Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Drittes Buch. Die Grundlagen des Stats etc. Das Land.
gleich zu stellen, zumal auch hier ein Eingreifen beliebiger
Occupanten ohne grobe Unordnung nicht möglich ist.

Dagegen ist es ein Irrthum, der aus jener falschen Vor-
stellung von Statseigenthum entsprungen ist, wenn ein natür-
liches Eigenthum des States an herrenlosen Sachen über-
haupt behauptet wird, die in seinem Gebiete vorhanden sind
oder wenn die Fremden von der Occupation solcher
Sachen ausgeschlossen sind und diese ausschlieszlich dem
State selbst oder seinen Angehörigen vorbehalten wird.

Dem römischen Rechte ist denn auch jene irrthümliche
Ansicht fremd. An den eigentlichen res nullius hatte der
Stat gerade so wenig Rechte als jede andere Privatperson.
Wer immer, ob Fremder, ob römischer Bürger, dieselben
occupirte, wurde durch die Occupation Eigenthümer. 7 In dem
Mittelalter dagegen war allerdings die Vorstellung der lehens-
herrlichen Oberhoheit und die des Patrimonialstates einer
Ausdehnung der Statsherrschaft auch auf Gegenstände des
Privatrechtes günstig: und in manchen neuern Rechten hat
sich diese frühere Anschauung groszentheils noch erhalten.

Wir erwähnen:

a) Das preuszische Landrecht, welches mit Bezug
auf gewisse Arten von Sachen, insbesondere auf Liegenschaf-
ten, Erbschaften, nutzbare Landthiere, auf welche noch kein
Individuum ein besonderes Recht erlangt hat, oder die von
ihrem frühern Eigenthümer verlassen worden, dem State ein
Vorzugsrecht zur Occupation zuschreibt, in Folge dessen
ein Anderer dieselben nicht ohne Einwilligung des States in

7 Gajus, in L. 3 pr. de Adquir. rer. dominio: "Quod enim nullius
est, id ratione naturali occupanti conceditur." Vgl. L. 1. pr. eod.
Klüber, öffentl. Recht des deutschen Bundes, §. 337. hat die Theorie
aufgestellt, dasz die sogenannten adespota, d. h. herrenlose Sachen,
innerhalb des Statsgebiets nicht von Fremden occupirt werden können.
Warum aber sollte der Vogel, der einem Fremden ins Zimmer fliegt und
von diesem gefangen wird, demselben weniger gehören als einem Ein-
heimischen?

Drittes Buch. Die Grundlagen des Stats etc. Das Land.
gleich zu stellen, zumal auch hier ein Eingreifen beliebiger
Occupanten ohne grobe Unordnung nicht möglich ist.

Dagegen ist es ein Irrthum, der aus jener falschen Vor-
stellung von Statseigenthum entsprungen ist, wenn ein natür-
liches Eigenthum des States an herrenlosen Sachen über-
haupt behauptet wird, die in seinem Gebiete vorhanden sind
oder wenn die Fremden von der Occupation solcher
Sachen ausgeschlossen sind und diese ausschlieszlich dem
State selbst oder seinen Angehörigen vorbehalten wird.

Dem römischen Rechte ist denn auch jene irrthümliche
Ansicht fremd. An den eigentlichen res nullius hatte der
Stat gerade so wenig Rechte als jede andere Privatperson.
Wer immer, ob Fremder, ob römischer Bürger, dieselben
occupirte, wurde durch die Occupation Eigenthümer. 7 In dem
Mittelalter dagegen war allerdings die Vorstellung der lehens-
herrlichen Oberhoheit und die des Patrimonialstates einer
Ausdehnung der Statsherrschaft auch auf Gegenstände des
Privatrechtes günstig: und in manchen neuern Rechten hat
sich diese frühere Anschauung groszentheils noch erhalten.

Wir erwähnen:

a) Das preuszische Landrecht, welches mit Bezug
auf gewisse Arten von Sachen, insbesondere auf Liegenschaf-
ten, Erbschaften, nutzbare Landthiere, auf welche noch kein
Individuum ein besonderes Recht erlangt hat, oder die von
ihrem frühern Eigenthümer verlassen worden, dem State ein
Vorzugsrecht zur Occupation zuschreibt, in Folge dessen
ein Anderer dieselben nicht ohne Einwilligung des States in

