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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Drittes Buch. Von der Entstehung und dem Untergang des States.
berechtigt, wenn seine dauernden und wichtigen Interessen
von dem Statsganzen, dem er angehört, nicht geschützt noch
befriedigt werden, und er zugleich befähigt ist, für sich selber
zu sorgen und seine selbständige Stellung zu behaupten. Nur
wirkliche Noth und ein unerträglich gewordenes Leiden gibt
somit gegründete Veranlassung zu der Lossagung, und nur
die moralische Kraft, welche sich in dem Kampfe um Selb-
ständigkeit siegreich bewährt und alle Schwierigkeiten über-
windet, gewährt einen Anspruch auf Anerkennung derselben.
Unter diesen beiden Voraussetzungen wird dieselbe denn auch
von dem groszen Gerichte ausgesprochen, welches durch die
Weltgeschichte spricht. 3



3 Die Unabhängigkeitserklärung von Amerika nimmt es mit dem
Princip etwas leichter und bekennt die naturrechtliche Lehre ihrer Zeit,
indem sie folgende Sätze ausspricht: "Wir halten folgende Wahrheiten
für klar, dasz alle Menschen gleich geboren, dasz sie von dem Schöpfer
mit gewissen unveränderlichen Rechten begabt sind, und dasz zu diesem
Leben Freiheit und das Streben nach Glückseligkeit gehöre, dasz, um
diese Rechte zu sichern, Regierungen unter den Menschen eingesetzt
sind, welche ihre gerechte Gewalt von der Zustimmung der Regierten
ableiten, dasz wenn immer eine Staatsform diesen Endzwecken verderb-
lich wird, es ein Recht des Volkes ist, dieselbe zu ändern oder abzu-
schaffen und eine neue Statsform einzurichten, indem es dieselbe auf
solche Principien begründet, und deren Gewalten in solcher Weise orga-
nisirt, wie es ihm zu seiner Sicherheit und zu seinem Glücke am zweck-
dienlichsten scheint. Die Klugheit gebietet allerdings, seit langem be-
stehende Verfassungen nicht um leichter und vorübergehender Ursachen
willen zu ändern, und demgemäsz hat alle Erfahrung gezeigt, dasz die
Menschen geneigter sind die Leiden zu ertragen, so lange sie erträglich
sind, als sich durch Vernichtung der Formen, an welche sie sich einmal
gewöhnt, selbst Recht zu verschaffen. Wenn aber eine lange Reihe von
Miszbräuchen und unrechtmäszigen Eingriffen, welche unwandelbar das
nämliche Ziel verfolgen, die Absicht beweist, das Volk dem absoluten
Despotismus zu unterwerfen, so hat dieses das Recht und die Pflicht,
eine solche Regierung auszustoszen und neue Garantien für seine künftige
Sicherheit anzuordnen."

Drittes Buch. Von der Entstehung und dem Untergang des States.
berechtigt, wenn seine dauernden und wichtigen Interessen
von dem Statsganzen, dem er angehört, nicht geschützt noch
befriedigt werden, und er zugleich befähigt ist, für sich selber
zu sorgen und seine selbständige Stellung zu behaupten. Nur
wirkliche Noth und ein unerträglich gewordenes Leiden gibt
somit gegründete Veranlassung zu der Lossagung, und nur
die moralische Kraft, welche sich in dem Kampfe um Selb-
ständigkeit siegreich bewährt und alle Schwierigkeiten über-
windet, gewährt einen Anspruch auf Anerkennung derselben.
Unter diesen beiden Voraussetzungen wird dieselbe denn auch
von dem groszen Gerichte ausgesprochen, welches durch die
Weltgeschichte spricht. 3



