Eilftes Capitel. 2. Der Adel. B. Der englische Adel.
Die eigentliche nobility bestand lediglich aus den Lords, und ward nie wie in Frankreich und Deutschland zu einem landesherrlichen Dynastenadel, sondern nur zu einem reichs- ständischen Adel, welcher in Unterordnung unter den König und das Gesetz in der Kriegsordnung und im Gericht, sowie über seine Aftervasallen hoheitliche Rechte ausübte.
Die Ritterschaft, d. h. die Classe der Freien, welche im Besitz von Rittergütern war, sei es Lehen des Königs, sei es Lehen anderer Groszen, nahm ebenfalls als erste Classe der Grafschaftsmiliz, in Verbindung mit andern Classen und vor- züglich als Träger des Friedensrichteramtes, mit der Polizei- gewalt und der Verwaltung der Rechtspflege betraut, eine sehr einfluszreiche Stellung ein. Aus ihr wurden die Abgeordneten der Grafschaft zum Parlament gewählt. Durch die Verbindung ihrer jüngern Söhne mit den hochbürgerlichen Classen und ihre parlamentarische Gemeinschaft mit den Vertretern der Städte, den "Honoratioren", bildete sich im Gegensatz zu der continentalen Abschlieszung des niedern Adels der seinem Wesen nach eher moderne als mittelalterliche Begriff der Gentry aus, welche alle die Personen als Gentlemen zu- zusammenfaszt, die sich durch Geburt oder Aemter, oder durch ihre Bildung und Vermögen als Honoratioren über die untern Massen erheben. Die Gentry ist nicht wie der Stand der Gentilshommes in Frankreich ein festgeschlossener Adelsstand, sondern eine flüssige Aristokratie, welche täglich neue Zuflüsse in sich aufnimmt und gelegentlich auch unwürdige Glieder wieder auswirft. 3
4. Ein fernerer Charakterzug des englischen Adels, durch
3Blackstone, Comment. I. 12, führt eine Stelle von Thom. Smith billigend an, in welcher als Gentlemen alle die erklärt werden, welche Universitätsstudien gemacht haben, liberale Berufsweisen betreiben, in Musze leben können ohne Handarbeit, und im Stande sind, sich als Gentlemen zu benehmen und zu leben. Vgl. Gneist Gesch. des engl. Verfassungs- und Verwaltungsrechts III. S. 334 f.; Tocqueville Oeuvres VIII. S. 328.
Eilftes Capitel. 2. Der Adel. B. Der englische Adel.
Die eigentliche nobility bestand lediglich aus den Lords, und ward nie wie in Frankreich und Deutschland zu einem landesherrlichen Dynastenadel, sondern nur zu einem reichs- ständischen Adel, welcher in Unterordnung unter den König und das Gesetz in der Kriegsordnung und im Gericht, sowie über seine Aftervasallen hoheitliche Rechte ausübte.
Die Ritterschaft, d. h. die Classe der Freien, welche im Besitz von Rittergütern war, sei es Lehen des Königs, sei es Lehen anderer Groszen, nahm ebenfalls als erste Classe der Grafschaftsmiliz, in Verbindung mit andern Classen und vor- züglich als Träger des Friedensrichteramtes, mit der Polizei- gewalt und der Verwaltung der Rechtspflege betraut, eine sehr einfluszreiche Stellung ein. Aus ihr wurden die Abgeordneten der Grafschaft zum Parlament gewählt. Durch die Verbindung ihrer jüngern Söhne mit den hochbürgerlichen Classen und ihre parlamentarische Gemeinschaft mit den Vertretern der Städte, den „Honoratioren“, bildete sich im Gegensatz zu der continentalen Abschlieszung des niedern Adels der seinem Wesen nach eher moderne als mittelalterliche Begriff der Gentry aus, welche alle die Personen als Gentlemen zu- zusammenfaszt, die sich durch Geburt oder Aemter, oder durch ihre Bildung und Vermögen als Honoratioren über die untern Massen erheben. Die Gentry ist nicht wie der Stand der Gentilshommes in Frankreich ein festgeschlossener Adelsstand, sondern eine flüssige Aristokratie, welche täglich neue Zuflüsse in sich aufnimmt und gelegentlich auch unwürdige Glieder wieder auswirft. 3
4. Ein fernerer Charakterzug des englischen Adels, durch
3Blackstone, Comment. I. 12, führt eine Stelle von Thom. Smith billigend an, in welcher als Gentlemen alle die erklärt werden, welche Universitätsstudien gemacht haben, liberale Berufsweisen betreiben, in Musze leben können ohne Handarbeit, und im Stande sind, sich als Gentlemen zu benehmen und zu leben. Vgl. Gneist Gesch. des engl. Verfassungs- und Verwaltungsrechts III. S. 334 f.; Tocqueville Oeuvres VIII. S. 328.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0177"n="159"/><fwplace="top"type="header">Eilftes Capitel. 2. Der Adel. B. Der englische Adel.</fw><lb/><p>Die eigentliche <hirendition="#g">nobility</hi> bestand lediglich aus den Lords,<lb/>
und ward nie wie in Frankreich und Deutschland zu einem<lb/>
landesherrlichen Dynastenadel, sondern nur zu einem <hirendition="#g">reichs-<lb/>
