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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Zweites Capitel. A. Geschichtliche Entstehungsformen. I. Ursprüngliche.
Herrschaften selbständiger Godorde mit ihren Tempeln und
Dingstätten. Damals aber wurde auf den Antrag Ulfljots mit
Zustimmung der Goden ein für die ganze Bevölkerung der
Insel gemeinsames Allding beschlossen und so für die Gesetz-
gebung und Rechtspflege ein Gesammtorgan geschaffen, dem
alle Godorde untergeordnet waren. Damit aber hatte sich
die Bevölkerung der Insel zu einem statlichen Volke con-
stituirt.

Auch die Gründung des States Kalifornien, die vor
den Augen der mit uns Lebenden vollzogen worden ist, er-
scheint als freie Constituirung eines neuen Volkes auf einem
den Vereinigten Staten von Nordamerika zugehörigen Gebiete.
Der Hunger nach Gold hatte aus aller Welt eine unverbun-
dene Menge verschiedener Individuen zusammen getrieben,
und diese wählten am 1. September 1849 Abgeordnete zu
einem Verfassungsrathe und schon am 13. October lag die
Verfassungsurkunde des neuen States dem neuen Volke zur
Genehmigung vor. Es ist schwerlich ein Beispiel in der Ge-
schichte zu finden, welches leichter für die Möglichkeit einer
Statenbildung durch freie Uebereinkunft der betheiligten In-
dividuen gedeutet werden kann, als dieses; und dennoch kann
es einer genaueren Betrachtung dieses Falles nicht verborgen
bleiben, dasz auch da nicht der Vertrag aller Individuen, 4
sondern der Beschlusz und Wille der Mehrheit den Ent-
scheid gab und dasz die Einheit der Gemeinschaft als
nothwendig vorausgesetzt wurde. Nicht der Einzelwille der
Individuen, der Gesammtwille der ganzen Bevölkerung schuf
die Verfassung.

Die heutige amerikanische Statenbildung innerhalb der
Union der Vereinigten Staten hat durchaus diesen Charakter.
Vorerst wird ein Land (ein sogenanntes Territorium) abge-

4 R. v. Mohl hat in der Zeitschr. v. Mittermaier für ausländ.
Rechtswiss. XXVII. 5. 394. dieses Beispiel näher ausgeführt und für die
Theorie des Contrat social benutzt.

Zweites Capitel. A. Geschichtliche Entstehungsformen. I. Ursprüngliche.
Herrschaften selbständiger Godorde mit ihren Tempeln und
Dingstätten. Damals aber wurde auf den Antrag Ulfljots mit
Zustimmung der Goden ein für die ganze Bevölkerung der
Insel gemeinsames Allding beschlossen und so für die Gesetz-
gebung und Rechtspflege ein Gesammtorgan geschaffen, dem
alle Godorde untergeordnet waren. Damit aber hatte sich
die Bevölkerung der Insel zu einem statlichen Volke con-
stituirt.

Auch die Gründung des States Kalifornien, die vor
den Augen der mit uns Lebenden vollzogen worden ist, er-
scheint als freie Constituirung eines neuen Volkes auf einem
den Vereinigten Staten von Nordamerika zugehörigen Gebiete.
Der Hunger nach Gold hatte aus aller Welt eine unverbun-
dene Menge verschiedener Individuen zusammen getrieben,
und diese wählten am 1. September 1849 Abgeordnete zu
einem Verfassungsrathe und schon am 13. October lag die
Verfassungsurkunde des neuen States dem neuen Volke zur
Genehmigung vor. Es ist schwerlich ein Beispiel in der Ge-
schichte zu finden, welches leichter für die Möglichkeit einer
Statenbildung durch freie Uebereinkunft der betheiligten In-
dividuen gedeutet werden kann, als dieses; und dennoch kann
es einer genaueren Betrachtung dieses Falles nicht verborgen
bleiben, dasz auch da nicht der Vertrag aller Individuen, 4
sondern der Beschlusz und Wille der Mehrheit den Ent-
scheid gab und dasz die Einheit der Gemeinschaft als
nothwendig vorausgesetzt wurde. Nicht der Einzelwille der
Individuen, der Gesammtwille der ganzen Bevölkerung schuf
die Verfassung.

Die heutige amerikanische Statenbildung innerhalb der
Union der Vereinigten Staten hat durchaus diesen Charakter.
Vorerst wird ein Land (ein sogenanntes Territorium) abge-

4 R. v. Mohl hat in der Zeitschr. v. Mittermaier für ausländ.
Rechtswiss. XXVII. 5. 394. dieses Beispiel näher ausgeführt und für die
Theorie des Contrat social benutzt.
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[303/0321] Zweites Capitel. A. Geschichtliche Entstehungsformen. I. Ursprüngliche. Herrschaften selbständiger Godorde mit ihren Tempeln und Dingstätten. Damals aber wurde auf den Antrag Ulfljots mit Zustimmung der Goden ein für die ganze Bevölkerung der Insel gemeinsames Allding beschlossen und so für die Gesetz- gebung und Rechtspflege ein Gesammtorgan geschaffen, dem alle Godorde untergeordnet waren. Damit aber hatte sich die Bevölkerung der Insel zu einem statlichen Volke con- stituirt. Auch die Gründung des States Kalifornien, die vor den Augen der mit uns Lebenden vollzogen worden ist, er- scheint als freie Constituirung eines neuen Volkes auf einem den Vereinigten Staten von Nordamerika zugehörigen Gebiete. Der Hunger nach Gold hatte aus aller Welt eine unverbun- dene Menge verschiedener Individuen zusammen getrieben, und diese wählten am 1. September 1849 Abgeordnete zu einem Verfassungsrathe und schon am 13. October lag die Verfassungsurkunde des neuen States dem neuen Volke zur Genehmigung vor. Es ist schwerlich ein Beispiel in der Ge- schichte zu finden, welches leichter für die Möglichkeit einer Statenbildung durch freie Uebereinkunft der betheiligten In- dividuen gedeutet werden kann, als dieses; und dennoch kann es einer genaueren Betrachtung dieses Falles nicht verborgen bleiben, dasz auch da nicht der Vertrag aller Individuen, 4 sondern der Beschlusz und Wille der Mehrheit den Ent- scheid gab und dasz die Einheit der Gemeinschaft als nothwendig vorausgesetzt wurde. Nicht der Einzelwille der Individuen, der Gesammtwille der ganzen Bevölkerung schuf die Verfassung. Die heutige amerikanische Statenbildung innerhalb der Union der Vereinigten Staten hat durchaus diesen Charakter. Vorerst wird ein Land (ein sogenanntes Territorium) abge- 4 R. v. Mohl hat in der Zeitschr. v. Mittermaier für ausländ. Rechtswiss. XXVII. 5. 394. dieses Beispiel näher ausgeführt und für die Theorie des Contrat social benutzt.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/321>, abgerufen am 22.11.2024.