3 Die Unabhängigkeitserklärung von Amerika nimmt es mit dem
Princip etwas leichter und bekennt die naturrechtliche Lehre ihrer Zeit,
indem sie folgende Sätze ausspricht: „Wir halten folgende Wahrheiten
für klar, dasz alle Menschen gleich geboren, dasz sie von dem Schöpfer
mit gewissen unveränderlichen Rechten begabt sind, und dasz zu diesem
Leben Freiheit und das Streben nach Glückseligkeit gehöre, dasz, um
diese Rechte zu sichern, Regierungen unter den Menschen eingesetzt
sind, welche ihre gerechte Gewalt von der Zustimmung der Regierten
ableiten, dasz wenn immer eine Staatsform diesen Endzwecken verderb-
lich wird, es ein Recht des Volkes ist, dieselbe zu ändern oder abzu-
schaffen und eine neue Statsform einzurichten, indem es dieselbe auf
solche Principien begründet, und deren Gewalten in solcher Weise orga-
nisirt, wie es ihm zu seiner Sicherheit und zu seinem Glücke am zweck-
dienlichsten scheint. Die Klugheit gebietet allerdings, seit langem be-
stehende Verfassungen nicht um leichter und vorübergehender Ursachen
willen zu ändern, und demgemäsz hat alle Erfahrung gezeigt, dasz die
Menschen geneigter sind die Leiden zu ertragen, so lange sie erträglich
sind, als sich durch Vernichtung der Formen, an welche sie sich einmal
gewöhnt, selbst Recht zu verschaffen. Wenn aber eine lange Reihe von
Miszbräuchen und unrechtmäszigen Eingriffen, welche unwandelbar das
nämliche Ziel verfolgen, die Absicht beweist, das Volk dem absoluten
Despotismus zu unterwerfen, so hat dieses das Recht und die Pflicht,
eine solche Regierung auszustoszen und neue Garantien für seine künftige
Sicherheit anzuordnen.“
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[316/0334] Drittes Buch. Von der Entstehung und dem Untergang des States. berechtigt, wenn seine dauernden und wichtigen Interessen von dem Statsganzen, dem er angehört, nicht geschützt noch befriedigt werden, und er zugleich befähigt ist, für sich selber zu sorgen und seine selbständige Stellung zu behaupten. Nur wirkliche Noth und ein unerträglich gewordenes Leiden gibt somit gegründete Veranlassung zu der Lossagung, und nur die moralische Kraft, welche sich in dem Kampfe um Selb- ständigkeit siegreich bewährt und alle Schwierigkeiten über- windet, gewährt einen Anspruch auf Anerkennung derselben. Unter diesen beiden Voraussetzungen wird dieselbe denn auch von dem groszen Gerichte ausgesprochen, welches durch die Weltgeschichte spricht. 3 3 Die Unabhängigkeitserklärung von Amerika nimmt es mit dem Princip etwas leichter und bekennt die naturrechtliche Lehre ihrer Zeit, indem sie folgende Sätze ausspricht: „Wir halten folgende Wahrheiten für klar, dasz alle Menschen gleich geboren, dasz sie von dem Schöpfer mit gewissen unveränderlichen Rechten begabt sind, und dasz zu diesem Leben Freiheit und das Streben nach Glückseligkeit gehöre, dasz, um diese Rechte zu sichern, Regierungen unter den Menschen eingesetzt sind, welche ihre gerechte Gewalt von der Zustimmung der Regierten ableiten, dasz wenn immer eine Staatsform diesen Endzwecken verderb- lich wird, es ein Recht des Volkes ist, dieselbe zu ändern oder abzu- schaffen und eine neue Statsform einzurichten, indem es dieselbe auf solche Principien begründet, und deren Gewalten in solcher Weise orga- nisirt, wie es ihm zu seiner Sicherheit und zu seinem Glücke am zweck- dienlichsten scheint. Die Klugheit gebietet allerdings, seit langem be- stehende Verfassungen nicht um leichter und vorübergehender Ursachen willen zu ändern, und demgemäsz hat alle Erfahrung gezeigt, dasz die Menschen geneigter sind die Leiden zu ertragen, so lange sie erträglich sind, als sich durch Vernichtung der Formen, an welche sie sich einmal gewöhnt, selbst Recht zu verschaffen. Wenn aber eine lange Reihe von Miszbräuchen und unrechtmäszigen Eingriffen, welche unwandelbar das nämliche Ziel verfolgen, die Absicht beweist, das Volk dem absoluten Despotismus zu unterwerfen, so hat dieses das Recht und die Pflicht, eine solche Regierung auszustoszen und neue Garantien für seine künftige Sicherheit anzuordnen.“

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/334>, abgerufen am 22.11.2024.