Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Siebentes Capitel. VII. Verhältnisz des Stats zum Privateigenthum.
insbesondere öffentliche Gebäude, Residenzen, Amtshäuser,
Festungen, Zeughäuser, Casernen u. s. f. Hier läszt sich,
der äuszeren Art dieser Sachen gemäsz, füglich von Eigen-
thum
des States daran sprechen. Aber die nahe Beziehung
dieses Eigenthums zu den öffentlichen Statszwecken hebt das-
selbe doch von dem gewöhnlichen Privateigenthum ab, und
hemmt auch, so lange diese Bestimmung dauert, den Privat-
verkehr. Diese Sachen müssen in der Gewalt des Stats als
öffentliches Gut (relatives Domaine public) verbleiben, damit
ihre Bestimmung gesichert sei.

4. Die geschichtliche Thatsache, dasz das meiste Privat-
eigenthum an Liegenschaften ursprünglich von dem State
abgeleitet worden ist, welcher das eingenommene Land unter
die Krieger oder die Familien des Stammes zu Eigenthum
vertheilte, wirkt insofern noch nach, dasz nach vielen Lan-
desrechten, das spätere Erlöschen des Privateigenthums an
dem Boden -- z. B. durch Auswanderung oder Aussterben
der Familien -- nicht eine herrenlose Sache, sondern den
Rückfall an den Stat zur Folge hat, der darüber neu ver-
fügen kann. Auch heute noch ist es ein Grundsatz der eng-
lischen und der nordamerikanischen Rechtsbildung, dasz der
Boden in den neu zu colonisirenden Territorien dem State
gehöre, und dasz daher die Colonisten ihre Grundstücke von
dem State erkaufen müssen.

Mir scheint, diese Behandlung des noch nicht oder nicht
mehr im Privateigenthum befindlichen Bodens als von Sachen,
über die es dem State zukommt, zu verfügen, rechtfertige
sich aus der Idee der Landesherrschaft, welche auch die Pri-
vatherrschaft zu ordnen hat, und wo diese fehlt, vorerst alle
Rechtsmacht verwaltet. 6

Den Liegenschaften sind die erblosen Erbschaften

6 Vgl. Pierantoni Diritto Costitutionale Napoli 1873. Bd. I. S. 306 ff.:
"La proprieta dello Stato."

Siebentes Capitel. VII. Verhältnisz des Stats zum Privateigenthum.
insbesondere öffentliche Gebäude, Residenzen, Amtshäuser,
Festungen, Zeughäuser, Casernen u. s. f. Hier läszt sich,
der äuszeren Art dieser Sachen gemäsz, füglich von Eigen-
thum
des States daran sprechen. Aber die nahe Beziehung
dieses Eigenthums zu den öffentlichen Statszwecken hebt das-
selbe doch von dem gewöhnlichen Privateigenthum ab, und
hemmt auch, so lange diese Bestimmung dauert, den Privat-
verkehr. Diese Sachen müssen in der Gewalt des Stats als
öffentliches Gut (relatives Domaine public) verbleiben, damit
ihre Bestimmung gesichert sei.

4. Die geschichtliche Thatsache, dasz das meiste Privat-
eigenthum an Liegenschaften ursprünglich von dem State
abgeleitet worden ist, welcher das eingenommene Land unter
die Krieger oder die Familien des Stammes zu Eigenthum
vertheilte, wirkt insofern noch nach, dasz nach vielen Lan-
desrechten, das spätere Erlöschen des Privateigenthums an
dem Boden — z. B. durch Auswanderung oder Aussterben
der Familien — nicht eine herrenlose Sache, sondern den
Rückfall an den Stat zur Folge hat, der darüber neu ver-
fügen kann. Auch heute noch ist es ein Grundsatz der eng-
lischen und der nordamerikanischen Rechtsbildung, dasz der
Boden in den neu zu colonisirenden Territorien dem State
gehöre, und dasz daher die Colonisten ihre Grundstücke von
dem State erkaufen müssen.

Mir scheint, diese Behandlung des noch nicht oder nicht
mehr im Privateigenthum befindlichen Bodens als von Sachen,
über die es dem State zukommt, zu verfügen, rechtfertige
sich aus der Idee der Landesherrschaft, welche auch die Pri-
vatherrschaft zu ordnen hat, und wo diese fehlt, vorerst alle
Rechtsmacht verwaltet. 6

