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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur.
ist nicht unmöglich, 13 und theilweise durch die Cultur-
verhältnisse der Gegenwart veranlaszt. Wenn daraus ein
wirklicher Conflict widerstreitender Pflichten sich ergibt --
ein immerhin seltener Fall -- so kann die Lösung desselben
wohl schwierig werden. Nicht immer hilft der Satz aus, dasz
der ältere Statsverband dem neueren vorgehe; insbesondere
dann nicht, wenn das ältere Heimatsrecht ein ruhendes, und
das neuere ein wirksames (actuelles) ist, wenn also der
Doppelbürger wohl in der neuen Heimat wohnt, aber nicht
mehr in der alten. In diesen Fällen wird z. B. die Militär-
pflicht in der letzteren geleistet werden müssen. 14 Deszhalb
kommt auch zunächst dem State, welcher einem Ausländer
die Naturalisation ertheilt, oder ihm eine Beamtung überträgt,
die Befugnisz zu, entweder die vorherige Entlassung aus dem
frühern Statsverbande zu verlangen, oder den Vorbehalt der
Fortdauer desselben zuzugestehen. 15

3. Weil die Landesrechte die Bedingungen des Erwerbs
und des Verlustes der Statsangehörigkeit verschieden bestim-
men, so kann daraus leicht ein Conflict entstehen zwischen

13 Es kommt sogar vor, dasz eine Person, gleichzeitig in zwei Staten
an der Landesrepräsentation Theil nimmt. Manche deutsche Standesherrn
sind gleichzeitig Mitglieder der ersten Kammern in zwei und drei Staten,
in denen allen sie begütert, und denen allen sie durch den Eid der Treue
verbunden sind. Ist es ja nicht einmal undenkbar, dasz Jemand zwei
verschiedene Wohnorte (Domicile) z. B. eines in der Stadt und eines
auf dem Lande, oder eines als Kaufmann (Firma) und ein anderes als
Privatmann hat! Wenn Bar (das internationale Privat- und Strafrecht
S. 85) alle diese Möglichkeiten bestreitet, so überzeugt ein Blick in die
wirklichen Verhältnisse, dasz diese mannichfaltiger sind, als die enge
Theorie. Die Freiheit der Auswanderung wird dadurch nicht beschränkt,
wohl aber die Freiheit bewahrt, sein angebornes Vaterland zu behalten
und damit eine neue Statsgenossenschaft zu verbinden.
14 Blackstone a. a. O. Die eigene Lebenserfahrung hat mich gelehrt,
dasz in diesen Dingen die actuelle Heimat entscheide.
15 Bayer. Edict. §. 6. Dagegen Schweizer. Bundesverf. von 1848.
43: "Ausländern darf kein Kanton das Bürgerrecht ertheilen, wenn sie
nicht aus dem frühern Statsverband entlassen werden."

Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur.
ist nicht unmöglich, 13 und theilweise durch die Cultur-
verhältnisse der Gegenwart veranlaszt. Wenn daraus ein
wirklicher Conflict widerstreitender Pflichten sich ergibt —
ein immerhin seltener Fall — so kann die Lösung desselben
wohl schwierig werden. Nicht immer hilft der Satz aus, dasz
der ältere Statsverband dem neueren vorgehe; insbesondere
dann nicht, wenn das ältere Heimatsrecht ein ruhendes, und
das neuere ein wirksames (actuelles) ist, wenn also der
Doppelbürger wohl in der neuen Heimat wohnt, aber nicht
mehr in der alten. In diesen Fällen wird z. B. die Militär-
pflicht in der letzteren geleistet werden müssen. 14 Deszhalb
kommt auch zunächst dem State, welcher einem Ausländer
die Naturalisation ertheilt, oder ihm eine Beamtung überträgt,
die Befugnisz zu, entweder die vorherige Entlassung aus dem
frühern Statsverbande zu verlangen, oder den Vorbehalt der
Fortdauer desselben zuzugestehen. 15

3. Weil die Landesrechte die Bedingungen des Erwerbs
und des Verlustes der Statsangehörigkeit verschieden bestim-
men, so kann daraus leicht ein Conflict entstehen zwischen

