingen, 1782, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_naturgeschichte_1782/69>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.