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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Drittes Capitel. A. Geschichtliche Entstehungsformen. II. Secundäre.
löst. So ging die grosze durch Alexanders Genie einen Augen-
blick zusammengeschmiedete Weltmonarchie nach seinem Tode
sofort auseinander. Ebenso wurde im IX. Jahrhundert die
fränkische Monarchie nach den Nationalitäten, freilich nicht
ohne wesentliche Mitwirkung der dynastischen Gegensätze ge-
spalten. Auch der Zerfall des Napoleonischen Kaiserreiches
mit seinen Schöpfungen abhängiger Lehenskönigreiche in
diesem Jahrhundert läszt sich groszentheils so erklären. Die
Trennung von Belgien und Holland im Jahr 1830 hat diesen
Charakter.

8. Erbrechtliche Theilung. Während des Mittel-
alters kam öfter die Theilung eines Statsganzen wie einer
Erbschaft unter mehrere Erben vor, so unter mehrere Söhne
des verstorbenen Statsoberhauptes, und es dauerte lange, bis
diese privatrechtliche mit dem Recht eines zusammengehöri-
gen Volkes und der Wohlfahrt eines States durchaus unver-
einbare Behandlung durch das politische Princip der Un-
theilbarkeit
in Europa verdrängt wurde.

9. Eine ähnliche Form ist die Lossagung eines Thei-
les des States und Constituirung dieses Theiles zu einem
selbständigen State.

In der Regel ist der Theil als solcher nicht berechtigt,
sich wider das Ganze zu empören und sich von demselben
gewaltsam loszureiszen. Die Geschichte hat uns von vielen
ungerechtfertigten und unheilvollen Lostrennungsversuchen der
Art warnende Berichte überliefert. Aber sie weisz auch von
andern Lossagungen, welche volle Anerkennung errungen haben,
und deren innere Berechtigung nicht zu bezweifeln ist. Er-
innern wir uns an die Lossagung der niederländischen Gene-
ralstaten von Spanien von 1579, an die Unabhängigkeits-
erklärung der nordamerikanischen Freistaten von 1776, an die
Befreiung Griechenlands von türkischer Herrschaft in unsern
Tagen. Jene Regel bedarf somit einer Beschränkung, die wohl
so zu fassen ist: zur Lossagung ist der Theil ausnahmsweise

Drittes Capitel. A. Geschichtliche Entstehungsformen. II. Secundäre.
löst. So ging die grosze durch Alexanders Genie einen Augen-
blick zusammengeschmiedete Weltmonarchie nach seinem Tode
sofort auseinander. Ebenso wurde im IX. Jahrhundert die
fränkische Monarchie nach den Nationalitäten, freilich nicht
ohne wesentliche Mitwirkung der dynastischen Gegensätze ge-
spalten. Auch der Zerfall des Napoleonischen Kaiserreiches
mit seinen Schöpfungen abhängiger Lehenskönigreiche in
diesem Jahrhundert läszt sich groszentheils so erklären. Die
Trennung von Belgien und Holland im Jahr 1830 hat diesen
Charakter.

8. Erbrechtliche Theilung. Während des Mittel-
alters kam öfter die Theilung eines Statsganzen wie einer
Erbschaft unter mehrere Erben vor, so unter mehrere Söhne
des verstorbenen Statsoberhauptes, und es dauerte lange, bis
diese privatrechtliche mit dem Recht eines zusammengehöri-
gen Volkes und der Wohlfahrt eines States durchaus unver-
einbare Behandlung durch das politische Princip der Un-
theilbarkeit
in Europa verdrängt wurde.

9. Eine ähnliche Form ist die Lossagung eines Thei-
les des States und Constituirung dieses Theiles zu einem
selbständigen State.

In der Regel ist der Theil als solcher nicht berechtigt,
sich wider das Ganze zu empören und sich von demselben
gewaltsam loszureiszen. Die Geschichte hat uns von vielen
ungerechtfertigten und unheilvollen Lostrennungsversuchen der
Art warnende Berichte überliefert. Aber sie weisz auch von
andern Lossagungen, welche volle Anerkennung errungen haben,
und deren innere Berechtigung nicht zu bezweifeln ist. Er-
innern wir uns an die Lossagung der niederländischen Gene-
ralstaten von Spanien von 1579, an die Unabhängigkeits-
erklärung der nordamerikanischen Freistaten von 1776, an die
Befreiung Griechenlands von türkischer Herrschaft in unsern
Tagen. Jene Regel bedarf somit einer Beschränkung, die wohl
so zu fassen ist: zur Lossagung ist der Theil ausnahmsweise

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[315/0333] Drittes Capitel. A. Geschichtliche Entstehungsformen. II. Secundäre. löst. So ging die grosze durch Alexanders Genie einen Augen- blick zusammengeschmiedete Weltmonarchie nach seinem Tode sofort auseinander. Ebenso wurde im IX. Jahrhundert die fränkische Monarchie nach den Nationalitäten, freilich nicht ohne wesentliche Mitwirkung der dynastischen Gegensätze ge- spalten. Auch der Zerfall des Napoleonischen Kaiserreiches mit seinen Schöpfungen abhängiger Lehenskönigreiche in diesem Jahrhundert läszt sich groszentheils so erklären. Die Trennung von Belgien und Holland im Jahr 1830 hat diesen Charakter. 8. Erbrechtliche Theilung. Während des Mittel- alters kam öfter die Theilung eines Statsganzen wie einer Erbschaft unter mehrere Erben vor, so unter mehrere Söhne des verstorbenen Statsoberhauptes, und es dauerte lange, bis diese privatrechtliche mit dem Recht eines zusammengehöri- gen Volkes und der Wohlfahrt eines States durchaus unver- einbare Behandlung durch das politische Princip der Un- theilbarkeit in Europa verdrängt wurde. 9. Eine ähnliche Form ist die Lossagung eines Thei- les des States und Constituirung dieses Theiles zu einem selbständigen State. In der Regel ist der Theil als solcher nicht berechtigt, sich wider das Ganze zu empören und sich von demselben gewaltsam loszureiszen. Die Geschichte hat uns von vielen ungerechtfertigten und unheilvollen Lostrennungsversuchen der Art warnende Berichte überliefert. Aber sie weisz auch von andern Lossagungen, welche volle Anerkennung errungen haben, und deren innere Berechtigung nicht zu bezweifeln ist. Er- innern wir uns an die Lossagung der niederländischen Gene- ralstaten von Spanien von 1579, an die Unabhängigkeits- erklärung der nordamerikanischen Freistaten von 1776, an die Befreiung Griechenlands von türkischer Herrschaft in unsern Tagen. Jene Regel bedarf somit einer Beschränkung, die wohl so zu fassen ist: zur Lossagung ist der Theil ausnahmsweise

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/333>, abgerufen am 22.11.2024.