13 Es kommt sogar vor, dasz eine Person, gleichzeitig in zwei Staten
an der Landesrepräsentation Theil nimmt. Manche deutsche Standesherrn
sind gleichzeitig Mitglieder der ersten Kammern in zwei und drei Staten,
in denen allen sie begütert, und denen allen sie durch den Eid der Treue
verbunden sind. Ist es ja nicht einmal undenkbar, dasz Jemand zwei
verschiedene Wohnorte (Domicile) z. B. eines in der Stadt und eines
auf dem Lande, oder eines als Kaufmann (Firma) und ein anderes als
Privatmann hat! Wenn Bar (das internationale Privat- und Strafrecht
S. 85) alle diese Möglichkeiten bestreitet, so überzeugt ein Blick in die
wirklichen Verhältnisse, dasz diese mannichfaltiger sind, als die enge
Theorie. Die Freiheit der Auswanderung wird dadurch nicht beschränkt,
wohl aber die Freiheit bewahrt, sein angebornes Vaterland zu behalten
und damit eine neue Statsgenossenschaft zu verbinden.
14 Blackstone a. a. O. Die eigene Lebenserfahrung hat mich gelehrt,
dasz in diesen Dingen die actuelle Heimat entscheide.
15 Bayer. Edict. §. 6. Dagegen Schweizer. Bundesverf. von 1848.
43: „Ausländern darf kein Kanton das Bürgerrecht ertheilen, wenn sie
nicht aus dem frühern Statsverband entlassen werden.“
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[242/0260] Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur. ist nicht unmöglich, 13 und theilweise durch die Cultur- verhältnisse der Gegenwart veranlaszt. Wenn daraus ein wirklicher Conflict widerstreitender Pflichten sich ergibt — ein immerhin seltener Fall — so kann die Lösung desselben wohl schwierig werden. Nicht immer hilft der Satz aus, dasz der ältere Statsverband dem neueren vorgehe; insbesondere dann nicht, wenn das ältere Heimatsrecht ein ruhendes, und das neuere ein wirksames (actuelles) ist, wenn also der Doppelbürger wohl in der neuen Heimat wohnt, aber nicht mehr in der alten. In diesen Fällen wird z. B. die Militär- pflicht in der letzteren geleistet werden müssen. 14 Deszhalb kommt auch zunächst dem State, welcher einem Ausländer die Naturalisation ertheilt, oder ihm eine Beamtung überträgt, die Befugnisz zu, entweder die vorherige Entlassung aus dem frühern Statsverbande zu verlangen, oder den Vorbehalt der Fortdauer desselben zuzugestehen. 15 3. Weil die Landesrechte die Bedingungen des Erwerbs und des Verlustes der Statsangehörigkeit verschieden bestim- men, so kann daraus leicht ein Conflict entstehen zwischen 13 Es kommt sogar vor, dasz eine Person, gleichzeitig in zwei Staten an der Landesrepräsentation Theil nimmt. Manche deutsche Standesherrn sind gleichzeitig Mitglieder der ersten Kammern in zwei und drei Staten, in denen allen sie begütert, und denen allen sie durch den Eid der Treue verbunden sind. Ist es ja nicht einmal undenkbar, dasz Jemand zwei verschiedene Wohnorte (Domicile) z. B. eines in der Stadt und eines auf dem Lande, oder eines als Kaufmann (Firma) und ein anderes als Privatmann hat! Wenn Bar (das internationale Privat- und Strafrecht S. 85) alle diese Möglichkeiten bestreitet, so überzeugt ein Blick in die wirklichen Verhältnisse, dasz diese mannichfaltiger sind, als die enge Theorie. Die Freiheit der Auswanderung wird dadurch nicht beschränkt, wohl aber die Freiheit bewahrt, sein angebornes Vaterland zu behalten und damit eine neue Statsgenossenschaft zu verbinden. 14 Blackstone a. a. O. Die eigene Lebenserfahrung hat mich gelehrt, dasz in diesen Dingen die actuelle Heimat entscheide. 15 Bayer. Edict. §. 6. Dagegen Schweizer. Bundesverf. von 1848. 43: „Ausländern darf kein Kanton das Bürgerrecht ertheilen, wenn sie nicht aus dem frühern Statsverband entlassen werden.“

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/260>, abgerufen am 22.11.2024.