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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Neuntes Capitel. 1. Der Klerus.
sie denselben willfährig gehorche. Sobald die behaupteten
geistlichen Vorzugsrechte oder die Interessen der Kirche ge-
fährdet erschienen, so verweigerte der Klerus jede Folge, ge-
stützt auf das Bibelwort, dasz man "Gott mehr als den Men-
schen gehorchen müsse," und auf seine geistliche Erhabenheit;
dagegen verlangte er von der weltlichen Obrigkeit, dass sie
ohne Widerrede den Kirchengesetzen folge und mit ihrer Macht
dieselben durchführe.

Auch der weltlichen Gerichtsbarkeit entzog sich
der christliche Klerus, sowohl in bürgerlichen Streitigkeiten
als im Strafrecht. Die klerikalen Ansprüche ertragen nicht die
Ueberordnung der weltlichen Richter, "der Schafe über die
Hirten." Zum Kriegsdienste waren die Geistlichen nicht pflich-
tig, weil zu ihrem religiösen Beruf die eisernen Waffen nicht
paszten. Aber auch die Steuerpflicht lehnten sie von sich ab.
Bei jeder Gelegenheit beriefen sie sich auf ihre Immunitäten,
um jede statliche Last von sich abzuwälzen. Als römische
Geistlichkeit verachteten sie die nationale Beschränktheit. Ihr
Bürgerrecht gehörte keinem besonderen Volke, keinem bestimm-
ten Lande an, es bestand für sie nur der universelle Verband
mit der Christenheit und mit Rom, der Hauptstadt der Welt,
dem Sitz der Päpste. Das kanonische Recht war das
Gesetz ihres Lebens, nur der Gerichtsbarkeit der Kirche
mit ihren milden Censuren wollten sie Rechenschaft schulden.

Indessen diese Ausscheidung des Klerus aus dem Stats-
verband war nicht einmal in der Zeit seiner höchsten Macht
durchzuführen. Theils standen ihr geschichtliche Hindernisse
im Wege, theils waren damit die Interessen selbst der Geist-
lichen nicht völlig zu vereinigen.

Geschichtlich war die christliche Kirche mit ihrem Klerus
innerhalb des alten, alle Verhältnisse gemeinsam beherr-
schenden römischen Weltreichs entstanden und grosz ge-
worden, und die römischen Statsgewalten verzichteten nicht
auf ihre Autorität. Sie verlangten von allen Bewohnern des

Neuntes Capitel. 1. Der Klerus.
sie denselben willfährig gehorche. Sobald die behaupteten
geistlichen Vorzugsrechte oder die Interessen der Kirche ge-
fährdet erschienen, so verweigerte der Klerus jede Folge, ge-
stützt auf das Bibelwort, dasz man „Gott mehr als den Men-
schen gehorchen müsse,“ und auf seine geistliche Erhabenheit;
dagegen verlangte er von der weltlichen Obrigkeit, dass sie
ohne Widerrede den Kirchengesetzen folge und mit ihrer Macht
dieselben durchführe.

Auch der weltlichen Gerichtsbarkeit entzog sich
der christliche Klerus, sowohl in bürgerlichen Streitigkeiten
als im Strafrecht. Die klerikalen Ansprüche ertragen nicht die
Ueberordnung der weltlichen Richter, „der Schafe über die
Hirten.“ Zum Kriegsdienste waren die Geistlichen nicht pflich-
tig, weil zu ihrem religiösen Beruf die eisernen Waffen nicht
paszten. Aber auch die Steuerpflicht lehnten sie von sich ab.
Bei jeder Gelegenheit beriefen sie sich auf ihre Immunitäten,
um jede statliche Last von sich abzuwälzen. Als römische
Geistlichkeit verachteten sie die nationale Beschränktheit. Ihr
Bürgerrecht gehörte keinem besonderen Volke, keinem bestimm-
ten Lande an, es bestand für sie nur der universelle Verband
mit der Christenheit und mit Rom, der Hauptstadt der Welt,
dem Sitz der Päpste. Das kanonische Recht war das
Gesetz ihres Lebens, nur der Gerichtsbarkeit der Kirche
mit ihren milden Censuren wollten sie Rechenschaft schulden.

Indessen diese Ausscheidung des Klerus aus dem Stats-
verband war nicht einmal in der Zeit seiner höchsten Macht
durchzuführen. Theils standen ihr geschichtliche Hindernisse
im Wege, theils waren damit die Interessen selbst der Geist-
lichen nicht völlig zu vereinigen.

Geschichtlich war die christliche Kirche mit ihrem Klerus
innerhalb des alten, alle Verhältnisse gemeinsam beherr-
schenden römischen Weltreichs entstanden und grosz ge-
worden, und die römischen Statsgewalten verzichteten nicht
auf ihre Autorität. Sie verlangten von allen Bewohnern des

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[135/0153] Neuntes Capitel. 1. Der Klerus. sie denselben willfährig gehorche. Sobald die behaupteten geistlichen Vorzugsrechte oder die Interessen der Kirche ge- fährdet erschienen, so verweigerte der Klerus jede Folge, ge- stützt auf das Bibelwort, dasz man „Gott mehr als den Men- schen gehorchen müsse,“ und auf seine geistliche Erhabenheit; dagegen verlangte er von der weltlichen Obrigkeit, dass sie ohne Widerrede den Kirchengesetzen folge und mit ihrer Macht dieselben durchführe. Auch der weltlichen Gerichtsbarkeit entzog sich der christliche Klerus, sowohl in bürgerlichen Streitigkeiten als im Strafrecht. Die klerikalen Ansprüche ertragen nicht die Ueberordnung der weltlichen Richter, „der Schafe über die Hirten.“ Zum Kriegsdienste waren die Geistlichen nicht pflich- tig, weil zu ihrem religiösen Beruf die eisernen Waffen nicht paszten. Aber auch die Steuerpflicht lehnten sie von sich ab. Bei jeder Gelegenheit beriefen sie sich auf ihre Immunitäten, um jede statliche Last von sich abzuwälzen. Als römische Geistlichkeit verachteten sie die nationale Beschränktheit. Ihr Bürgerrecht gehörte keinem besonderen Volke, keinem bestimm- ten Lande an, es bestand für sie nur der universelle Verband mit der Christenheit und mit Rom, der Hauptstadt der Welt, dem Sitz der Päpste. Das kanonische Recht war das Gesetz ihres Lebens, nur der Gerichtsbarkeit der Kirche mit ihren milden Censuren wollten sie Rechenschaft schulden. Indessen diese Ausscheidung des Klerus aus dem Stats- verband war nicht einmal in der Zeit seiner höchsten Macht durchzuführen. Theils standen ihr geschichtliche Hindernisse im Wege, theils waren damit die Interessen selbst der Geist- lichen nicht völlig zu vereinigen. Geschichtlich war die christliche Kirche mit ihrem Klerus innerhalb des alten, alle Verhältnisse gemeinsam beherr- schenden römischen Weltreichs entstanden und grosz ge- worden, und die römischen Statsgewalten verzichteten nicht auf ihre Autorität. Sie verlangten von allen Bewohnern des

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/153>, abgerufen am 21.11.2024.