7 Gajus, in L. 3 pr. de Adquir. rer. dominio: „Quod enim nullius
est, id ratione naturali occupanti conceditur.“ Vgl. L. 1. pr. eod.
Klüber, öffentl. Recht des deutschen Bundes, §. 337. hat die Theorie
aufgestellt, dasz die sogenannten adespota, d. h. herrenlose Sachen,
innerhalb des Statsgebiets nicht von Fremden occupirt werden können.
Warum aber sollte der Vogel, der einem Fremden ins Zimmer fliegt und
von diesem gefangen wird, demselben weniger gehören als einem Ein-
heimischen?
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0310" n="292"/><fw place="top" type="header">Drittes Buch. Die Grundlagen des Stats etc. Das Land.</fw><lb/>
gleich zu stellen, zumal auch hier ein Eingreifen beliebiger<lb/>
Occupanten ohne grobe Unordnung nicht möglich ist.</p><lb/>
          <p>Dagegen ist es ein Irrthum, der aus jener falschen Vor-<lb/>
stellung von Statseigenthum entsprungen ist, wenn ein natür-<lb/>
liches Eigenthum des States an <hi rendition="#g">herrenlosen Sachen</hi> über-<lb/>
haupt behauptet wird, die in seinem Gebiete vorhanden sind<lb/>
oder wenn die <hi rendition="#g">Fremden</hi> von der <hi rendition="#g">Occupation</hi> solcher<lb/>
Sachen ausgeschlossen sind und diese <hi rendition="#g">ausschlieszlich</hi> dem<lb/>
State selbst oder seinen Angehörigen vorbehalten wird.</p><lb/>
          <p>Dem römischen Rechte ist denn auch jene irrthümliche<lb/>
Ansicht fremd. An den eigentlichen res nullius hatte der<lb/>
Stat gerade so wenig Rechte als jede andere Privatperson.<lb/>
Wer immer, ob Fremder, ob römischer Bürger, dieselben<lb/>
occupirte, wurde durch die Occupation Eigenthümer. <note place="foot" n="7"><hi rendition="#i">Gajus</hi>, in L. 3 pr. de Adquir. rer. dominio: &#x201E;Quod enim nullius<lb/>
est, id <hi rendition="#i">ratione naturali</hi> occupanti conceditur.&#x201C; Vgl. L. 1. pr. eod.<lb/><hi rendition="#g">Klüber</hi>, öffentl. Recht des deutschen Bundes, §. 337. hat die Theorie<lb/>
aufgestellt, dasz die sogenannten adespota, d. h. herrenlose Sachen,<lb/>
innerhalb des Statsgebiets nicht von Fremden occupirt werden können.<lb/>
Warum aber sollte der Vogel, der einem Fremden ins Zimmer fliegt und<lb/>
von diesem gefangen wird, demselben weniger gehören als einem Ein-<lb/>
heimischen?</note> In dem<lb/>
Mittelalter dagegen war allerdings die Vorstellung der lehens-<lb/>
herrlichen Oberhoheit und die des Patrimonialstates einer<lb/>
Ausdehnung der Statsherrschaft auch auf Gegenstände des<lb/>
Privatrechtes günstig: und in manchen neuern Rechten hat<lb/>
sich diese frühere Anschauung groszentheils noch erhalten.</p><lb/>
          <p>Wir erwähnen:</p><lb/>
          <p>a) Das <hi rendition="#g">preuszische Landrecht</hi>, welches mit Bezug<lb/>
auf gewisse Arten von Sachen, insbesondere auf Liegenschaf-<lb/>
ten, Erbschaften, nutzbare Landthiere, auf welche noch kein<lb/>
Individuum ein besonderes Recht erlangt hat, oder die von<lb/>
ihrem frühern Eigenthümer verlassen worden, dem State ein<lb/><hi rendition="#g">Vorzugsrecht</hi> zur Occupation zuschreibt, in Folge dessen<lb/>
ein Anderer dieselben nicht ohne Einwilligung des States in<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[292/0310] Drittes Buch. Die Grundlagen des Stats etc. Das Land. gleich zu stellen, zumal auch hier ein Eingreifen beliebiger Occupanten ohne grobe Unordnung nicht möglich ist. Dagegen ist es ein Irrthum, der aus jener falschen Vor- stellung von Statseigenthum entsprungen ist, wenn ein natür- liches Eigenthum des States an herrenlosen Sachen über- haupt behauptet wird, die in seinem Gebiete vorhanden sind oder wenn die Fremden von der Occupation solcher Sachen ausgeschlossen sind und diese ausschlieszlich dem State selbst oder seinen Angehörigen vorbehalten wird. Dem römischen Rechte ist denn auch jene irrthümliche Ansicht fremd. An den eigentlichen res nullius hatte der Stat gerade so wenig Rechte als jede andere Privatperson. Wer immer, ob Fremder, ob römischer Bürger, dieselben occupirte, wurde durch die Occupation Eigenthümer. 7 In dem Mittelalter dagegen war allerdings die Vorstellung der lehens- herrlichen Oberhoheit und die des Patrimonialstates einer Ausdehnung der Statsherrschaft auch auf Gegenstände des Privatrechtes günstig: und in manchen neuern Rechten hat sich diese frühere Anschauung groszentheils noch erhalten. Wir erwähnen: a) Das preuszische Landrecht, welches mit Bezug auf gewisse Arten von Sachen, insbesondere auf Liegenschaf- ten, Erbschaften, nutzbare Landthiere, auf welche noch kein Individuum ein besonderes Recht erlangt hat, oder die von ihrem frühern Eigenthümer verlassen worden, dem State ein Vorzugsrecht zur Occupation zuschreibt, in Folge dessen ein Anderer dieselben nicht ohne Einwilligung des States in 7 Gajus, in L. 3 pr. de Adquir. rer. dominio: „Quod enim nullius est, id ratione naturali occupanti conceditur.“ Vgl. L. 1. pr. eod. Klüber, öffentl. Recht des deutschen Bundes, §. 337. hat die Theorie aufgestellt, dasz die sogenannten adespota, d. h. herrenlose Sachen, innerhalb des Statsgebiets nicht von Fremden occupirt werden können. Warum aber sollte der Vogel, der einem Fremden ins Zimmer fliegt und von diesem gefangen wird, demselben weniger gehören als einem Ein- heimischen?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/310
Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/310>, abgerufen am 22.11.2024.