Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Vierzehntes Capitel. 3. Der Bürgerstand.
lassung in der Stadt, auch wohl durch königliche Verleihung
des Bürgerrechts theilhaft werde. 4

3. Die verschiedenen Bedeutungen des Wortes Bürger
bezeichnen auch in Deutschland verschiedene Stufen der
Entwicklung.

Im dreizehnten Jahrhundert pflegte man noch ähnlich wie
früher in Italien und Frankreich die Ritter und die Bur-
ger
(milites et burgenses) zu unterscheiden, und unter diesen
die zu der städtischen Genossenschaft gehörigen und raths-
fähigen, aber nicht als Ritter lebenden Freien zu verstehen.
Die freien Häuserbesitzer in der Stadt waren der Grundstock
dieser Bürgerschaft, welche in Verbindung mit den ritterbür-
tigen Geschlechtern gewöhnlich die Schöffen- und die Raths-
stellen der Stadt inne hatten. Dann wurden auch wohl beide
Bestandtheile (die Ministerialen überdem den Rittern beigestellt)
in ihrer Vereinigung als die vollberechtigten Burger der
Stadt, oder als die Geschlechter bezeichnet und den Hand-
werkern und übrigen Einsassen der Stadt entgegengesetzt.

Seit der Mitte des XIII. Jahrhunderts, der Zeit der
groszen Städtebünde zum Schutze des Handels, scheinen die
Kaufleute in vielen deutschen Städten, insofern sie persön-
lich frei waren, auch abgesehen von dem Grundbesitz, der
Bürgerschaft beigezählt worden zu sein, und ebenfalls Ver-
tretung in dem Rathe der Stadt erlangt zu haben. -- Dadurch
wurde der Begriff der Bürgerschaft von dem Zusammenhang
mit dem Boden theilweise abgelöst, und dem Berufe und
der persönlichen Verbindung mehr Bedeutung als
früherhin zugestanden.

Die nämliche Richtung wurde sehr verstärkt, als in der
ersten Hälfte des XIV. Jahrhunderts gewöhnlich auch die
Handwerker, in ihren Zünften, als ein neuer Bestandtheil
der Bürgerschaft einverleibt wurden. Das Wort Bürger hatte

4 Schäffner a. a. O. S.
590.

Vierzehntes Capitel. 3. Der Bürgerstand.
lassung in der Stadt, auch wohl durch königliche Verleihung
des Bürgerrechts theilhaft werde. 4

3. Die verschiedenen Bedeutungen des Wortes Bürger
bezeichnen auch in Deutschland verschiedene Stufen der
Entwicklung.

Im dreizehnten Jahrhundert pflegte man noch ähnlich wie
früher in Italien und Frankreich die Ritter und die Bur-
ger
(milites et burgenses) zu unterscheiden, und unter diesen
die zu der städtischen Genossenschaft gehörigen und raths-
fähigen, aber nicht als Ritter lebenden Freien zu verstehen.
Die freien Häuserbesitzer in der Stadt waren der Grundstock
dieser Bürgerschaft, welche in Verbindung mit den ritterbür-
tigen Geschlechtern gewöhnlich die Schöffen- und die Raths-
stellen der Stadt inne hatten. Dann wurden auch wohl beide
Bestandtheile (die Ministerialen überdem den Rittern beigestellt)
in ihrer Vereinigung als die vollberechtigten Burger der
Stadt, oder als die Geschlechter bezeichnet und den Hand-
werkern und übrigen Einsassen der Stadt entgegengesetzt.

Seit der Mitte des XIII. Jahrhunderts, der Zeit der
groszen Städtebünde zum Schutze des Handels, scheinen die
Kaufleute in vielen deutschen Städten, insofern sie persön-
lich frei waren, auch abgesehen von dem Grundbesitz, der
Bürgerschaft beigezählt worden zu sein, und ebenfalls Ver-
tretung in dem Rathe der Stadt erlangt zu haben. — Dadurch
wurde der Begriff der Bürgerschaft von dem Zusammenhang
mit dem Boden theilweise abgelöst, und dem Berufe und
der persönlichen Verbindung mehr Bedeutung als
früherhin zugestanden.

Die nämliche Richtung wurde sehr verstärkt, als in der
ersten Hälfte des XIV. Jahrhunderts gewöhnlich auch die
Handwerker, in ihren Zünften, als ein neuer Bestandtheil
der Bürgerschaft einverleibt wurden. Das Wort Bürger hatte