ständischen</hi> Adel, welcher in Unterordnung unter den König<lb/>
und das Gesetz in der Kriegsordnung und im Gericht, sowie<lb/>
über seine Aftervasallen hoheitliche Rechte ausübte.</p><lb/><p>Die <hirendition="#g">Ritterschaft</hi>, d. h. die Classe der Freien, welche<lb/>
im Besitz von Rittergütern war, sei es Lehen des Königs, sei<lb/>
es Lehen anderer Groszen, nahm ebenfalls als erste Classe der<lb/>
Grafschaftsmiliz, in Verbindung mit andern Classen und vor-<lb/>
züglich als Träger des Friedensrichteramtes, mit der Polizei-<lb/>
gewalt und der Verwaltung der Rechtspflege betraut, eine sehr<lb/>
einfluszreiche Stellung ein. Aus ihr wurden die Abgeordneten<lb/>
der Grafschaft zum Parlament gewählt. Durch die Verbindung<lb/>
ihrer jüngern Söhne mit den hochbürgerlichen Classen und<lb/>
ihre parlamentarische Gemeinschaft mit den Vertretern der<lb/>
Städte, den „Honoratioren“, bildete sich im Gegensatz zu der<lb/>
continentalen Abschlieszung des niedern Adels der seinem<lb/>
Wesen nach eher moderne als mittelalterliche Begriff der<lb/><hirendition="#g">Gentry</hi> aus, welche alle die Personen als <hirendition="#g">Gentlemen</hi> zu-<lb/>
zusammenfaszt, die sich durch Geburt oder Aemter, oder durch<lb/>
ihre Bildung und Vermögen als Honoratioren über die untern<lb/>
Massen erheben. Die Gentry ist nicht wie der Stand der<lb/>
Gentilshommes in Frankreich ein festgeschlossener Adelsstand,<lb/>
sondern eine flüssige Aristokratie, welche täglich neue Zuflüsse<lb/>
in sich aufnimmt und gelegentlich auch unwürdige Glieder<lb/>
wieder auswirft. <noteplace="foot"n="3"><hirendition="#g">Blackstone</hi>, Comment. I. 12, führt eine Stelle von <hirendition="#g">Thom</hi>. <hirendition="#g">Smith</hi><lb/>
billigend an, in welcher als Gentlemen alle die erklärt werden, welche<lb/>
Universitätsstudien gemacht haben, liberale Berufsweisen betreiben, in<lb/>
Musze leben können ohne Handarbeit, und im Stande sind, sich als<lb/>
Gentlemen zu benehmen und zu leben. Vgl. <hirendition="#g">Gneist</hi> Gesch. des engl.<lb/>
Verfassungs- und Verwaltungsrechts III. S. 334 f.; <hirendition="#g">Tocqueville</hi> Oeuvres<lb/>
VIII. S. 328.</note></p><lb/><p>4. Ein fernerer Charakterzug des englischen Adels, durch<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[159/0177]
Eilftes Capitel. 2. Der Adel. B. Der englische Adel.
Die eigentliche nobility bestand lediglich aus den Lords,
und ward nie wie in Frankreich und Deutschland zu einem
landesherrlichen Dynastenadel, sondern nur zu einem reichs-
ständischen Adel, welcher in Unterordnung unter den König
und das Gesetz in der Kriegsordnung und im Gericht, sowie
über seine Aftervasallen hoheitliche Rechte ausübte.
Die Ritterschaft, d. h. die Classe der Freien, welche
im Besitz von Rittergütern war, sei es Lehen des Königs, sei
es Lehen anderer Groszen, nahm ebenfalls als erste Classe der
Grafschaftsmiliz, in Verbindung mit andern Classen und vor-
züglich als Träger des Friedensrichteramtes, mit der Polizei-
gewalt und der Verwaltung der Rechtspflege betraut, eine sehr
einfluszreiche Stellung ein. Aus ihr wurden die Abgeordneten
der Grafschaft zum Parlament gewählt. Durch die Verbindung
ihrer jüngern Söhne mit den hochbürgerlichen Classen und
ihre parlamentarische Gemeinschaft mit den Vertretern der
Städte, den „Honoratioren“, bildete sich im Gegensatz zu der
continentalen Abschlieszung des niedern Adels der seinem
Wesen nach eher moderne als mittelalterliche Begriff der
Gentry aus, welche alle die Personen als Gentlemen zu-
zusammenfaszt, die sich durch Geburt oder Aemter, oder durch
ihre Bildung und Vermögen als Honoratioren über die untern
Massen erheben. Die Gentry ist nicht wie der Stand der
Gentilshommes in Frankreich ein festgeschlossener Adelsstand,
sondern eine flüssige Aristokratie, welche täglich neue Zuflüsse
in sich aufnimmt und gelegentlich auch unwürdige Glieder
wieder auswirft. 3
4. Ein fernerer Charakterzug des englischen Adels, durch
3 Blackstone, Comment. I. 12, führt eine Stelle von Thom. Smith
billigend an, in welcher als Gentlemen alle die erklärt werden, welche
Universitätsstudien gemacht haben, liberale Berufsweisen betreiben, in
Musze leben können ohne Handarbeit, und im Stande sind, sich als
Gentlemen zu benehmen und zu leben. Vgl. Gneist Gesch. des engl.
Verfassungs- und Verwaltungsrechts III. S. 334 f.; Tocqueville Oeuvres
VIII. S. 328.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/177>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.