Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur.
heiligen Reichs Gehorsam gegen die Gesetze, die kaiserliche Regierung und die kaiserlichen Gerichte. Die Kleriker konnten sich höchstens von den Kaisern einzelne Privilegien erwerben. Ihre Unterthänigkeit war zweifellos.
Auch die fränkische Monarchie hielt noch fest an der Unterordnung der Bischöfe und Priester unter die Hoheit des Königs, die Reichsgesetze und die Reichsgerichte, obwohl die Statsmacht beschränkter und die Selbständigkeit der Kirche gröszer geworden war. Nur ganz allmählich breiteten sich unter den germanischen Fürsten die kirchlichen Immunitäten aus, anfangs eher aus frommer Gunst und Gnade der Könige, als kraft des anerkannten Kirchenrechts, das nun anfing, die eigene Autorität in stolzem Aufschwung zu erheben. Nur Schritt vor Schritt und nicht ohne Widerspruch und Wider- stand wurden die kirchlichen Rechte erweitert, nicht allent- halben in gleicher Ausdehnung.
Aber auch die Interessen verbanden den Klerus aufs engste mit der Laienordnung und dem Stat. Das Oberhaupt der Kirche selbst, der römische Papst, erwarb während des Mittelalters eine statliche Herrschaft über das sogenannte Patri- monium Petri. Es entstand zum Theil durch königliche Ver- leihung zum Theil durch Vergabung anderer Fürsten, theil- weise sogar durch Eroberung ein von Geistlichen regierter Kirchenstat. Die höchste geistliche Autorität war daher in Rom und dem römischen Gebiet mit der weltlichen Souverä- netät verbunden. Die Päpste waren nicht blosz als oberste Bischöfe berufen, die Interessen der Kirche auch dem Kaiser und den Staten gegenüber zu vertreten, sondern zugleich als vornehmste italienische Fürsten in die Interessen der italieni- schen Politik tief verflochten. Es war das freilich, nach dem Urtheile Machiavellis, das Unglück Italiens. Nicht mächtig genug, Italien unter ihrer Statshoheit zu einigen, waren sie stark genug, die Spaltungen der Parteien zu unterhalten. Sie ver- mochten nicht, Italien vor dem Einbruch feindlicher Heere zu
Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur.
heiligen Reichs Gehorsam gegen die Gesetze, die kaiserliche Regierung und die kaiserlichen Gerichte. Die Kleriker konnten sich höchstens von den Kaisern einzelne Privilegien erwerben. Ihre Unterthänigkeit war zweifellos.
Auch die fränkische Monarchie hielt noch fest an der Unterordnung der Bischöfe und Priester unter die Hoheit des Königs, die Reichsgesetze und die Reichsgerichte, obwohl die Statsmacht beschränkter und die Selbständigkeit der Kirche gröszer geworden war. Nur ganz allmählich breiteten sich unter den germanischen Fürsten die kirchlichen Immunitäten aus, anfangs eher aus frommer Gunst und Gnade der Könige, als kraft des anerkannten Kirchenrechts, das nun anfing, die eigene Autorität in stolzem Aufschwung zu erheben. Nur Schritt vor Schritt und nicht ohne Widerspruch und Wider- stand wurden die kirchlichen Rechte erweitert, nicht allent- halben in gleicher Ausdehnung.
Aber auch die Interessen verbanden den Klerus aufs engste mit der Laienordnung und dem Stat. Das Oberhaupt der Kirche selbst, der römische Papst, erwarb während des Mittelalters eine statliche Herrschaft über das sogenannte Patri- monium Petri. Es entstand zum Theil durch königliche Ver- leihung zum Theil durch Vergabung anderer Fürsten, theil- weise sogar durch Eroberung ein von Geistlichen regierter Kirchenstat. Die höchste geistliche Autorität war daher in Rom und dem römischen Gebiet mit der weltlichen Souverä- netät verbunden. Die Päpste waren nicht blosz als oberste Bischöfe berufen, die Interessen der Kirche auch dem Kaiser und den Staten gegenüber zu vertreten, sondern zugleich als vornehmste italienische Fürsten in die Interessen der italieni- schen Politik tief verflochten. Es war das freilich, nach dem Urtheile Machiavellis, das Unglück Italiens. Nicht mächtig genug, Italien unter ihrer Statshoheit zu einigen, waren sie stark genug, die Spaltungen der Parteien zu unterhalten. Sie ver- mochten nicht, Italien vor dem Einbruch feindlicher Heere zu
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Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur.
heiligen Reichs Gehorsam gegen die Gesetze, die kaiserliche
Regierung und die kaiserlichen Gerichte. Die Kleriker konnten
sich höchstens von den Kaisern einzelne Privilegien erwerben.
Ihre Unterthänigkeit war zweifellos.
Auch die fränkische Monarchie hielt noch fest an der
Unterordnung der Bischöfe und Priester unter die Hoheit des
Königs, die Reichsgesetze und die Reichsgerichte, obwohl die
Statsmacht beschränkter und die Selbständigkeit der Kirche
gröszer geworden war. Nur ganz allmählich breiteten sich
unter den germanischen Fürsten die kirchlichen Immunitäten
aus, anfangs eher aus frommer Gunst und Gnade der Könige,
als kraft des anerkannten Kirchenrechts, das nun anfing, die
eigene Autorität in stolzem Aufschwung zu erheben. Nur
Schritt vor Schritt und nicht ohne Widerspruch und Wider-
stand wurden die kirchlichen Rechte erweitert, nicht allent-
halben in gleicher Ausdehnung.
Aber auch die Interessen verbanden den Klerus aufs engste
mit der Laienordnung und dem Stat. Das Oberhaupt der
Kirche selbst, der römische Papst, erwarb während des
Mittelalters eine statliche Herrschaft über das sogenannte Patri-
monium Petri. Es entstand zum Theil durch königliche Ver-
leihung zum Theil durch Vergabung anderer Fürsten, theil-
weise sogar durch Eroberung ein von Geistlichen regierter
Kirchenstat. Die höchste geistliche Autorität war daher in
Rom und dem römischen Gebiet mit der weltlichen Souverä-
netät verbunden. Die Päpste waren nicht blosz als oberste
Bischöfe berufen, die Interessen der Kirche auch dem Kaiser
und den Staten gegenüber zu vertreten, sondern zugleich als
vornehmste italienische Fürsten in die Interessen der italieni-
schen Politik tief verflochten. Es war das freilich, nach dem
Urtheile Machiavellis, das Unglück Italiens. Nicht mächtig
genug, Italien unter ihrer Statshoheit zu einigen, waren sie stark
genug, die Spaltungen der Parteien zu unterhalten. Sie ver-
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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/154>, abgerufen am 21.11.2024.
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