Drittes Buch. Die Grundlagen des Stats etc. Das Land.
States an voller und durchgreifender Einheit im Organismus ist, so zerstört doch eine gänzliche Beseitigung der provin- ziellen Freiheit viele natürliche Eigenthümlichkeiten und Be- dürfnisse, und leicht verletzt eine übertriebene Uniformität gesunde und fruchtbare Theile des Volkslebens. Die germa- nischen Völker bedürfen mehr als die romanischen zu ihrer Befriedigung auch der provinziellen Selbständigkeit.
2. Die Kreise (Bezirke).
Die Kreise sind noch gröszere Statsbezirke; aber sie haben doch nur die Bedeutung von bloszen Theilen des Statsgebietes. Sie haben nicht wie die Provinzen einen An- spruch darauf, zugleich besondere Länder zu sein. In der alten fränkischen und deutschen Reichsverfassung hatten die Herzogthümer und Fürstenthümer den Charakter von Provinzen, die Gaue den von Kreisen. Eben dahin sind die englischen und nordamerikanischen Grafschaften, die französischen Departemente, die deutschen Kreise und die preuszischen Regierungsbezirke zu rechnen.
Der wahre Grund dieser Eintheilung liegt nicht in der Eigenthümlichkeit eines Landes oder eines Volksstammes, sondern in dem politischen Bedürfnisse der Statsverwal- tung selbst, ihre Thätigkeit stufenweise zu gliedern. Sie ist daher vorzugsweise das Product des Statsorganismus, ob- wohl im Einzelnen auch auf die historische Verbindung der Bevölkerung eines Kreises und auf die natürlichen Verkehrs- beziehungen derselben Rücksicht zu nehmen ist. Lassen sich die Provinzen mit verschiedenen Häusern vergleichen, die zu einem Schlosse gehören, so sind die Kreise eher den ver- schiedenen Stockwerken eines Hauses vergleichbar.
Den Kreisen kommt gewöhnlich eine besondere Concen- tration der Verwaltung und der obern Gerichtsbar- keit zu. Ueberdem zeigt sich in den modernen Staten die Neigung, die besonderen Interessen des Kreises in dem- selben eigenartig zu pflegen, die Interessengemeinschaft
Drittes Buch. Die Grundlagen des Stats etc. Das Land.
States an voller und durchgreifender Einheit im Organismus ist, so zerstört doch eine gänzliche Beseitigung der provin- ziellen Freiheit viele natürliche Eigenthümlichkeiten und Be- dürfnisse, und leicht verletzt eine übertriebene Uniformität gesunde und fruchtbare Theile des Volkslebens. Die germa- nischen Völker bedürfen mehr als die romanischen zu ihrer Befriedigung auch der provinziellen Selbständigkeit.
2. Die Kreise (Bezirke).
Die Kreise sind noch gröszere Statsbezirke; aber sie haben doch nur die Bedeutung von bloszen Theilen des Statsgebietes. Sie haben nicht wie die Provinzen einen An- spruch darauf, zugleich besondere Länder zu sein. In der alten fränkischen und deutschen Reichsverfassung hatten die Herzogthümer und Fürstenthümer den Charakter von Provinzen, die Gaue den von Kreisen. Eben dahin sind die englischen und nordamerikanischen Grafschaften, die französischen Departemente, die deutschen Kreise und die preuszischen Regierungsbezirke zu rechnen.
Der wahre Grund dieser Eintheilung liegt nicht in der Eigenthümlichkeit eines Landes oder eines Volksstammes, sondern in dem politischen Bedürfnisse der Statsverwal- tung selbst, ihre Thätigkeit stufenweise zu gliedern. Sie ist daher vorzugsweise das Product des Statsorganismus, ob- wohl im Einzelnen auch auf die historische Verbindung der Bevölkerung eines Kreises und auf die natürlichen Verkehrs- beziehungen derselben Rücksicht zu nehmen ist. Lassen sich die Provinzen mit verschiedenen Häusern vergleichen, die zu einem Schlosse gehören, so sind die Kreise eher den ver- schiedenen Stockwerken eines Hauses vergleichbar.
Den Kreisen kommt gewöhnlich eine besondere Concen- tration der Verwaltung und der obern Gerichtsbar- keit zu. Ueberdem zeigt sich in den modernen Staten die Neigung, die besonderen Interessen des Kreises in dem- selben eigenartig zu pflegen, die Interessengemeinschaft
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Drittes Buch. Die Grundlagen des Stats etc. Das Land.
States an voller und durchgreifender Einheit im Organismus
ist, so zerstört doch eine gänzliche Beseitigung der provin-
ziellen Freiheit viele natürliche Eigenthümlichkeiten und Be-
dürfnisse, und leicht verletzt eine übertriebene Uniformität
gesunde und fruchtbare Theile des Volkslebens. Die germa-
nischen Völker bedürfen mehr als die romanischen zu ihrer
Befriedigung auch der provinziellen Selbständigkeit.
2. Die Kreise (Bezirke).
Die Kreise sind noch gröszere Statsbezirke; aber sie
haben doch nur die Bedeutung von bloszen Theilen des
Statsgebietes. Sie haben nicht wie die Provinzen einen An-
spruch darauf, zugleich besondere Länder zu sein. In
der alten fränkischen und deutschen Reichsverfassung hatten
die Herzogthümer und Fürstenthümer den Charakter
von Provinzen, die Gaue den von Kreisen. Eben dahin sind
die englischen und nordamerikanischen Grafschaften, die
französischen Departemente, die deutschen Kreise und die
preuszischen Regierungsbezirke zu rechnen.
Der wahre Grund dieser Eintheilung liegt nicht in der
Eigenthümlichkeit eines Landes oder eines Volksstammes,
sondern in dem politischen Bedürfnisse der Statsverwal-
tung selbst, ihre Thätigkeit stufenweise zu gliedern. Sie
ist daher vorzugsweise das Product des Statsorganismus, ob-
wohl im Einzelnen auch auf die historische Verbindung der
Bevölkerung eines Kreises und auf die natürlichen Verkehrs-
beziehungen derselben Rücksicht zu nehmen ist. Lassen sich
die Provinzen mit verschiedenen Häusern vergleichen, die zu
einem Schlosse gehören, so sind die Kreise eher den ver-
schiedenen Stockwerken eines Hauses vergleichbar.
Den Kreisen kommt gewöhnlich eine besondere Concen-
tration der Verwaltung und der obern Gerichtsbar-
keit zu. Ueberdem zeigt sich in den modernen Staten die
Neigung, die besonderen Interessen des Kreises in dem-
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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/302>, abgerufen am 25.11.2024.
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