Den Liegenschaften sind die erblosen Erbschaften

6 Vgl. Pierantoni Diritto Costitutionale Napoli 1873. Bd. I. S. 306 ff.:
„La proprietà dello Stato.“
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0309" n="291"/><fw place="top" type="header">Siebentes Capitel. VII. Verhältnisz des Stats zum Privateigenthum.</fw><lb/>
insbesondere öffentliche Gebäude, Residenzen, Amtshäuser,<lb/>
Festungen, Zeughäuser, Casernen u. s. f. Hier läszt sich,<lb/>
der äuszeren Art dieser Sachen gemäsz, füglich von <hi rendition="#g">Eigen-<lb/>
thum</hi> des States daran sprechen. Aber die nahe Beziehung<lb/>
dieses Eigenthums zu den öffentlichen Statszwecken hebt das-<lb/>
selbe doch von dem gewöhnlichen Privateigenthum ab, und<lb/>
hemmt auch, so lange diese Bestimmung dauert, den Privat-<lb/>
verkehr. Diese Sachen müssen in der Gewalt des Stats als<lb/>
öffentliches Gut (relatives Domaine public) verbleiben, damit<lb/>
ihre Bestimmung gesichert sei.</p><lb/>
          <p>4. Die geschichtliche Thatsache, dasz das meiste Privat-<lb/>
eigenthum an <hi rendition="#g">Liegenschaften</hi> ursprünglich von dem <hi rendition="#g">State</hi><lb/>
abgeleitet worden ist, welcher das eingenommene Land unter<lb/>
die Krieger oder die Familien des Stammes zu Eigenthum<lb/>
vertheilte, wirkt insofern noch nach, dasz nach vielen Lan-<lb/>
desrechten, das spätere Erlöschen des Privateigenthums an<lb/>
dem Boden &#x2014; z. B. durch Auswanderung oder Aussterben<lb/>
der Familien &#x2014; nicht eine herrenlose Sache, sondern den<lb/><hi rendition="#g">Rückfall</hi> an den Stat zur Folge hat, der darüber neu ver-<lb/>
fügen kann. Auch heute noch ist es ein Grundsatz der eng-<lb/>
lischen und der nordamerikanischen Rechtsbildung, dasz der<lb/>
Boden in den neu zu colonisirenden Territorien dem State<lb/>
gehöre, und dasz daher die Colonisten ihre Grundstücke von<lb/>
dem State erkaufen müssen.</p><lb/>
          <p>Mir scheint, diese Behandlung des noch nicht oder nicht<lb/>
mehr im Privateigenthum befindlichen Bodens als von Sachen,<lb/>
über die es dem State zukommt, zu verfügen, rechtfertige<lb/>
sich aus der Idee der Landesherrschaft, welche auch die Pri-<lb/>
vatherrschaft zu ordnen hat, und wo diese fehlt, vorerst alle<lb/>
Rechtsmacht verwaltet. <note place="foot" n="6">Vgl. <hi rendition="#g">Pierantoni</hi> Diritto Costitutionale Napoli 1873. Bd. I. S. 306 ff.:<lb/>
&#x201E;La proprietà dello Stato.&#x201C;</note></p><lb/>
          <p>Den Liegenschaften sind die erblosen <hi rendition="#g">Erbschaften</hi><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[291/0309] Siebentes Capitel. VII. Verhältnisz des Stats zum Privateigenthum. insbesondere öffentliche Gebäude, Residenzen, Amtshäuser, Festungen, Zeughäuser, Casernen u. s. f. Hier läszt sich, der äuszeren Art dieser Sachen gemäsz, füglich von Eigen- thum des States daran sprechen. Aber die nahe Beziehung dieses Eigenthums zu den öffentlichen Statszwecken hebt das- selbe doch von dem gewöhnlichen Privateigenthum ab, und hemmt auch, so lange diese Bestimmung dauert, den Privat- verkehr. Diese Sachen müssen in der Gewalt des Stats als öffentliches Gut (relatives Domaine public) verbleiben, damit ihre Bestimmung gesichert sei. 4. Die geschichtliche Thatsache, dasz das meiste Privat- eigenthum an Liegenschaften ursprünglich von dem State abgeleitet worden ist, welcher das eingenommene Land unter die Krieger oder die Familien des Stammes zu Eigenthum vertheilte, wirkt insofern noch nach, dasz nach vielen Lan- desrechten, das spätere Erlöschen des Privateigenthums an dem Boden — z. B. durch Auswanderung oder Aussterben der Familien — nicht eine herrenlose Sache, sondern den Rückfall an den Stat zur Folge hat, der darüber neu ver- fügen kann. Auch heute noch ist es ein Grundsatz der eng- lischen und der nordamerikanischen Rechtsbildung, dasz der Boden in den neu zu colonisirenden Territorien dem State gehöre, und dasz daher die Colonisten ihre Grundstücke von dem State erkaufen müssen. Mir scheint, diese Behandlung des noch nicht oder nicht mehr im Privateigenthum befindlichen Bodens als von Sachen, über die es dem State zukommt, zu verfügen, rechtfertige sich aus der Idee der Landesherrschaft, welche auch die Pri- vatherrschaft zu ordnen hat, und wo diese fehlt, vorerst alle Rechtsmacht verwaltet. 6 Den Liegenschaften sind die erblosen Erbschaften 6 Vgl. Pierantoni Diritto Costitutionale Napoli 1873. Bd. I. S. 306 ff.: „La proprietà dello Stato.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/309
Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/309>, abgerufen am 22.11.2024.