4 Schäffner a. a. O. S.
590.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0201" n="183"/><fw place="top" type="header">Vierzehntes Capitel. 3. Der Bürgerstand.</fw><lb/>
lassung in der Stadt, auch wohl durch königliche Verleihung<lb/>
des Bürgerrechts theilhaft werde. <note place="foot" n="4"><hi rendition="#g">Schäffner</hi> a. a. O. S.<lb/>
590.</note></p>
          <p>3. Die verschiedenen Bedeutungen des Wortes Bürger<lb/>
bezeichnen auch in <hi rendition="#g">Deutschland</hi> verschiedene Stufen der<lb/>
Entwicklung.</p><lb/>
          <p>Im dreizehnten Jahrhundert pflegte man noch ähnlich wie<lb/>
früher in Italien und Frankreich die <hi rendition="#g">Ritter</hi> und die <hi rendition="#g">Bur-<lb/>
ger</hi> (milites et burgenses) zu unterscheiden, und unter diesen<lb/>
die zu der städtischen Genossenschaft gehörigen und raths-<lb/>
fähigen, aber nicht als Ritter lebenden Freien zu verstehen.<lb/>
Die freien Häuserbesitzer in der Stadt waren der Grundstock<lb/>
dieser Bürgerschaft, welche in Verbindung mit den ritterbür-<lb/>
tigen Geschlechtern gewöhnlich die Schöffen- und die Raths-<lb/>
stellen der Stadt inne hatten. Dann wurden auch wohl beide<lb/>
Bestandtheile (die Ministerialen überdem den Rittern beigestellt)<lb/>
in ihrer Vereinigung als die vollberechtigten <hi rendition="#g">Burger</hi> der<lb/>
Stadt, oder als die <hi rendition="#g">Geschlechter</hi> bezeichnet und den Hand-<lb/>
werkern und übrigen Einsassen der Stadt entgegengesetzt.</p><lb/>
          <p>Seit der Mitte des XIII. Jahrhunderts, der Zeit der<lb/>
groszen Städtebünde zum Schutze des Handels, scheinen die<lb/><hi rendition="#g">Kaufleute</hi> in vielen deutschen Städten, insofern sie persön-<lb/>
lich frei waren, auch abgesehen von dem Grundbesitz, der<lb/>
Bürgerschaft beigezählt worden zu sein, und ebenfalls Ver-<lb/>
tretung in dem Rathe der Stadt erlangt zu haben. &#x2014; Dadurch<lb/>
wurde der Begriff der Bürgerschaft von dem Zusammenhang<lb/>
mit dem Boden theilweise abgelöst, und dem <hi rendition="#g">Berufe</hi> und<lb/>
der <hi rendition="#g">persönlichen Verbindung</hi> mehr Bedeutung als<lb/>
früherhin zugestanden.</p><lb/>
          <p>Die nämliche Richtung wurde sehr verstärkt, als in der<lb/>
ersten Hälfte des XIV. Jahrhunderts gewöhnlich auch die<lb/><hi rendition="#g">Handwerker</hi>, in ihren Zünften, als ein neuer Bestandtheil<lb/>
der Bürgerschaft einverleibt wurden. Das Wort <hi rendition="#g">Bürger</hi> hatte<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[183/0201] Vierzehntes Capitel. 3. Der Bürgerstand. lassung in der Stadt, auch wohl durch königliche Verleihung des Bürgerrechts theilhaft werde. 4 3. Die verschiedenen Bedeutungen des Wortes Bürger bezeichnen auch in Deutschland verschiedene Stufen der Entwicklung. Im dreizehnten Jahrhundert pflegte man noch ähnlich wie früher in Italien und Frankreich die Ritter und die Bur- ger (milites et burgenses) zu unterscheiden, und unter diesen die zu der städtischen Genossenschaft gehörigen und raths- fähigen, aber nicht als Ritter lebenden Freien zu verstehen. Die freien Häuserbesitzer in der Stadt waren der Grundstock dieser Bürgerschaft, welche in Verbindung mit den ritterbür- tigen Geschlechtern gewöhnlich die Schöffen- und die Raths- stellen der Stadt inne hatten. Dann wurden auch wohl beide Bestandtheile (die Ministerialen überdem den Rittern beigestellt) in ihrer Vereinigung als die vollberechtigten Burger der Stadt, oder als die Geschlechter bezeichnet und den Hand- werkern und übrigen Einsassen der Stadt entgegengesetzt. Seit der Mitte des XIII. Jahrhunderts, der Zeit der groszen Städtebünde zum Schutze des Handels, scheinen die Kaufleute in vielen deutschen Städten, insofern sie persön- lich frei waren, auch abgesehen von dem Grundbesitz, der Bürgerschaft beigezählt worden zu sein, und ebenfalls Ver- tretung in dem Rathe der Stadt erlangt zu haben. — Dadurch wurde der Begriff der Bürgerschaft von dem Zusammenhang mit dem Boden theilweise abgelöst, und dem Berufe und der persönlichen Verbindung mehr Bedeutung als früherhin zugestanden. Die nämliche Richtung wurde sehr verstärkt, als in der ersten Hälfte des XIV. Jahrhunderts gewöhnlich auch die Handwerker, in ihren Zünften, als ein neuer Bestandtheil der Bürgerschaft einverleibt wurden. Das Wort Bürger hatte 4 Schäffner a. a. O. S. 590.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/201
Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/201>, abgerufen am 22.11.2024.